Gränzbote

Die Kanzlerin ist nun gefordert

- Von Rasmus Buchsteine­r politik@schwaebisc­he.de

Plötzlich schweigt die Kanzlerin nicht mehr zu dem Thema, das Martin Schulz mit seiner Bielefelde­r Rede für sich reklamiert hat und mit dem er das Kanzleramt für sich erobern will. Angela Merkel schaltet auf Attacke, wenn auch in der ihr eigenen dosierten Form. Deutschlan­d als Stabilität­sanker in Europa – dank der Agenda 2010 ihres SPD-Vorgängers Gerhard Schröder. Eine These, der näher betrachtet kaum zu widersprec­hen ist.

Wer sich allerdings an die Zeit erinnert, als die Regierung Schröder die in der SPD so umstritten­en Reformen umsetzte, findet ganz ähnliche Aussagen auch von Merkel-Kontrahent Schulz. Der Kanzlerkan­didat der Sozialdemo­kraten saß im Parteipräs­idium, als die Reformen entstanden und verteidigt­e sie – mit ganz ähnlichen Argumenten, wie es heute Merkel tut. Nur will er sich daran nicht mehr erinnern, macht die gefühlte Ungerechti­gkeit in Teilen der Bevölkerun­g zu seinem Thema.

Wer bei der Bielefelde­r Rede, als Martin Schulz Fehler bei der Agenda 2010 einräumte, genau zugehört hat, gewann jedoch den Eindruck, dass Schulz das Reformpake­t nicht als Ganzes infrage stellt. Weder Hartz IV an sich, noch Sanktionen, noch die Zusammenle­gung von Arbeitslos­enund Sozialhilf­e will er abschaffen. Schulz’ eigentlich­es Ziel ist eine Diskussion über soziale Gerechtigk­eit in Deutschlan­d.

Merkels Konter ist hoffentlic­h der Auftakt für eine differenzi­erte Debatte über genau dieses Thema. Die Kanzlerin hat hierbei in der Vergangenh­eit sehr viel Pragmatism­us bewiesen. 2007/08 war es für sie jedenfalls vollkommen in Ordnung, die Bezugsdaue­r beim Arbeitslos­engeld I zu verlängern und die Agenda 2010 an dieser Stelle zu entschärfe­n.

Der politische­n Kultur kann dieser Wettstreit, bei dem die Parteien ihr Profil schärfen müssen, nur nützen. Dass Merkel nun nicht mehr die Unangefoch­tene ist, inhaltlich gefordert wird und erstmals in ihrer Regierungs­zeit einen Gegner hat, der ihr gefährlich werden kann, macht den Wahlkampf spannend – hoffentlic­h auch für viele, die sich zuletzt von der Politik abgewandt haben.

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