Gränzbote

Ein Leben in drei Akten

„Moonlight“erzählt von der Selbstfind­ung eines schwulen, schwarzen Drogenhänd­lers

- Von Stefan Rother

Große Reden, vollkommen unerwartet­e Wendungen, hektische Entwicklun­gen: All das gab es bei „Moonlight“– allerdings nur bei der Oscar-Verleihung. Es ist nicht ohne Ironie, dass ausgerechn­et dieser Film für einen der größten Aufreger in der Geschichte des Preises sorgte, nachdem zunächst fälschlich­erweise „La La Land“als Sieger in der Kategorie „Bester Film“genannt wurde. Denn hastig oder überstürzt passiert bei dem zweiten Film von Barry Jenkins so gut wie gar nichts – selbst als sich die Hauptfigur einmal für eine recht drastische Handlung entscheide­t, hat sich diese bereits lange vorher angebahnt.

Vielmehr werden hier, gegliedert in drei Akten, die Stationen eines Lebens gezeigt, bei denen Hauptfigur Chiron jeweils von einem anderen Darsteller gespielt wird: Kindheit (Alex R. Hibbert), Jugend (Ashton Sanders) und Erwachsene­nalter (Trevante Rhodes). Regisseur Jenkins adaptierte für den Film ein unveröffen­tlichtes Theaterskr­ipt von Tarell Alvin McCraney, wofür es ebenfalls einen Oscar gab. Die beiden Männer kennen die im Film gezeigte Welt, sie stammen aus Liberty City, einem Stadtteil von Miami, der von dem Bild der Glitzer-Metropole in Florida denkbar weit entfernt ist.

Auch Chiron wächst hier auf und zu Beginn sieht man ihn bei der Flucht von einer Schlägertr­uppe. Drogendeal­er Juan (Mahershala Ali, der Remy aus „House of Cards“) und seine Freundin Teresa (Janelle Monáe) nehmen den von allen „Little“genannten Jungen für eine Nacht bei sich auf. In der Folge wird Juan für Chiron zum Vaterersat­z, denn sein leiblicher Vater ist schon lange verschwund­en und seine Mutter („Miss Moneypenny“Naomie Harris) überforder­t und drogensüch­tig. Zum Ende des ersten Aktes muss Chiron aber erfahren, dass Juan seiner Mutter das Crack verkauft hat.

Harte Schale, weicher Kern

Als Teenager macht Chiron dann seine erste homosexuel­le Erfahrung mit einem Schulfreun­d. Im rauen sozialen Umfeld der beiden gilt Homosexual­ität allerdings als inakzeptab­el und als Folge der fortlaufen­den Demütigung­en entwickelt Chiron eine harte Schale, die im finalen Akt, in dem er selber als Drogendeal­er arbeitet, dann wieder Risse bekommt.

Die drei Darsteller der Hauptfigur sind sich während der Dreharbeit­en nie begegnet und so verleihen sie der Rolle jeweils eine eigene Charakteri­stik, die aber dennoch an die jeweilige Vorgeschic­hte anschließt. Insbesonde­re Trevante Rhodes verleiht dem erwachsene­n Chiron eine spürbare Verletzlic­hkeit unter der nun muskelbepa­ckten Oberfläche. Auch die meisten Nebenfigur­en sind gut getroffen und Mahershala Ali erhielt völlig verdient den Oscar als bester Nebendarst­eller für seine vielschich­tige Darstellun­g von Juan, der leider nur im ersten Teil auftaucht.

Mit einem winzigen Budget von 1,5 Millionen Dollar zählt „Moonlight“zu den Oscar-Preisträge­rn mit den geringsten Produktion­skosten. Dies sieht man dem Film allerdings keineswegs an, vielmehr gelingen Kameramann James Laxton beeindruck­ende Bilder und Einstellun­gen. Auch der Soundtrack, der HipHop und Orchesterk­länge über einen pulsierend­en Bass mischt, trägt zur Atmosphäre von „Moonlight“bei.

Kein leicht zugänglich­er Film

Dies macht den Oscar-Preisträge­r allerdings noch lange nicht zu einem leicht zugänglich­en Film – auf die sich langsam entfaltend­e Handlung und die wortkarge Hauptfigur muss man sich einlassen. Dafür wird man mit Einblicken in eine Welt belohnt, die zunächst fern erscheint, aber doch viele Anknüpfung­spunkte bei Fragen von Identität, Maskulinit­ät und – hier letztlich doch wieder in klassische­r Kinotradit­ion – der Suche nach sich selbst und den Zielen im eigenen Leben bietet. „Moonlight“, Regie: Barry Jenkins, USA 2016, 111 Minuten, FSK: ab 12 Jahren. Mit Alex R. Hibbert, Ashton Sanders, Trevante Rhodes, Janelle Monáe, Mahershala Ali.

 ?? FOTO: DPA ?? Solche Karrieren sieht man selten im Kino: Oscar-Gewinner „Moonlight“erzählt die Lebensgesc­hichte von Chiron, der als Teenager (Ashton Sanders, rechts) im rauen sozialen Umfeld seine erste homosexuel­le Erfahrung macht und später als Drogendeal­er sein...
FOTO: DPA Solche Karrieren sieht man selten im Kino: Oscar-Gewinner „Moonlight“erzählt die Lebensgesc­hichte von Chiron, der als Teenager (Ashton Sanders, rechts) im rauen sozialen Umfeld seine erste homosexuel­le Erfahrung macht und später als Drogendeal­er sein...

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