Gidon Kremer wird 70 und hat viel vor
BERLIN (dpa) - Es kommt gerade vieles zusammen für Gidon Kremer: Heute kann er seinen 70. Geburtstag feiern. Gerade hat er mit seinem Orchester Kremerata Baltica eine Tournee durch Italien absolviert, eine Reise nach Asien steht an. Zurzeit sei er „besessen“von einem Multimediaprojekt, Auftritte mit der Pianistin Martha Argerich stehen bevor – Kremer der Unermüdliche, der Virtuose, Orchestergründer und Kunstaktivist. Der in Lettland geborene Musiker mit deutschem Pass und österreichischem Akzent bleibt ein „perpetuum mobile“.
Woher nimmt er die Kraft und Konzentration dazu? „Aus der Überzeugung, dass ich eine Aufgabe habe“, sagt er im Telefongespräch aus Turin. „Ich will nicht als Geiger gesehen werden, sondern als Musiker, als Mensch. Es geht nicht um Ambition, wie sie so viele junge Künstler haben und auch ich wahrscheinlich in meiner Jugend hatte – der Beste zu sein oder berühmt zu werden“, sagt er. „Mich beschäftigt die Musik und nicht all der Blödsinn, der sich drumherum abspielt, auf dem Musikmarkt oder unter Kollegen.“
War Kremer eine Karriere als Geiger zu wenig? „Ich habe das anders für mich definiert, weil ich der Welt gegenüber offen sein und Abenteuer eingehen will“, sagt er. „Als junger Mensch wollte ich Regisseur werden.“Jetzt hat er ein MultimediaProjekt mit der Kremerata Baltica zur Flüchtlingstragödie begonnen. Mit Musik von Schumann und Stockhausen schuf er eine Animation um Skulpturen des syrischen Künstlers Nazir Ali Badr.
Der in Riga geborene Sohn eines jüdisch-baltischen Musikers und einer deutschen Mutter zog zum Musikstudium nach Moskau. Frei ausreisen durfte er aus der Sowjetunion nicht. Nach mehreren Auftrittsverboten entschloss er sich 1980, in Deutschland zu bleiben.
Als Versuch einer „Entlarvung des überkommerzialisierten Musikbetriebs“gründete Kremer 1981 in Lockenhaus ein Kammermusik-Festival. 1997 folgte die Kremerata Baltica. „Wir waren eines der ersten Ensembles, die sich mit Europa beschäftigt haben.“Es schmerze ihn, was sich in Europa gerade abspiele. „Ich hoffe nicht, dass die populistischen Kräfte in Holland oder Frankreich die Oberhand bekommen.“