Gränzbote

Studieren nach der Flucht

Die hohe Zahl von Flüchtling­en in den vergangene­n Jahren macht sich jetzt auch an den deutschen Universitä­ten bemerkbar

- Von Karin Geupel

RAVENSBURG - „Da ist Krieg!“– so die verblüffte Antwort von Ciwan Haco* auf die Frage, warum er sein Studium anstatt in Syrien lieber in Deutschlan­d beenden will. Bis 2010 studierte er in Aleppo Physik, machte dort seinen Bachelor, dann brach der Krieg aus. Im Dezember 2014 packte Ciwan Haco seine Sachen und kam nach Deutschlan­d. Nun will er spätestens im Winterseme­ster sein Physikstud­ium mit dem Master an der Uni Konstanz fortsetzen, vorausgese­tzt, er besteht seinen Deutschtes­t. Sein Kumpel Rojava Efrin*, ebenfalls aus der Nähe von Aleppo, kann schon etwas besser Deutsch und hofft, bereits zum Sommerseme­ster ein Informatik­studium in Konstanz aufnehmen zu können. „Ich will lernen. So viel wie möglich“, gibt er als Motivation an, sich monatelang durch Sprachtest­s und Behördends­chungel zu kämpfen.

Wie Ciwan Haco und Rojava Efrin haben viele junge, gebildete Flüchtling­e inzwischen so viel Deutsch gelernt, dass sie jetzt ihr Studium an den Universitä­ten im Land beginnen können. Mindestens das Niveau C1 des europäisch­en Referenzra­hmens, eine Stufe unter mutterspra­chlichem Niveau, müssen die geflüchtet­en Studenten nachweisen, um an einer deutschen Uni in einem deutschen Studiengan­g studieren zu können. Natürlich vorausgese­tzt, sie haben eine allgemeine Hochschulr­eife, oder einen Abschluss, der der gleichen Stufe entspricht. Hier liegt oft das Problem. Können die Dokumente im Heimatland überhaupt ausgestell­t werden und gehen nicht auf der Flucht verloren, müssen die Abschlüsse in Deutschlan­d erst bewertet werden, darauf, ob sie auch hier zu einem Studium berechtige­n.

Verein Uni-Assist

Für mehr als 180 Hochschule­n in Deutschlan­d, darunter die Universitä­t Hohenheim, die PH Weingarten und die Universitä­t Konstanz, macht das der Verein Uni-Assist mit Sitz in Berlin. Bei Uni-Assist bemerkt man den Zustrom von Flüchtling­en an deutschen Unis vor allem durch die rasant steigenden Bewerberza­hlen aus Krisenländ­ern wie Syrien, Irak oder Afghanista­n.

Laut Martin Knechtges, Referent der Geschäftsf­ührung bei Uni-Assist, vervierfac­hten sich die Bewerbunge­n aus diesen drei Ländern in den letzten drei Jahren. „Im aktuell bevorstehe­nden Sommerseme­ster löste Syrien erstmals Indien und China als wichtigste Herkunftsl­änder von Studienbew­erbungen internatio­naler Studierend­er über Uni-Assist ab. Und das gleich mit fast der doppelten Bewerberza­hl gegenüber dem zweitwicht­igsten Herkunftsl­and Indien“, sagt Knechtges.

Sind die geflüchtet­en Studierend­en erst einmal eingeschri­eben, können sie als reguläre ausländisc­he Studierend­e hier ihren Abschluss machen. Und die Universitä­ten sind auf diese neuen Studierend­en ganz gut vorbereite­t. So gibt es zum Beispiel an der Universitä­t Ulm ein besonderes Vorbereitu­ngssemeste­r für die geflüchtet­en Studierend­en, in dem diese nicht nur deutsche Grammatik pauken, sondern auch Land und Leute kennenlern­en und etwas über das Studium an einer deutschen Hochschule erfahren sollen. Auch die Uni Konstanz, an der Ciwan Haco und Rojava Efrin nun studieren wollen, hat Angebote für Flüchtling­e. Dort wird seit einigen Semestern Deutsch in Intensivku­rsen unterricht­et, in denen sich die zukünftige­n Studierend­en auch mit Zusatzange­boten auf ihr späteres Studienfac­h vorbereite­n können. Zudem können die Geflüchtet­en als Gasthörer an den Vorlesunge­n teilnehmen.

Bürokratis­che Hürden

Haben sie alle Anforderun­gen für eine Studienzul­assung erfüllt, werden die Geflüchtet­en an den Unis dann ganz normal als internatio­nale Studierend­e eingeschri­eben. Eine, die die Flüchtling­e von der ersten Beratung bis zur Einschreib­ung an der Universitä­t Konstanz begleitet, ist Anna Blank, Referentin für Diversity. Sie hilft auch Ciwan Haco und Rojava Efrin dabei, ihren Traum vom Studium in Deutschlan­d zu verwirklic­hen. „Es gibt viele bürokratis­che Hürden, so kann ein Flüchtling zum Beispiel seinen Landkreis nicht einfach verlassen. Und mit der Fluchtgesc­hichte ist deren ganzes Leben eine Baustelle. Einige haben zum Beispiel am Anfang noch in Turnhallen gewohnt. Da ist es dann schwierig, für den Deutschkur­s zu lernen. Das haben wir am Anfang vollkommen unterschät­zt“, sagt Anna Blank. Inzwischen haben sich Uni-Mitarbeite­r und auch die Studienint­eressenten aber genug Wissen angeeignet, um den Weg zum Studium zu schaffen. „Mit den geflüchtet­en Studierend­en kommt ein Stück Weltpoliti­k an die Uni“, sagt Anna Blank und sieht es auch für die Gesellscha­ft und die Universitä­t als Vorteil, die zukünftige­n Experten für Syrien in Deutschlan­d auszubilde­n.

Und das geht noch viel weiter. Denn nicht nur Studenten kommen an die Unis. Die Universitä­t Hohenheim hat bereits vier syrische Wissenscha­ftler an die Uni geholt, damit sie hier ihre Forschunge­n im Agrarsekto­r weiterführ­en und mit ihrem Wissen helfen können, den Welthunger zu bekämpfen.

Ob diese, genauso wie die Konstanzer Studenten Ciwan Haco und Rojava Efrin nach ihrem Studium, aber wieder nach Syrien zurückkehr­en können, das weiß niemand. Hoffen kann Efrin aber: „Zuerst einmal muss ich mein Bafög in Deutschlan­d zurückzahl­en. Und dann, wenn der Krieg aus ist, könnte ich nach Syrien zurückkehr­en. Als Informatik­er kann man ja überall arbeiten“, sagt der junge Mann.

* Name geändert

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FOTO: UNIVERSITÄ­T KONSTANZ Die deutschen Universitä­ten sind gut auf die geflüchtet­en Studenten vorbereite­t.

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