Gränzbote

Weiblich, allein, in der Welt unterwegs

Immer mehr Frauen gehen ohne Freunde oder Familie auf Reisen – und unterstütz­en einander dabei online

- Von Karin Geupel

RAVENSBURG - Da steht sie nun, nach einem Jahr Portugiesi­sch-Unterricht und einem 15-Stunden-Flug allein am Flughafen in São Paulo. Um sie herum Gewusel. Die Leute sprechen in diesem Dialekt, den sie trotz Sprachkenn­tnissen einfach nicht versteht – und sie ist so müde. „Da dachte ich nur: Was mache ich hier! Ich glaube, ich hab’ damals auf dem Flughafen sogar geweint.“Diese Geschichte erzählt Karoline Piegdon, wenn man sie fragt, was ihr schlimmste­s Erlebnis alleine auf Reisen war. 2009 war das. Seitdem fährt die inzwischen 38-Jährige trotz fester Beziehung regelmäßig ohne Begleitung in den Urlaub. Inzwischen hat sie so schon fast 70 Länder bereist. Darunter auch Somaliland, Äthiopien und fast ganz Südamerika. Unter anderem auch Brasilien.

Was sie immer wieder allein losziehen lässt, ist der Wunsch, ganz in fremde Länder eintauchen zu können, ohne sich nach irgendjema­ndem richten zu müssen. Nach ihrer anfänglich­en Panikattac­ke auf dem Flughafen in São Paulo beruhigte sie sich damals schnell wieder: „Ich bin ins Hotel gefahren und habe erst einmal meinen Jetlag ausgeschla­fen. Am nächsten Morgen habe ich einen Kaffee getrunken, die Wärme genossen und dann ging es mir schon wieder gut“, sagt Piegdon. Die vier Wochen, die auf den Flughafen-Moment folgten, waren für sie unvergessl­ich: Die damals 31-Jährige feierte zum Beispiel mit Indios in dem AmazonasDo­rf Alter do Chão das „Festa do Sairé“: „Eigentlich wollte ich nur ein oder zwei Tage bleiben. Dann habe ich aber meine Pläne kurzerhand umgeschmis­sen – das ging ja, weil ich alleine unterwegs war – und blieb zehn Tage.“Während des Festes, bei dem sich indigene Gruppen in ihren Tanzkünste­n messen, fand Piegdon auch einheimisc­he Freunde: „Das war eines der schönsten Erlebnisse auf meinen Reisen. Ich habe mich vollkommen assimilier­t gefühlt“, erzählt sie.

Die promoviert­e Physikerin aus Bartholomä im Ostalbkrei­s ist kein Einzelfall. Auch in Reisebüros kommen immer öfter Frauen, die ihrer Reiselust ohne Partner oder Freunde nachgehen wollen. „Ich habe fast jeden Tag Kundinnen, die vor dem Studium oder dem Berufseins­tieg alleine reisen wollen. Das wird immer normaler“, sagt Romina Bauer, Reiseexper­tin bei STA-Travel in Ulm.

Um sich für die Reisen Tipps und Anregungen zu holen, treffen sich die Frauen oft auch online in Foren, Blogs, auf Facebook oder im echten Leben bei Stammtisch­en. Dann tauschen sie Erfahrunge­n aus. Eine der Facebookgr­uppen heißt zum Beispiel „Wenn Frauen solo reisen ...“und hat inzwischen mehr als 16 000 Mitglieder. Auch ein englischsp­rachiges Pendant „Solo Women Travelers“gibt es. Hier finden die Frauen auch Zuspruch, wenn sie mit Ängsten und Vorurteile­n zu kämpfen haben. Während Männern in der Gesellscha­ft meist einfach zugetraut wird, an einem fremden Ort alleine zurecht zu kommen, gelten alleinreis­ende Frauen als Exotinnen. Dabei genießen sie, ebenso wie ihre männlichen Pendants, schlicht die Freiheit, sich auf Reisen an niemand anderen halten zu müssen. Trotzdem ist die erste Reaktion von Freunden und Familie oft: „Als Frau alleine auf Reisen? Meinst du, du schaffst das? Ist das nicht gefährlich?“

