Thomas-Mann-Haus soll transatlantische Partnerschaft stärken
Deutschland bringt Villa in Los Angeles auf Vordermann – Ab September werden dort fünf Stipendiaten wohnen
LOS ANGELES (dpa) - Die Bundesregierung kauft in Los Angeles für gut 13 Millionen Dollar ein altes Haus, um es zu retten. Warum? Thomas Mann wohnte hier einst während seines Exils. Ein Hausbesuch in Pacific Palisades.
Wer die neue, künftige Stipendiaten-Unterkunft der Bundesrepublik Deutschland in Los Angeles besucht, trifft zurzeit noch auf ein zugewachsenes Gebäude – eine Villa im Dornröschen-Schlaf. Das frühere Wohnhaus des in Lübeck geborenen Schriftstellers Thomas Mann im Stadtteil Pacific Palisades wirkt verwunschen. Das von der Straße kaum einsehbare Anwesen mit üppigem Garten, Pool und drei hohen Palmen hat eine bewegte Geschichte und wird bald zu einem Ort der Begegnung.
Nach ersten Exil-Jahren in Frankreich, der Schweiz und im Osten der USA in Princeton landeten die Manns erst Anfang der 1940er-Jahre unter der Sonne Kaliforniens, während in der alten Heimat Krieg herrschte und der dunkle Nazi-Terror wütete. Zunächst wohnten sie zur Miete in einem Haus am Amalfi Drive, bevor sie den Neubau am San Remo Drive bezogen. Das Viertel hier in Hanglage über dem Pazifik heißt „Riviera“. Die Straßen sind nach Orten am Mittelmeer benannt – neben San Remo und Amalfi auch Capri, Monaco, Sorrent. Es ist eine teure, ruhige Wohngegend.
Wie der deutsche Konsul bei einer Führung für Pressevertreter erzählt, haben aktuell Filmstars wie Goldie Hawn, Ben Affleck und Matt Damon in der Nähe eine Bleibe. Wer hier wohnt, scheint es etwas weniger protzig zu mögen als die Reichen in Beverly Hills, Bel Air oder in den Hügeln von Hollywood.
Adresse „1550 San Remo Drive“: Die Einfahrt führt bei geöffnetem Eisentor unter knorrigen Bäumen auf einen kleinen Hof mit geduckter Garage und Carport. Das Haus ist von vorne in seiner Größe kaum abzuschätzen und auch von hier ist vor lauter Pflanzen wenig zu sehen.
Über Gehwegplatten geht es links zum eigentlichen Hauseingang unter einem Vordach oder aber rechts direkt vom Unterstand für Autos durch ein Tor in den Garten. Ursprünglich schmückten das Grundstück, dessen Aussicht Richtung Pazifik im Laufe vieler Jahre zuwucherte, sieben Palmen, weshalb es auch „Seven Palms“hieß, als der Literaturnobelpreisträger hier lebte.
Im Garten wartet ein himmelblauer Pool. Vom Rasen geht es über ein paar Stufen auf eine Terrasse, die heute größtenteils überdacht ist, was sie anfangs in den 1940er-Jahren noch nicht war, wie alte Fotos zeigen. Quer dazu erstreckt sich fast über die ganze Hauslänge auch im ersten Stock eine Veranda.
Im Obergeschoss des Hauses gibt es mehrere kleine Räume, die als Schlafzimmer dienten. Im Erdgeschoss breitet sich dagegen ein großes Wohnzimmer mit Glasfront gen Garten aus. Auch die Küche ist hier.
Letzter Mieter war ein Anwalt
Außerdem findet der Besucher im Parterre den historisch wichtigsten Raum, das Arbeitszimmer mit dunklen Holzregalen. Von hier konnte Thomas Mann über eine kleine Privattreppe direkt ins eigene, von seiner Frau getrennte Schlafzimmer gehen. In diesem Büro erarbeitete der Hitler-Gegner in den Kriegsjahren unter anderem seine BBC-Radioansprachen „Deutsche Hörer!“.
Außerdem schrieb er hier Teile seiner Werke „Joseph, der Ernährer“und „Der Erwählte“sowie den Musikerroman „Doktor Faustus“, über den er viel mit dem Philosophen und Musiktheoretiker Theodor W. Adorno korrespondierte, der ebenfalls im Exil in Los Angeles lebte.
Entworfen wurde das zweigeschossige Haus, dessen Grundriss an einen kantigen Bumerang erinnert, vom Bauhaus-Architekten Julius Ralph Davidson. Nach den Manns lebten hier jahrzehntelang der kalifornische Anwalt Chet Lappen und seine Frau Jon, denen das kulturelle Erbe ihrer Immobilie bewusst und auch lieb war. Fremde, die an der Tür klingelten, weil sie Thomas Manns Exil-Adresse aus seinen Tagebüchern kannten, wiesen sie nicht ab. Nach dem Tod von Chet Lappen und nachdem seine Frau in ein Altenheim gezogen war, war das Haus in den vergangenen Jahren als Mietobjekt auf dem Markt.
Als in Deutschland bekannt wurde, dass das Haus, das keinen Denkmalschutz hat, nun zum Verkauf steht, ging die Angst um, ein Investor könne es kaufen und abreißen, um einen lukrativeren Neubau hinzustellen. Bundespolitiker und auch eine unter anderem von Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller unterstützte Online-Petition setzten sich dafür ein, dass Deutschland das Thomas-Mann-Haus erwirbt. Nach aufwendigen Verhandlungen im Auftrag des damaligen Außenministers und baldigen Bundespräsidenten FrankWalter Steinmeier geschah dies dann für umgerechnet 12,5 Millionen Euro.
Jetzt will Deutschland das Haus auf Vordermann bringen und vieles vom allzu heftigen Grün auf dem Grundstück beschneiden. Das Haus soll wieder atmen können. Die ersten bis zu fünf Stipendiaten sollen hier bereits ab September wohnen. Die Auserwählten sollen sich mit Themen wie Identität, Migration, Flucht und Exil beschäftigen und den transatlantischen Dialog stärken.