„Erdogan fühlt sich von Feinden umzingelt“
Der türkische Journalist Can Dündar hält ein Auftrittsverbot des türkischen Präsidenten in Deutschland für falsch
BERLIN - Can Dündar, Ex-Chefredakteur der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“und Gründer der deutschtürkischen Internetplattform Özgürüz, spricht sich dafür aus, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Deutschland auftreten zu lassen. Das sagte er im Gespräch mit Tobias Schmidt.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will in Deutschland für die Verfassungsreform werben, die seine Macht massiv ausweiten würde. Sollte der Auftritt verboten werden?
Nein, ganz im Gegenteil, Erdogan sollte hier reden dürfen. Ein Verbot würde ihn in den Augen seiner Anhänger stärken und die Spannungen unter den Türken in Deutschland anheizen. Erdogan hat hierzulande große Unterstützung. Die Türken wollen das Recht haben, ihm hier zuzuhören. Ich bin ein entschiedener Gegner Erdogans, aber ich bin auch ein überzeugter Demokrat und kämpfe für das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das sollte auch er erhalten, obwohl er es anderen nimmt. Derzeit liegen Gegner und Befürworter der Verfassungsreform gleichauf. Und deswegen kämpft Erdogan um jede Stimme, auch bei den vielen Türken in Deutschland. Die deutsche Regierung sollte ihn reden lassen, aber sie sollte ihm enge Grenzen setzen, damit er nicht, wie sonst, Hass predigt. Das wäre gefährlich für die türkische Gemeinde in Deutschland. Es sollte eine Vereinbarung geben, dass er nicht zu Hass anstachelt.
Wie würde die neue Verfassung, über die im April abgestimmt wird, die Türkei verändern?
Aus dem politischen System in meiner Heimat würde ein Ein-Mannund Ein-Parteien-System. Das wäre sehr gefährlich. Es wäre eher eine Diktatur als eine Demokratie, weil der Präsident Parlament, Regierung und Justiz kontrollieren würde. Sollte das Referendum über die Verfassungsreform durchgehen, wäre Erdogan nicht mehr zu stoppen.
Will er Ihr Land wirklich in einen antidemokratischen, islamischen Staat zurückverwandeln?
Seine Erfolge haben ihn vergiftet. Er will jetzt immer mehr, er will jede Opposition zerschlagen. Erdogan fühlt sich von Feinden umzingelt und sieht jede Kritik als Beleidigung, betrachtet sich selbst als eine Art Sultan der Türkei wie im Osmanischen Reich. Wenn er das Referendum verlieren würde, wäre das eine sehr schwere Niederlage für ihn.
Hat die EU noch eine Möglichkeit, ihn auf den Pfad der Demokratie zurückzubringen – etwa durch den endgültigen Stopp der Beitrittsverhandlungen?
Nein, die EU hat ihre Chance vertan. Durch den Flüchtlingspakt haben sich die EU und Deutschland von Erdogan abhängig gemacht. Über Jahre hat die EU zu den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei geschwiegen, um Erdogan dazu zu bringen, die Flüchtlinge in seinem Land zu halten. Jetzt haben die Europäer keinerlei Einflussmöglichkeit mehr. Der einzige Hebel wären nun noch Wirtschaftssanktionen. Aber darüber wollen die Europäer ja gar nicht erst sprechen.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die Architektin des Flüchtlingspaktes, hat also versagt?
Immerhin hat sie bei ihrem letzten Besuch in Ankara auch Kritik geübt, die Bedeutung von Gewaltenteilung und Pressefreiheit angemahnt, und sie traf Vertreter der Opposition. Das war eine wichtige Botschaft. Jetzt fordere ich die Bundesregierung auf, dass sie die Durchführung des Referendums sehr genau beobachtet, mit Beobachtern vor Ort. Es ist die wichtigste Volksbefragung in der modernen Türkei. Wir entscheiden zwischen Demokratie und Diktatur. Außerdem muss Deutschland viel mehr Intellektuelle aufnehmen, die von Erdogan unterdrückt werden. Das wurde zwar zugesagt, aber noch nicht in die Tat umgesetzt. Die Bundesrepublik sollte sich auf eine Welle von Flüchtlingen vorbereiten.
Zu den jüngsten Opfern Erdogans gehört der türkisch-deutsche „Die Welt“-Korrespondent Deniz Yücel, der in Polizeigewahrsam genommen wurde. Ist es eine neue Eskalation, dass in der Türkei nun auch ausländische Journalisten eingesperrt werden?
Ja, leider sind sie jetzt auch dran. Die Regierung will keine ausländischen Beobachter mehr im Land dulden, weil diese noch mehr Möglichkeiten haben, über die Ungerechtigkeit zu berichten, als die einheimischen Journalisten. Deniz Yücel ist ein mutiger Korrespondent, der die wichtigen Fragen stellt. Jetzt wird er den Preis zahlen müssen. Es gibt keine Rechtsstaatlichkeit mehr in der Türkei, deswegen wird die Regierung über seinen Fall entscheiden.
Am Mittwoch geht auch der Spionage-Prozess gegen Sie weiter. Rechnen Sie noch mit einem fairen Verfahren?
Nein, die Rechtsstaatlichkeit ist ja ausgehebelt worden. Diesmal geht es bei der Anhörung um einen Parlamentarier der Oppositionspartei CHP, dem vorgeworfen wird, geheime Unterlagen an uns weitergegeben zu haben. Sollte er verhaftet werden, könnte dies zu einer weiteren politischen Eskalation in der Türkei führen. Der Tag wird ganz entscheidend werden. Ich bleibe natürlich in Deutschland.
Sie bauen von Berlin aus das deutsch-türkische Internetportal Özgürüz.org („Wir sind frei“) auf, um über die Entwicklung in der Türkei zu informieren. Wie versucht Erdogan, Sie daran zu hindern?
Unsere Webseite wird in der Türkei blockiert. Letzte Woche hat ein türkischer TV-Sender unser Büro und die Fenster gefilmt, berichtet, wann ich morgens zur Arbeit komme und abends wieder gehe – sie zeigten uns als Ziele. Dennoch fühle ich mich nicht direkt bedroht. Die deutschen Behörden müssen für unsere Sicherheit sorgen. Aber einige Kollegen in der Türkei sind aus Angst nicht bereit, für uns zu arbeiten. Das ist ein wesentlich größeres Problem. Auch die Finanzierung ist schwierig. Dank Spenden haben wir genug Geld bis Ende Juni, danach wird es eng. Wer uns unterstützt, hilft, gegen das Abgleiten der Türkei in die Diktatur zu kämpfen.
Wie geht das Projekt voran?
Ab Mittwoch wird es jeden Tag eine Sendung geben. An dem Tag wird mein Prozess in der Türkei fortgesetzt, ich werde mich live über die Webseite verteidigen. Die Menschen in meiner Heimat kennen zum Glück viele Wege, um die Blockade zu umgehen.