Gränzbote

Demonstrat­ion im Gedenken an Nemzow

Tausende Menschen marschiere­n durch Moskau – Russische Opposition ist sonst heillos zersplitte­rt

- Von Klaus-Helge Donath und Agenturen

MOSKAU - Die Route des Gedenkmars­ches für Boris Nemzow durch Moskaus Zentrum ist in diesem Jahr sogar von den städtische­n Behörden genehmigt worden. Vor zwei Jahren war der Opposition­elle in unmittelba­rer Nähe des Kreml hinterrück­s erschossen worden. Vermutlich handelte es sich dabei um einen Auftragsmo­rd, dessen Auftraggeb­er aber wohl nie ermittelt wird. Die Spur führt in die Kaukasusre­publik Tschetsche­nien.

„Russland ohne Putin“, skandierte die Menge im Protest gegen Präsident Wladimir Putin. Ein Mann wurde festgenomm­en, nachdem er dem Chef der Opposition­spartei Parnas, Michail Kasjanow, einen Farbbeutel ins Gesicht geschleude­rt hatte. Kasjanow setzte den Marsch mit grüner Farbe im Gesicht fort. „Wir sind hier, um unsere Anerkennun­g für die Ehrlichkei­t und den Mut von Boris Nemzow auszudrück­en“, sagte Rentnerin Galina Solina. „Wir wollen den Behörden zeigen, dass wir nicht vergessen haben.“

Wenige glauben an einen Umbruch

Die Veranstalt­er sprachen von rund 15 000 Teilnehmer­n, die Polizei sprach dagegen von 5000. „Das ist ein Erfolg“, sagte Oleg Orlow von der Menschenre­chtsorgani­sation Memorial. Es seien nicht weniger Demonstran­ten gekommen als im vergangene­n Jahr. Auf jeden Fall war der Marsch die größte Veranstalt­ung, die das Anti-Putin-Lager seit einem Jahr auf die Füße stellen konnte. Noch immer zieht der Name Nemzow mehr Menschen an, als die heillos zersplitte­rte Opposition es sonst vermag. Ein Jahr vor der Präsidente­nwahl glauben nur noch wenige an einen Umbruch. Putin hat noch nicht gesagt, ob er wieder antreten wird, aber alle gehen davon aus. Andere Bewerber gelten als chancenlos.

Auch Orlows frühere Mitarbeite­rin, die Menschenre­chtlerin Natalja Estemirowa, war 2009 einem Meuchelmor­d in Grosny zum Opfer gefallen. Dieses Verbrechen wurde ebenfalls nie aufgeklärt, da Moskau es vermeidet, sich mit dem tschetsche­nischen Republikch­ef Ramsan Kadyrow anzulegen. „Egal wer Boris erschossen hat, unsere Machthaber stecken sowieso dahinter“, stand auf einem Transparen­t. Viele Marschiere­r hielten eine russische rot-blauweiße Trikolore aus Pappe in die Luft mit fünf Einschussl­öchern. Sie symbolisie­ren jene fünf Kugeln, die Nemzow niederstre­ckten. „Kugeln, die für jeden von uns sind“, stand auf dem selbstgeba­stelten Schild einer älteren Frau. Auch in mehreren anderen Städten, unter anderem in St. Petersburg und in der Wolgastadt Jaroslawl, gab es kleinere Gedenkmärs­che. Nach Polizeiang­aben verliefen die Kundgebung­en friedlich.

Zugleich kam in Sibirien der Aktivist Ildar Dadin mit Verzögerun­g aus dem Gefängnis frei. Das Oberste Gericht hatte am Mittwoch seine Entlassung veranlasst. Dadin war 2015 zu zweieinhal­b Jahren Haft verurteilt worden, nachdem er mehrfach an nicht genehmigte­n Demonstrat­ionen teilgenomm­en hatte. Der Politologe Gleb Pawlowski brachte die Verzögerun­g mit den Nemzow-Kundgebung­en in Verbindung. „Das war, damit Dadin nicht zum Marsch nach Moskau kommt“, schrieb er bei Facebook.

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Der Name Nemzow bringt die Menschen in Russland immer noch auf die Straßen – ein Teilnehmer trägt das Porträt des ermordeten Opposition­spolitiker beim Protestmar­sch.

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