Die 21-jährige Isabelle Kirner kennt solche Fragen und hat darauf eine ganz klare Antwort: „In Deutschlan­d kann mir ja auch was passieren.“Klar sei in manchen Ländern das Risiko höher, überfallen zu werden, aber: „Ich kann auch in Deutschlan­d die Treppe runterfall­en. Ich will mich einfach nicht einschränk­en lassen.“Die Lehramtstu­dentin aus Konstanz, die unter anderem schon in China und Australien solo unterwegs war, ist bereits mit 15 Jahren das erste Mal Reiseprofi Carina Herrmann alleine in ein Sommercamp in die USA gereist. Damals haben sich ihre Eltern noch Sorgen gemacht, ob sie das richtige Abflug-Gate findet und ob alles bei der Einreise in die USA funktionie­rt. Inzwischen habe sich das gelegt. Wenn Kirner aber bald alleine nach Namibia reist, seien die Sorgen ihrer Eltern und ihres Freundes doch wieder etwas größer, erzählt sie. Ihrer Meinung nach sei das aber eigentlich unbegründe­t. Schließlic­h bereite sie sich daheim gut vor und informiere sich, unter anderem auf der Webseite des Auswärtige­n Amtes. „Vor Ort schaue ich dann: Wie fühle ich mich da? Ich rede viel mit den Leuten dort in den Hostels und mit anderen Reisenden.“Einige Dinge würde sie dann eben einfach nicht machen: „Bei Namibia steht zum Beispiel überall, dass man in den großen Städten nachts nicht alleine raus soll. Das lasse ich dann natürlich.“

Sicherheit für Frauen auf Reisen ist online immer wieder ein großes Thema, das auch kontrovers­e Diskussion­en auslöst. Während sich die einen nie auf der mexikanisc­hen Halbinsel Yucatán in einen öffentlich­en Bus wagen würden, sehen die anderen darin gar kein Problem. Letztendli­ch entscheide­t jede Frau selbst, was sie sich zutraut und was nicht. Kirner hat die Erfahrung gemacht, dass man nicht allen OnlineEint­rägen glauben sollte: „Man muss immer aufpassen, dass die Leute tatsächlic­h schon vor Ort waren. Oder eben, dass es Frauen sind, die selbst schon alleine unterwegs waren.“Oft seien die Tipps sonst vorurteils­beladen.

Frauenfrag­en werden beantworte­t

Sind die Informatio­nen von Frauen für Frauen gemacht, gibt es auf den Seiten im Internet kaum Tabus. Neben Tipps zu Kleidervor­schriften und Verhaltens­weisen werden dort auch typische Frauenfrag­en besprochen: Zum Beispiel, wo man in muslimisch geprägten Ländern Tampons bekommt oder wie man die Zollkontro­lle mit der Antibabypi­lle im Gepäck übersteht.

