Kirchen bitten einander um Verzeihung
Buß- und Versöhnungsgottesdienst in Biberach betont im Jubiläumsjahr der Reformation Gemeinsames
- 50 oder 60 Jahre ist es her, dass katholische Bauern bevorzugt am höchsten evangelischen Feiertag, dem Karfreitag, Gülle auf den Feldern ausbrachten: Sie wollten ihre Missachtung gegenüber Protestanten zum Ausdruck bringen. Umgekehrt störten evangelische Christen gerne die Fronleichnamsprozessionen ihrer katholischen Erzfeinde, die daraufhin wehrhafte Garden zum Schutz der geweihten Hostie gründeten: Zwei Beispiele für symbolträchtige Spitzen im Kampf der Konfessionen, die zuvor über Jahrhunderte in Deutschland auch blutige Kriege gegeneinander geführt hatten. „Diese Zeiten sind zum Glück vorbei“, sagt der evangelische Pfarrer Ulrich Heinzelmann aus Biberach, „spätestens mit dem 2. Vatikanischen Konzil, das 1965 endete, sind die beiden Kirchen aufeinander zugegangen.“
In Biberach zeigen an diesem sonnigen Frühjahrssonntag der katholische Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, und der evangelische Landesbischof Frank Otfried July beim zentralen ökumenischen Buß- und Versöhnungsgottesdienst in Württemberg, dass der Umgang der Konfessionen heute je nach Sichtweise schwesterlich-brüderlich oder doch wenigstens respektvoll-freundschaftlich gestaltet werden kann. Die beiden Bischöfe betonen das Gemeinsame. Unter dem Stichwort „Healing of Memories“erinnern sie daran, was Christen einander angetan haben, bitten sich gegenseitig um Vergebung und besinnen sich auf den gemeinsamen Glauben an Christus, wie es während der Feier mehrere Male heißt. Als sichtbares Zeichen der Buße knien die beiden Bischöfe vor dem Altar. „Wir feiern regelmäßig miteinander Gottesdienst, aber wir haben erstmals gemeinsam gekniet“, ordnet Landesbischof July später im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“den Bußakt ein.
Untaten nicht aufrechnen
Man wolle die von Christen beider Konfessionen im Namen ihrer Kirchen begangenen Untaten nicht gegeneinander aufrechnen, sagen Fürst und July. „Wenn wir heute unsere Schuld bekennen, um Vergebung bitten, können wir die Lasten und Enttäuschungen der Vergangenheit ablegen und aufbrechen, weil wir manches nicht mehr mitschleppen müssen“, erklärt July. Wenn das gelingt, könne man sagen: „... da ist Freiheit“, zitiert er das Motto des Reformationsjubiläumsjahres in Württemberg. Solche Erinnerung in der Begegnung sei heilsam, bedeute aber niemals Vergessen, ergänzt sein katholischer Mitbruder Fürst.
Wie tief die geschichtlichen Gräben sind, die Katholiken und Protestanten in Deutschland über Jahrhunderte voneinander getrennt haben, ist tags zuvor, am Samstag, in Hildesheim deutlich geworden. Dort eröffneten die Spitzen der beiden großen Kirchen das Wochenende der Versöhnungsgottesdienste. Christen hätten in Eifer und Unduldsamkeit Kriege gegeneinander geführt, betonte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm: „Weite Teile Deutschlands und Europas wurden verwüstet. Menschen sind um ihres Glaubens willen vertrieben, gefoltert und getötet worden.“
Der Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, hob als Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz hervor, Dörfer oder Städte seien verfeindet gewesen, weil sie evangelisch oder katholisch waren. „Familien wurden zerrissen“, bekannte Marx. „Noch immer haben wir keinen Weg gefunden, im eucharistischen Abendmahl unsere Gemeinschaft mit Jesus Christus und untereinander zu feiern.“
Zwischen Katholiken und Protestanten sind zwei Streitpunkte von großer Bedeutung: Zum einen geht es um das unterschiedliche Abendmahlsverständnis. Außerdem ist der Vatikan bislang nicht bereit, die evangelische Kirche formell anzuerkennen.
Zurück nach Biberach. Schon die Wahl der Kirche für den württembergischen Versöhnungsgottesdienst war symbolträchtig: Die Stadtpfarrkirche St. Martin wird seit fast 500 Jahren von katholischen und evangelischen Gläubigen gleichberechtigt genutzt. Mit Ratsbeschluss war die Freie Reichsstadt Biberach 1531 zur Reformation übergegangen. Gleichzeitig hatten die Stadtoberen ihre Hauptkirche den Protestanten zur alleinigen Nutzung übertragen. Als Folge des „Augsburger Interims“wurden 1548 in der Biberacher Stadtpfarrkirche neben evangelischen Gottesdiensten auch katholische Messen wieder zugelassen.
