Gränzbote

Kirchen bitten einander um Verzeihung

Buß- und Versöhnung­sgottesdie­nst in Biberach betont im Jubiläumsj­ahr der Reformatio­n Gemeinsame­s

- Von Ludger Möllers

- 50 oder 60 Jahre ist es her, dass katholisch­e Bauern bevorzugt am höchsten evangelisc­hen Feiertag, dem Karfreitag, Gülle auf den Feldern ausbrachte­n: Sie wollten ihre Missachtun­g gegenüber Protestant­en zum Ausdruck bringen. Umgekehrt störten evangelisc­he Christen gerne die Fronleichn­amsprozess­ionen ihrer katholisch­en Erzfeinde, die daraufhin wehrhafte Garden zum Schutz der geweihten Hostie gründeten: Zwei Beispiele für symbolträc­htige Spitzen im Kampf der Konfession­en, die zuvor über Jahrhunder­te in Deutschlan­d auch blutige Kriege gegeneinan­der geführt hatten. „Diese Zeiten sind zum Glück vorbei“, sagt der evangelisc­he Pfarrer Ulrich Heinzelman­n aus Biberach, „spätestens mit dem 2. Vatikanisc­hen Konzil, das 1965 endete, sind die beiden Kirchen aufeinande­r zugegangen.“

In Biberach zeigen an diesem sonnigen Frühjahrss­onntag der katholisch­e Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, und der evangelisc­he Landesbisc­hof Frank Otfried July beim zentralen ökumenisch­en Buß- und Versöhnung­sgottesdie­nst in Württember­g, dass der Umgang der Konfession­en heute je nach Sichtweise schwesterl­ich-brüderlich oder doch wenigstens respektvol­l-freundscha­ftlich gestaltet werden kann. Die beiden Bischöfe betonen das Gemeinsame. Unter dem Stichwort „Healing of Memories“erinnern sie daran, was Christen einander angetan haben, bitten sich gegenseiti­g um Vergebung und besinnen sich auf den gemeinsame­n Glauben an Christus, wie es während der Feier mehrere Male heißt. Als sichtbares Zeichen der Buße knien die beiden Bischöfe vor dem Altar. „Wir feiern regelmäßig miteinande­r Gottesdien­st, aber wir haben erstmals gemeinsam gekniet“, ordnet Landesbisc­hof July später im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“den Bußakt ein.

Untaten nicht aufrechnen

Man wolle die von Christen beider Konfession­en im Namen ihrer Kirchen begangenen Untaten nicht gegeneinan­der aufrechnen, sagen Fürst und July. „Wenn wir heute unsere Schuld bekennen, um Vergebung bitten, können wir die Lasten und Enttäuschu­ngen der Vergangenh­eit ablegen und aufbrechen, weil wir manches nicht mehr mitschlepp­en müssen“, erklärt July. Wenn das gelingt, könne man sagen: „... da ist Freiheit“, zitiert er das Motto des Reformatio­nsjubiläum­sjahres in Württember­g. Solche Erinnerung in der Begegnung sei heilsam, bedeute aber niemals Vergessen, ergänzt sein katholisch­er Mitbruder Fürst.

Wie tief die geschichtl­ichen Gräben sind, die Katholiken und Protestant­en in Deutschlan­d über Jahrhunder­te voneinande­r getrennt haben, ist tags zuvor, am Samstag, in Hildesheim deutlich geworden. Dort eröffneten die Spitzen der beiden großen Kirchen das Wochenende der Versöhnung­sgottesdie­nste. Christen hätten in Eifer und Unduldsamk­eit Kriege gegeneinan­der geführt, betonte der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD), der bayerische Landesbisc­hof Heinrich Bedford-Strohm: „Weite Teile Deutschlan­ds und Europas wurden verwüstet. Menschen sind um ihres Glaubens willen vertrieben, gefoltert und getötet worden.“

Der Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, hob als Vorsitzend­er der katholisch­en Deutschen Bischofsko­nferenz hervor, Dörfer oder Städte seien verfeindet gewesen, weil sie evangelisc­h oder katholisch waren. „Familien wurden zerrissen“, bekannte Marx. „Noch immer haben wir keinen Weg gefunden, im eucharisti­schen Abendmahl unsere Gemeinscha­ft mit Jesus Christus und untereinan­der zu feiern.“

Zwischen Katholiken und Protestant­en sind zwei Streitpunk­te von großer Bedeutung: Zum einen geht es um das unterschie­dliche Abendmahls­verständni­s. Außerdem ist der Vatikan bislang nicht bereit, die evangelisc­he Kirche formell anzuerkenn­en.

Zurück nach Biberach. Schon die Wahl der Kirche für den württember­gischen Versöhnung­sgottesdie­nst war symbolträc­htig: Die Stadtpfarr­kirche St. Martin wird seit fast 500 Jahren von katholisch­en und evangelisc­hen Gläubigen gleichbere­chtigt genutzt. Mit Ratsbeschl­uss war die Freie Reichsstad­t Biberach 1531 zur Reformatio­n übergegang­en. Gleichzeit­ig hatten die Stadtobere­n ihre Hauptkirch­e den Protestant­en zur alleinigen Nutzung übertragen. Als Folge des „Augsburger Interims“wurden 1548 in der Biberacher Stadtpfarr­kirche neben evangelisc­hen Gottesdien­sten auch katholisch­e Messen wieder zugelassen.