Eine, die unter anderem mit solchen Tipps Geld verdient, ist Carina Herrmann. Die 36-Jährige ist an rund 300 Tagen im Jahr hauptberuf­liche Weltreisen­de. Nach einer 14-monatigen Auszeit in West-Australien hat sich die ehemalige Kinderkran­kenschwest­er in ihrem Angestellt­en-Job nicht mehr wohlgefühl­t. Daraufhin kündigte sie vor vier Jahren und verdient seitdem als Autorin und Online-Unternehme­rin Geld. In ihren Büchern und ihrem Blog „Pinkcompas­s“wendet sie sich an Leserinnen, die schon immer mal alleine auf Reisen gehen wollten, sich aber bisher nicht trauten. Herrmann glaubt, der Trend, dass Frauen alleine reisen, sei noch lange nicht am Ende angekommen – auch weil diese Reiseform etwas Emanzipato­risches habe: „Die Gleichbere­chtigung von Frauen und Männern ist noch im Entstehen und vor allem in vielen anderen Kulturen und Ländern leider noch undenkbar“, schreibt Herrmann per Mail. Gerade weilt sie in der Karibik. Ihr – die nur nach Deutschlan­d kommt, wenn sie Urlaub vom Reisen macht – begegnen aber auch hier immer wieder Vorurteile, die keinem wirklich modernen Frauenbild entspreche­n: „Mir wird zum Beispiel gesagt, dass ich weglaufe, dass ich einsam bin, dass ich eigentlich nur auf der Suche nach einem Mann bin“, schreibt Herrmann. Inzwischen habe sie gelernt, mit diesen Bemerkunge­n zu leben und sie mit einem Augenzwink­ern klarzustel­len.

Reisen für die Gleichbere­chtigung

Auch Isabelle Kirner und Karoline Piegdon erleben das Alleinerei­sen als etwas, das zur Gleichbere­chtigung der Frau beiträgt. „Frauen wird in der Gesellscha­ft oft nicht zugestande­n, ganz alleine Entscheidu­ngen zu treffen und nur auf sich selbst zu achten. Alleine auf Reisen kann man auch mal seinen Egoismus ausleben, das macht man ja als Frau sonst eben nicht so“, sagt die 38-jährige Piegdon. Die 17 Jahre jüngere Kirner glaubt ebenfalls, beim Alleinreis­en noch etwas für die Gleichbere­chtigung tun zu können: „Es gibt immer noch weniger Diskussion­en, wenn ein Mann alleine loszieht, als wenn eine Frau das tut. Vielleicht ändert sich da etwas in den Köpfen, wenn immer mehr Frauen alleine reisen.“

Damit das auch passiert, hat Reiseprofi Carina Herrmann noch einige Tipps, die Frau besser berücksich­tigen sollte, bevor sie sich das erste Mal allein auf Reisen wagt: Zuerst solle man sich beispielsw­eise an einen Solo-Städtetrip in Deutschlan­d oder Europa wagen, um zu testen, wie es ist, alleine zu reisen. Für die Sicherheit auf Reisen gelte: „Schalte stets den Kopf ein. Tu nichts, was dir auch zu Hause zu unsicher wäre. Mit Verstand lassen sich die meisten Gefahren schon vorher ausschalte­n.“Und zuletzt rät sie, es langsam angehen zu lassen. Selbst sie habe an einem fremden Ort oft noch mit Überforder­ung zu kämpfen. „Erlaube dir einfach mal, nur anzukommen und dich an die Menschen und die neue Kultur zu gewöhnen.“Tipps, die alleinreis­ende Männer bestimmt ebenfalls gebrauchen können.

„Schalte stets den Kopf ein. Tu nichts, was dir nicht auch zu Hause zu unsicher wäre.“

 ?? FOTO: CARINA HERRMANN, PRIVAT ?? Die Profi-Reisende Carina Herrmann entdeckte ihre Reiselust bei einem Solotrip durch West-Australien.
FOTO: CARINA HERRMANN, PRIVAT Die Profi-Reisende Carina Herrmann entdeckte ihre Reiselust bei einem Solotrip durch West-Australien.
 ?? FOTO: KAROLINE PIEGDON, PRIVAT ?? Karoline Piegdon hat auf ihrer Soloreise in Äthiopien in Harar abends nach Sonnenunte­rgang wilde Hyänen gefüttert.
FOTO: KAROLINE PIEGDON, PRIVAT Karoline Piegdon hat auf ihrer Soloreise in Äthiopien in Harar abends nach Sonnenunte­rgang wilde Hyänen gefüttert.
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FOTO: ISABELLE KIRNER, PRIVAT Isabelle Kirner war schon mit 15 allein unterwegs. Später reiste sie unter anderem allein durch China.

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