Sie ist damit eine der am längsten simultan genutzten Kirchen Deutschlands. „Aber in diesem Raum haben Christen selten gemeinsam miteinander gefeiert, oft aber im Wechsel“, erklärt der katholische Pfarrer Kaspar Baumgärtner am Sonntag den vielen Hundert Mitfeiernden. Für den Wechsel-Schichtdienst gab es streng einzuhaltende „katholische Zeiten“und „evangelische Zeiten“. In der Kirchengeschichte ist aber von Pfarrern nachzulesen, die ihre Predigt überzogen, nur damit die jeweils andere Gemeinde bei Wind und Wetter vor der Tür warten musste. Und es ist von katholischen Mesnern die Rede, die ohne liturgischen Anlass das Weihrauchfass schwangen, um den evangelischen Kollegen eins auszuwischen.
Aus dem Nebeneinander der Kirchen sei ein Miteinander geworden, betonen an diesem Sonntag die Geistlichen. Damit meinen sie nicht nur praktische Biberacher Fragen: Seit der jüngsten Renovierung sind zwei Stromzähler eingebaut. Der jeweilige Mesner setzt den seinen zu Beginn des Gottesdienstes in Gang.
Für Frieden und Gerechtigkeit
Vielmehr versprechen beide Bischöfe in einer Selbstverpflichtung, gemeinsam „Zeugnis von Gott abzulegen“sowie „gemeinsam zu handeln und einander aktiv zu unterstützen“, wo immer es möglich sei. In Caritas und Diakonie, den beiden großen konfessionellen Organisationen, sei dies am ehesten möglich. Frieden und Gerechtigkeit seien Ziele, auf die man sich gut verständigen könne.
Ebenso wollen die Kirchen, den „konfessionsverbindenden Ehen alle Hilfestellung leisten“und die „ökumenische Grundhaltung in den konfessionsverbindenden Ehen in unseren Kirchen fruchtbar werden lassen“. Das Biberacher Ehepaar Barbara und Hans Martin, das während des Gottesdienstes die Fürbitten im Wechsel vorträgt, lebt diese Verbindung seit der Heirat vor 41 Jahren: „Damals hieß es noch konfessionsverschieden“, sagt Hans Martin, der Katholik, dem die Ökumene seit 1970 ein Herzensanliegen ist. Sein Fazit nach dem Gottesdienst: „Die Ökumene ist heute Realität geworden.“Und Barbara Martin, die Protestantin, ergänzt: „Dieser Tag endet für uns hoffnungsvoll, es ist viel erreicht worden.“Doch für Ehepaare wie die Martins hat die neue Grundhaltung der Kirchen ihre praktischen Grenzen, die dann doch trennen: An der katholischen Eucharistie, der Kommunion, dürften die Eheleute nach der reinen Lehre nicht gemeinsam teilnehmen.
Nach Jahrhunderten der Abgrenzung gibt es auch genug Skeptiker auf beiden Seiten, die die Ökumene offen ablehnen: „Nehmen wir Abschied vom geistlichen Hochmut, der den anderen nur defizitorientiert wahrnimmt. Sehen wir die Gabe des jeweils anderen“, mahnt July. Und Bischof Fürst erinnert daran, dass Christen durch die Taufe mit ihren Gnadengaben Glieder des einen Leibes Christi seien. Christen könnten einander ergänzen und bereichern: „Wir sind aufeinander bezogen, gerade in unserer Unterschiedlichkeit.“
Ein gemeinsames Abendmahl fehlt bei der Feier in Biberach – die Zeit ist noch nicht reif dafür. Aber wenigstens auf das Wort Gottes, die Bibel, können sich die Kirchen verständigen. Dass aber eine evangelische Bibel auf einem auch katholisch genutzten Altar aufliegt, ist wiederum nicht selbstverständlich. Das wurde es in Biberach erst, als die katholische Seite nach der Liturgiereform des 2. Vatikanischen Konzils in den 1960er-Jahren im gemeinsamen Kirchenschiff ein Lesepult aufstellen durfte. Am Sonntag signieren die Bischöfe die neue Altarbibel mit der revidierten Luther-Übersetzung. Die Bibel sei kein „papierener Papst“, hatte die Ulmer Prälatin Gabriele Wulz im Okober 2016 bei der Vorstellung gesagt: „Sie wird nach reformatorischem Verständnis in der Verkündigung, in der lebendigen Auseinandersetzung und in der Kommunikation zum Wort Gottes.“
Dass noch viel zu tun bleibt, wird überdeutlich. Beim anschließenden Empfang macht ein Wort von Bundespräsident Joachim Gauck, früher selbst evangelischer Pfarrer, die Runde. Er mahnt weitere Schritte der Zusammenarbeit an, die noch folgen müssten: „Eine Zukunft wird das Christentum in unserem Land am ehesten als ökumenisches haben.“