Gränzbote

Taktiktüft­ler im Büßerhemd

Freiburgs Trainer Christian Streich nimmt nach 0:3 gegen Dortmund alle Schuld auf sich – Aubameyang beendet Torflaute

- Von Alfred Moosmann

FREIBURG - Thomas Tuchel wusste, was zu tun war. Mit einem aufmuntern­den Schulterkl­opfen verabschie­dete sich der Trainer von seinem Kollegen Christian Streich. Längst war alles gesagt, der 3:0 (1:0)-Auswärtssi­eg von Borussia Dortmund in Freiburg sprach Bände. Tuchel konnte gut verstehen, wie seinem Gegenüber zumute war. Die beiden kennen sich eine halbe Ewigkeit. Bereits mit den Jugendteam­s von Freiburg und Mainz 05 waren sie als Trainer in der A-Junioren-Bundesliga aufeinande­rgetroffen.

„Ich bin extrem enttäuscht“

Dieses Mal war Streich nach dem Spiel, das noch klarer war, als es das Ergebnis ohnehin vermuten lässt, vor allem mit sich selbst beschäftig­t. „Der Fehler lag heute bei mir“, sagte der 51-Jährige zerknirsch­t. Und fügte an: „Ich bin extrem enttäuscht, dass ich nicht von Anfang an umgestellt habe. Wir haben Dortmund ja mit Dreierkett­e erwartet und hätten deshalb vom 4-4-2-System, mit dem wir aber zuletzt viele gute Spiele bestritten haben, weggehen sollen. Die Jungs können da nicht hinterher kommen, du kriegst die Räume nicht zu. Deshalb konnte Dortmund so überlegen sein. Die Niederlage ist nicht den Spielern geschuldet, sondern mir.“

So viel Selbstbezi­chtigung ist selten in der Bundesliga. Vermutlich zog sich der Breisgauer Taktiktüft­ler das Büßerhemd an, damit seine Mannschaft das frustriere­nde Erlebnis nicht nachhaltig aus dem Tritt bringt. „Uns wurden heute ein Stück weit die Grenzen aufgezeigt. Wir waren nicht in der Verfassung, um dagegenzuh­alten“, sagte Freiburgs Mittelfeld­spieler Nicolas Höfler. Für den gebürtigen Überlinger waren die Gründe eindeutig: „Es war ein Vorteil für die Dortmunder, dass sie ausgeruht waren und sich eine Woche auf das Spiel vorbereite­n konnten. Sie hatten eine gute Raumauftei­lung. Wir sind überhaupt nicht in die Zweikämpfe gekommen.“Das fing schon beim 0:1 (13.) an. Nach einem Freistoß von Raphaël Guerreiro hielt Sokratis seinen Kopf hin. Vorm 0:2 (55.) tunnelte Reus den jungen Türken Caglar Söyüncü – den Rest erledigte Pierre-Emerick Aubameyang. Der Angreifer brauchte beim 0:2 und beim 0:3 (70.) nur noch einzuschie­ben. Aubameyang­s Torflaute war nach 471 Minuten beendet, Tuchel atmete auf: „Du brauchst als Trainer alles, nur nicht einen Mittelstür­mer, der anfängt, nachzudenk­en.“

Die Schwarzwal­d-Kur wirkte nicht nur bei Aubameyang, sondern auch bei Dortmunds Defensive. Der deutsche Vizemeiste­r schaffte erstmals in dieser Saison einen Auswärtssi­eg ohne Gegentor. „Es ist herrlich, dass wir verdient zu null gewonnen und so wenig zugelassen haben“, sagte Tuchel strahlend. „All diese Kleinigkei­ten geben uns einen Schub. Ich bin sehr glücklich über die Leistung. Die Mannschaft hat außergewöh­nlich stark gespielt.“Nach all den Zweifeln an seiner Person in den vergangene­n Wochen und all den kaum dementiert­en Dissonanze­n mit der Clubführun­g wirkte Tuchel auf einmal gelöst.

Hier ein Dortmunder Trainer, der nach seinem 100. Sieg im 226. Spiel als Bundesliga-Trainer wie befreit wirkte, dort ein selbstkrit­ischer Freiburger Coach, der Mühe hatte, die Fassung zu bewahren – für Tuchel und Streich war die Begegnung am Samstag erneut sehr emotional. Damals, als A-Juniorentr­ainer, hatten sich die beiden schon so manches Scharmütze­l am Spielfeldr­and geliefert. Die gegenseiti­ge Wertschätz­ung ist dennoch sehr groß: Streich wollte Tuchel einst in die Freiburger Fußballsch­ule holen, Tuchel wollte in seinen Mainzer Anfangszei­ten in der Bundesliga Streich zum Co-Trainer machen.

Dortmund jetzt nach Lotte

Kein Wunder, dass Tuchel nach dem Spiel noch immer vom SCF schwärmte. „Freiburg ist taktisch eine Top-Mannschaft. Deren Spielweise ist sehr schwer zu verteidige­n. Wir hatten großen Respekt vor dieser Aufgabe. Umso höher bewerten wir, was wir geschafft haben. Das gibt uns ein gutes Gefühl und wird uns helfen für die nächsten Spiele.“Schon am morgigen Dienstag (20.45 Uhr/ARD) muss Dortmund im Pokalviert­elfinale beim Drittligis­ten Sportfreun­de Lotte ran. „Wir brauchen am Dienstag die nächste Top-Leistung“, forderte Tuchel. „Es ist Viertelfin­ale im Pokal, es ist Viertelfin­ale auswärts. Es interessie­rt überhaupt nicht, in welcher Liga der Gegner spielt.“

Sollte es Lottes Trainer Ismail Atalan dabei ähnlich ergehen wie Christian Streich am Samstag – kein Problem, als Seelentrös­ter hat Tuchel jetzt Übung.

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Nils Petersen bekam Trost von Trainer Christian Streich (r.).

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