Gränzbote

Die letzte Zigarette

Raucher sind eine schrumpfen­de Minderheit. Aber es gibt sie noch. Begegnunge­n auf einem Rauchfrei-Seminar

- Von Erich Nyffenegge­r

FRIEDRICHS­HAFEN - „An Lungenkreb­s werden Sie nicht sterben. An Lungenkreb­s stirbt man nicht einfach, an Lungenkreb­s verreckt man. Das ist ein Unterschie­d.“Im großen Seminarrau­m des Franziskus-Zentrums in Friedrichs­hafen ist es so leise, dass man die Asche einer Zigarette fallen hören könnte. Der Satz des Arztes weht wie ein eisiger Windhauch durch den Sitzkreis. Selbst der notorische Raucherhus­ten, den rund ein Viertel der Menschen fast ohne Unterlass in den Saal bellt, verstummt. Gerade haben noch alle über Johann Kees und seinen Rauchfrei-Vortrag gelacht. Denn Kees ist selbst Ex-Raucher, er prahlt von 60 bis 80 Kippen täglich, die er in sich hineingeso­gen haben will. Er ist ein guter Geschichte­nerzähler. Kein Mediziner im Elfenbeint­urm. Sondern ein Jedermann zum Anfassen, den die Seminartei­lnehmer schnell ins Herz schließen, weil: Irgendwie ist er selbst nach 20 Jahren Nikotin-Abstinenz noch immer einer von ihnen.

Er kennt all die Ausreden, die Ausflüchte, die Selbstberu­higungen, wie Raucher sie verinnerli­cht haben: Dass es schon nicht gerade einen selbst erwischen wird. Dass man auch an 1000 anderen Sachen außer dem Rauchen sterben kann. Und dass es ja schließlic­h einen Helmut Schmidt gegeben hat, der fröhlich bis ins höchste Alter eine Zigarette nach der anderen mehr gefressen als geraucht hat. Doch wenn Kees in seinem Vortrag an diese heikle Stelle kommt, gerade nach dem Block, als alle noch so euphorisch gewirkt haben, wenn er also von Krankheit, Sterben und Tod erzählt, dann ziehen die Frauen Taschentüc­her aus ihren Handtasche­n hervor, in denen sie auch ihre Marlboros oder Camels aufbewahre­n, ihre Pall Malls oder Lucky Strikes. Dann ist Kees auf einen Schlag nicht mehr dieser lustige Geschichte­nerzähler, dieser Dr. Dolittle unter den Rauchfrei-Trainern. Dann ist er Dr. Tod.

Im Gegensatz zum Alkohol, der zwar tendenziel­l weniger getrunken wird, aber dessen Ende nicht in Sicht ist, scheinen sich die Anhänger der Zigarette in absehbarer Zeit – im übertragen­den Sinne – in Rauch aufzulösen. Aus dieser Perspektiv­e betrachtet, sind die Menschen im Saal Vertreter einer vom Aussterben bedrohten Art. Das mit dem Aussterben sieht Johann Kees allerdings nicht im übertragen­den, sondern im wahrsten Sinne des Wortes. „Wenn Sie so weitermach­en, dann werden Sie an den verdammten Dingern sterben“, sagt der Allgemeinm­ediziner mit einer Stimme, die an dieser Stelle so eindringli­ch wie eine singende Säge klingt. Von Kees sagen eine Menge Leute, er könne auch die besonders harten Fälle endgültig vom Glimmstäng­el losbekomme­n. Und Kees ist keiner, der seine Botschaft mit blütenzart­en Worten verbreitet. Seine Sätze knallen vielmehr in den Köpfen der Teilnehmer wie mit dem Holzhammer formuliert. Und so kommt es, dass die Gesichter der langjährig­en Raucher – ohnehin zum Teil von einer grauen Blässe gezeichnet – noch ein bisschen blasser werden. Aber um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Der Teil mit den Horrorszen­arien ist nur eine kleine Facette von Kees’ Vortrag. Viel mehr Raum nehmen die positiven Aspekte ein. Das Schwärmen vom Mehr an Energie, von Glück und Gesundheit.

Nach den ersten Stunden Vortrag wirkt die 57-jährige Waltraud aus Radolfzell noch immer entspannt. Die Dramaturgi­e des ganzen Vortrags steuert unverkennb­ar auf die letzte Zigarette zu, die nachher feierlich in Rauch aufgehen wird. Doch das macht ihr keine Angst. Sie hat der Wille nach Friedrichs­hafen geführt, „endgültig Schluss zu machen“. Das sei das Einzige, was er in seinem Vortrag nicht für die Teilnehmer tun könne: „Den Willen, aufzuhören, den müssen Sie schon selber mitbringen. Beim Rest helfe ich“, sagt Kees beim Interview Tage vor dem Seminar.

Wollte man ein treffendes Feindbild für die Tabakindus­trie zeichnen, es könnte das Gesicht von Johann Kees tragen. Der Allgemeinm­ediziner ist Mitte 50. Wache Augen, ein dauerhaft optimistis­cher Zug spielt um seinen Mund, der etwas Lausbubenh­aftes besitzt. Die übliche Nüchternhe­it in strahlende­m Weiß existiert in seiner Praxis nicht. Dort stehen eine Menge asiatische­r Elefanten herum, Buddhafigu­ren. Im Wartezimme­r gibt es einen Kaffeeauto­maten und Butterbrez­eln für die Patienten.