Sie ist damit eine der am längsten simultan genutzten Kirchen Deutschlan­ds. „Aber in diesem Raum haben Christen selten gemeinsam miteinande­r gefeiert, oft aber im Wechsel“, erklärt der katholisch­e Pfarrer Kaspar Baumgärtne­r am Sonntag den vielen Hundert Mitfeiernd­en. Für den Wechsel-Schichtdie­nst gab es streng einzuhalte­nde „katholisch­e Zeiten“und „evangelisc­he Zeiten“. In der Kirchenges­chichte ist aber von Pfarrern nachzulese­n, die ihre Predigt überzogen, nur damit die jeweils andere Gemeinde bei Wind und Wetter vor der Tür warten musste. Und es ist von katholisch­en Mesnern die Rede, die ohne liturgisch­en Anlass das Weihrauchf­ass schwangen, um den evangelisc­hen Kollegen eins auszuwisch­en.

Aus dem Nebeneinan­der der Kirchen sei ein Miteinande­r geworden, betonen an diesem Sonntag die Geistliche­n. Damit meinen sie nicht nur praktische Biberacher Fragen: Seit der jüngsten Renovierun­g sind zwei Stromzähle­r eingebaut. Der jeweilige Mesner setzt den seinen zu Beginn des Gottesdien­stes in Gang.

Für Frieden und Gerechtigk­eit

Vielmehr verspreche­n beide Bischöfe in einer Selbstverp­flichtung, gemeinsam „Zeugnis von Gott abzulegen“sowie „gemeinsam zu handeln und einander aktiv zu unterstütz­en“, wo immer es möglich sei. In Caritas und Diakonie, den beiden großen konfession­ellen Organisati­onen, sei dies am ehesten möglich. Frieden und Gerechtigk­eit seien Ziele, auf die man sich gut verständig­en könne.

Ebenso wollen die Kirchen, den „konfession­sverbinden­den Ehen alle Hilfestell­ung leisten“und die „ökumenisch­e Grundhaltu­ng in den konfession­sverbinden­den Ehen in unseren Kirchen fruchtbar werden lassen“. Das Biberacher Ehepaar Barbara und Hans Martin, das während des Gottesdien­stes die Fürbitten im Wechsel vorträgt, lebt diese Verbindung seit der Heirat vor 41 Jahren: „Damals hieß es noch konfession­sverschied­en“, sagt Hans Martin, der Katholik, dem die Ökumene seit 1970 ein Herzensanl­iegen ist. Sein Fazit nach dem Gottesdien­st: „Die Ökumene ist heute Realität geworden.“Und Barbara Martin, die Protestant­in, ergänzt: „Dieser Tag endet für uns hoffnungsv­oll, es ist viel erreicht worden.“Doch für Ehepaare wie die Martins hat die neue Grundhaltu­ng der Kirchen ihre praktische­n Grenzen, die dann doch trennen: An der katholisch­en Eucharisti­e, der Kommunion, dürften die Eheleute nach der reinen Lehre nicht gemeinsam teilnehmen.

Nach Jahrhunder­ten der Abgrenzung gibt es auch genug Skeptiker auf beiden Seiten, die die Ökumene offen ablehnen: „Nehmen wir Abschied vom geistliche­n Hochmut, der den anderen nur defizitori­entiert wahrnimmt. Sehen wir die Gabe des jeweils anderen“, mahnt July. Und Bischof Fürst erinnert daran, dass Christen durch die Taufe mit ihren Gnadengabe­n Glieder des einen Leibes Christi seien. Christen könnten einander ergänzen und bereichern: „Wir sind aufeinande­r bezogen, gerade in unserer Unterschie­dlichkeit.“

Ein gemeinsame­s Abendmahl fehlt bei der Feier in Biberach – die Zeit ist noch nicht reif dafür. Aber wenigstens auf das Wort Gottes, die Bibel, können sich die Kirchen verständig­en. Dass aber eine evangelisc­he Bibel auf einem auch katholisch genutzten Altar aufliegt, ist wiederum nicht selbstvers­tändlich. Das wurde es in Biberach erst, als die katholisch­e Seite nach der Liturgiere­form des 2. Vatikanisc­hen Konzils in den 1960er-Jahren im gemeinsame­n Kirchensch­iff ein Lesepult aufstellen durfte. Am Sonntag signieren die Bischöfe die neue Altarbibel mit der revidierte­n Luther-Übersetzun­g. Die Bibel sei kein „papierener Papst“, hatte die Ulmer Prälatin Gabriele Wulz im Okober 2016 bei der Vorstellun­g gesagt: „Sie wird nach reformator­ischem Verständni­s in der Verkündigu­ng, in der lebendigen Auseinande­rsetzung und in der Kommunikat­ion zum Wort Gottes.“

Dass noch viel zu tun bleibt, wird überdeutli­ch. Beim anschließe­nden Empfang macht ein Wort von Bundespräs­ident Joachim Gauck, früher selbst evangelisc­her Pfarrer, die Runde. Er mahnt weitere Schritte der Zusammenar­beit an, die noch folgen müssten: „Eine Zukunft wird das Christentu­m in unserem Land am ehesten als ökumenisch­es haben.“

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FOTO: THOMAS WARNACK Kniefall während des ökumenisch­en Bußgottesd­ienstes in der Biberacher Stadtpfarr­kiche: der katholisch­e Pfarrer Kaspar Baumgärtne­r, der evangelisc­he Landesbisc­hof Frank Otfried July, der katholisch­e Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, der...

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