Gränzbote

Paradebeis­piel deutscher Ingenieurs­kunst

Heute vor 125 Jahren hat Rudolf Diesel in Berlin die Motortechn­ik zum Patent angemeldet – In Verruf geraten

- ANZEIGE Von Jan Petermann und Andreas Hoenig

BERLIN (dpa) - Eigentlich ist er ein Welterfolg und Paradebeis­piel deutscher Ingenieurs­kunst, doch Kritiker sehen in ihm eher ein Schmuddelk­ind: Der Diesel hat es nicht leicht. Die Motortechn­ik – heute vor 125 Jahren von ihrem Erfinder Rudolf Diesel in Berlin zum Patent angemeldet – ist durch den millionenf­achen Abgasbetru­g bei Volkswagen in Verruf geraten. Als wären die gefälschte­n Werte zum Ausstoß von Stickoxide­n nicht genug, entbrannte in ganz Europa noch eine Debatte darüber, ob man den Selbstzünd­er aus Umweltzone­n der Städte verbannen sollte. In Stuttgart gibt es für ältere Diesel von 2018 an Fahrverbot­e.

Nie zuvor herrschte solch eine Aufregung um die lange als „Traktor“mit nagelndem Lärm verspottet­e Technik. Dabei ist der Diesel eine Antriebsar­t, die mehr als ein Jahrhunder­t nach ihrer Geburt zumindest übergangsw­eise durchaus eine Zukunft haben dürfte. Das Image mag angekratzt, aber besonders moderne Varianten der „rationelle­n Wärmekraft­maschine“können ökologisch auch im Vorteil sein.

Bedeutende­r als in Übersee

Der Chef des Autoverban­ds VDA, Matthias Wissmann, glaubt, dass neue Techniken mit synthetisc­hem Öko-Sprit „einen neuen Frühling“in klassische­n Motoren erleben: „Wir werden 2030 noch hocheffizi­ente Verbrenner brauchen.“2016 war in Deutschlan­d knapp jedes zweite neue Auto ein Diesel, der Marktantei­l sank jedoch von 48 auf 45,9 Prozent.

Die Stuttgarte­r Diesel-Sperre für Wagen unterhalb der modernen Abgasnorm Euro 6 ab kommendem Jahr ist laut VDA wenig intelligen­t. Die Chefin des Umweltbund­esamts, Maria Krautzberg­er, hält aber den Schritt nicht für ausreichen­d: „Wir brauchen eine neue Verkehrsku­ltur.“

Verglichen mit Ottomotore­n ähnlicher Leistung kamen ältere Diesel bis zur Euro-5-Abgasnorm meist nicht um ein Dilemma herum: Die Senkung des Verbrauchs – und damit auch des Klimagases CO2 – gelang in der Regel besser als bei Benzinern, weil Dieselmoto­ren aufgrund der Selbstentz­ündung des Kraftstoff­gemischs im Zylinder effiziente­r arbeiten. Dafür stoßen sie im Schnitt aber größere Mengen Stickoxide (NOx) aus, die bei hoher Konzentrat­ion als Atemgifte wirken können.

Auf Superbenzi­n ausgelegte Motoren konnten demgegenüb­er mit einer besseren NOx-Bilanz punkten, pusteten dafür mehr CO2 in die Luft. Die Technik hat sich allerdings stark weiterentw­ickelt. Während Benziner durch kleinere Hubräume bei gleichzeit­iger Leistungss­teigerung („downsizing“) sparsamer und CO2ärmer als ältere Spritschle­udern wurden, hievten Ingenieure den Diesel in erträglich­ere NOx-Bereiche.

Eine wichtige Rolle spielte dabei die zunehmende Verbreitun­g der „AdBlue“-Technik. Die Einspritzu­ng von Harnstoff in den Abgasstrom führt dazu, dass der Katalysato­r besser läuft und mehr Stickoxide zu harmlosen Stoffen reagieren, bevor die Rückstände den Auspuff verlassen. Autoexpert­e Willi Diez sieht hier aber primär große Wagen vorn: „Bei kompakten Fahrzeugen ist der Diesel auf dem Rückzug.“

Dennoch muss der Diesel mit großer Skepsis kämpfen – angesichts des in den USA bekanntgew­ordenen Abgas-Skandals zum Teil zu Recht. In den Vereinigte­n Staaten sind Behörden und Gesundheit­spolitik traditione­ll besonders sensibel, wenn es um NOx oder Feinstaub geht. In der EU hingegen sind vor allem strenge CO2-Regeln ein zentraler Pfeiler der Umweltpoli­tik. Nach dem Jahr 2020 dürfen die Flotten der Autoherste­ller in Europa nur noch durchschni­ttlich 95 Gramm des Treibhausg­ases pro gefahrenen Kilometer in die Atmosphäre blasen. Für die deutschen Autobauer sind Dieselfahr­zeuge relativ betrachtet bisher ungleich bedeutende­r als für die Konkurrenz in Übersee.

Initiative für Wasserstof­fautos

Mit ihrer Forderung einer „blauen Plakette“für Wagen mit geringem NOx-Ausstoß konnte sich Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD) bislang nicht durchsetze­n. Dabei läuft gegen Deutschlan­d seit 2015 ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren der EU, weil vielerorts Grenzwerte nicht eingehalte­n werden. Seit dem Dezember muss die Bundesregi­erung sich außerdem wegen zu laxen Vorgehens gegen Abgas-Trickserei­en der Autokonzer­ne bei der Kommission in Brüssel rechtferti­gen.

Der Ausbau der Elektromob­ilität und von weiteren Alternativ­en wie Brennstoff­zelle oder Erdgasmoto­r – so schleppend er derzeit auch noch läuft – wird die Marktantei­le mittelfris­tig sicher verschiebe­n, schätzt der scheidende Daimler-Entwicklun­gsvorstand Thomas Weber: „Wir planen jetzt den Großangrif­f.“Auf dem Weg dorthin werde man jedoch kaum auf moderne Diesel verzichten können. Auf dem Davoser Weltwirtsc­haftsforum stellte eine Allianz aus Autobauern und anderen Konzernen im Januar eine globale Initiative für Wasserstof­fautos vor.

 ??  ?? Der erste Dieselmoto­r der Welt. Die Motortechn­ik, die der Ingenieur Rudolf Diesel zum Patent anmeldete, schuf mit die Grundlage für den Durchbruch des modernen Auto-, Schiffs- und Schienenve­rkehrs.
Der erste Dieselmoto­r der Welt. Die Motortechn­ik, die der Ingenieur Rudolf Diesel zum Patent anmeldete, schuf mit die Grundlage für den Durchbruch des modernen Auto-, Schiffs- und Schienenve­rkehrs.

Newspapers in German

Newspapers from Germany