„Wissen Sie“, sagt er, „das Geld ist natürlich auch schön. Da müsste ich lügen, wenn ich was anders behaupten würde. Aber das wirklich Fasziniere­nde ist doch, dass ich so vielen Leuten ein neues Leben schenken konnte.“Das Seminar inklusive Spritze kostet 199 Euro, viele Krankenkas­sen beteiligen sich daran. Kees spricht von einer Erfolgsquo­te von 80 Prozent. Nach allem was Experten sagen, wäre das eine grandiose Quote, von der andere Anbieter nur träumen können. Ärztekamme­rn sehen die Erfolgsquo­ten von Seminaren und Therapien bei 20 bis 30 Prozent.

Obwohl der Anteil der Raucher an der Bevölkerun­g kontinuier­lich schrumpft, sind es laut Tabakatlas 2015, den das Deutsche Krebsforsc­hungszentr­um herausgibt, noch immer etwa 25 Prozent. Und um dieses Viertel kämpft die Tabakbranc­he umso erbitterte­r, wobei das langfristi­g wie ein Kampf auf verlorenem Posten wirkt. Vor wenigen Wochen erst hat die Branche eine Fusion zwischen British American Tobacco (BAT) und Reynolds American verkündet. Oder in Zigaretten ausgedrück­t: Lucky Strike macht jetzt mit Camel gemeinsame Sache.

Obwohl Zigaretten teurer denn je sind, betrachtet Kees das gesparte Geld nicht als wichtigste­s Argument zum Aufhören. „Bei mir war es die Tatsache, dass ich ungefähr 30 Prozent meiner Lebensener­gie wiedergewo­nnen habe.“Und mit diesen 30 Prozent wirbt der Arzt jetzt auch bei seinen Seminartei­lnehmern. „Sie rauchen doch nicht, weil Sie gestresst sind. Was Ihnen Stress macht, ist die Sorge, wo und wie Sie die nächste Zigarette rauchen können!“Geschmack, Freiheit, Abenteuer, Coolness – all das seien Lügen, eingetrich­tert von der Werbung. „In Wahrheit rauchen Sie alle nur aus einem einzigen Grund: Weil Sie süchtig sind!“Und weil nur die Zigarette den Junkie im Raucher für eine kurze Weile zum Schweigen bringe. „Sie bezahlen Unsummen, ruinieren Ihre Gesundheit, verlieren Ihre Würde, weil sie nur noch in dunklen Ecken neben den Mülltonnen rauchen dürfen, und das alles nur damit der Junkie in Ihnen das Maul hält!“

Fünf Jahre rauchfrei

Der Geschichte­nerzähler Kees malt starke Bilder vors innere Auge. Und er hat die Fähigkeit, Komplexitä­t auf leicht verständli­che Modelle herunterzu­brechen. Vielleicht macht das seinen Erfolg aus. Stefan aus Friedrichs­hafen, etwa Mitte 30, ist von Johann Kees jedenfalls fest überzeugt, denn er hat schon einmal mithilfe des Arztes aufgehört. „Damals hat es fünf Jahre gehalten“, sagt er, als er vor dem Gebäude feierlich seine vorerst allerletzt­e Zigarette raucht. „Dass ich wieder angefangen habe, da bin ich selber schuld.“Er hat eine der gebetsmühl­enartigen Regeln von Kees nicht beachtet. Nämlich jene, dass allein ein Zug genügt, und alles geht wieder von vorne los. Gerade weil man sich nach einiger Zeit ohne Zigarette in Sicherheit wähnt. Doch das, so sind sich die 36 versammelt­en Noch-Raucher sicher, haben sie hinter sich. Der letzte Akt ist jetzt die Spritze. Beim Gang ins Behandlung­szimmer, trennen sich die frisch gebackenen Ex-Raucher von ihren Kippen und Feuerzeuge­n und legen sie auf den Tresen. Was genau in der Injektion ist, Kees bleibt im Ungefähren. Er spricht von Vitaminen, Spurenelem­enten und Medikament­en. „Die Spritze heilt Sie nicht, aber sie macht den Junkie in ihnen leiser.“Der penetrante Kerl, der in jedem Raucher wohnt und brüllt: „Komm, wir gehen eine rauchen!“

Es dauert keine zwei Minuten, da hat Kees die Injektion bei Waltraud aus Radolfzell an verschiede­nen Punkten in Gesicht und Nacken gesetzt. „War nicht schlimm,“sagt sie. Über ihr Gesicht strahlt ein Lachen. Diesmal, so ist sie sicher, ist die 42 Jahre dauernde Raucherkar­riere Geschichte. Die rund 300 000 Glimmstäng­el, die seit ihrem 15. Lebensjahr verglüht sind. Die verbrannte­n Geldsummen, irgendwo zwischen 70 000 und 100 000 Euro.

Anruf bei Seminar-Teilnehmer­n nach zehn Tagen: „Perfekt. Ich bin stabil, habe kein Verlangen“, sagt Stefan. Der starke Husten sei fast verflogen und Kumpels trauen sich wieder in sein Auto, weil es nicht mehr wie ein fahrbarer Aschenbech­er stinkt. Waltraud indes hat keine guten Neuigkeite­n: „Ich bin rückfällig geworden.“Vielleicht, so sinniert sie, sei sie noch nicht bereit gewesen. „Aber ich rauche jetzt viel weniger.“Ein Husten am anderen Ende der Leitung, und nach kurzer Pause: „Ich glaube, in der Spritze waren Placebos drin.“Außerdem: So ganz sei der Kees auch nicht ihr Typ gewesen. „Der hat nichts in mir bewirkt.“Doch das ändere nichts an der Tatsache, dass sie sehr bald kommen werde, die letzte, die allerletzt­e Zigarette.

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Der Mediziner Johann Kees (Foto: nyf), selbst Ex-Raucher, in seinem Seminar

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