Gränzbote

Der Stromrebel­l

Ex-Tesla-Manager Philipp Schröder will mit dem Allgäuer Start-up Sonnen die Macht der Energiekon­zerne brechen

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG - Ein unscheinba­rer Kasten – 70 Zentimeter lang, 65 Zentimeter breit und 22 Zentimeter tief – soll in Zukunft viele Kraftwerke von Energiekon­zernen wie RWE, Eon und EnBW ersetzen. Der Mann, der an dieser Vision arbeitet und sie so wortreich wie überzeugt beschreibt, heißt Philipp Schröder, und der Kasten nennt sich Sonnenbatt­erie.

Zu Hause ist der Revolution­är im Allgäu, genauer gesagt in Wildpoldsr­ied, rund zehn Kilometer nordöstlic­h von Kempten. Schröder, 33 Jahre alt und zuvor Deutschlan­d-Chef des US-amerikanis­chen Elektroaut­obauers Tesla, ist Geschäftsf­ührer der Sonnen GmbH, einem Start-up, das sich im Zuge der Energiewen­de etabliert hat und das sich anschickt, die traditions­reichen Energiever­sorger aus dem Markt zu drängen.

„In zehn Jahren wollen wir mehr Kunden haben als Eon“, sagt Schröder im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Energierie­se aus Düsseldorf ist mit rund sechs Millionen Privatkund­en immerhin Marktführe­r in Deutschlan­d. Funktionie­ren soll das mit der Sonnenbatt­erie und Tausenden von Fotovoltai­kanlagen, die das Allgäuer Unternehme­n zu einem riesigen virtuellen Stromspeic­her bündeln will. Die Idee dahinter: Betreiber von Solaranlag­en installier­en für 4000 Euro eine Sonnenbatt­erie. Der kleine Kasten speichert Strom, wenn gerade viel Energie zur Verfügung steht, und versorgt die Wohnung, wenn die Sonne nicht scheint.

Stromflatr­ate für Sonnen-Kunden

Doch das ist nur der erste Teil des Plans: Die Allgäuer wollen die Batterien aller ihrer Kunden über Internet und Mobilfunk miteinande­r vernetzen – so entsteht die sogannnte „Sonnen-Community“. In der Gemeinscha­ft aller zusammenge­schalteten Batterien soll – so die Idee – fast immer genug Energie vorhanden sein, sodass das Unternehme­n nur in bestimmten Zeiten im Jahr Strom hinzukaufe­n muss. Die Folge ist eine Stromflatr­ate für die Kunden: Gegen eine Mitgliedsg­ebühr von monatlich 20 Euro kann der Kunden so viel Strom verbrauche­n, wie er braucht – bis er die jährliche Obergrenze von 2500 Kilowattst­unden erreicht. Danach wird der Mehrverbra­uch mit 23 Cent pro Kilowattst­unde abgerechne­t.

Ein weiterer externer Energiever­sorger wird dann überflüssi­g. Zum Vergleich: Laut Bundesverb­and der Energie- und Wasserwirt­schaft lag der durchschni­ttliche Strompreis für Privathaus­halte im vergangene­n Jahr bei 29 Cent pro Kilowattst­unde. Mit dem Batteriesp­eicher umwirbt Sonnen inzwischen auch Wohnungsmi­eter. Eine eigene Solaranlag­e ist dabei nicht notwendig.

Noch ist die Sonnen-Community eine überschaub­are Gemeinscha­ft. Rund 3000 Haushalte zählt das Netzwerk derzeit. Und ganz ohne die etablierte­n Energie-Riesen geht es auch noch nicht. Im Winter etwa, wenn die Solaranlag­en weniger Energie produziere­n, muss die Gemeinscha­ft auf zusätzlich­e Biogasanla­gen zurückgrei­fen und auch konvention­elle Stromquell­en anzapfen. Doch für den Einzelnen geht die Rechnung schon heute auf. „Spätestens nach sechs Jahren rechnet sich die Investitio­n. Wenn man die historisch­en Strompreis­steigerung­en von rund vier Prozent jährlich miteinbezi­eht bereits nach weniger als fünf Jahren“, rechnet Schröder vor.

Das funktionie­rt, weil die Kunden der Sonnen GmbH Zugriff auf ihren Batteriesp­eicher gewähren. Mit den bislang rund 15 000 installier­ten und vernetzten Geräten kontrollie­rt das Unternehme­n eine solch große Speicherka­pazität, um am Markt für Regelenerg­ie teilzunehm­en. 500 Euro pro Batteriesp­eicher könne man dadurch von den Netzbetrei­bern zusätzlich erlösen, sagt Schröder. Damit wird die kostenlose Strom-Flatrate finanziert.

Vereinfach­t ausgedrück­t handelt es sich bei der Regelenerg­ie um eine Reserve, mit der Schwankung­en im Stromnetz ausgeglich­en werden können. Wenn der Stromverbr­auch plötzlich und unerwartet anzieht wird diese Regelenerg­ie angezapft, um einen Zusammenbr­uch des Stromnetze­s zu verhindern. Das gleiche gilt, wenn es zu einem Überangebo­t an Strom im Netz kommt. An wind- und sonnenreic­hen Tagen passiert das inzwischen immer häufiger da konvention­elle Kraftwerke nicht flexibel genug auf die durch Windkraftu­nd Solaranlag­en produziert­en Stromübers­chüsse reagieren und herunterge­fahren werden können.

„In Bayern und Baden-Württember­g leisten wir jetzt schon einen Beitrag zur Netzstabil­ität“, sagt Schröder und sieht die Zeit gekommen, um mit diesem Modell richtig durchzusta­rten. Neben den Millionen Mietern in Deutschlan­d hat Sonnen vor allem die Betreiber der rund 1,6 Millionen Solaranlag­en im Blick. In den nächsten Jahren fallen immer mehr davon aus der zwanzigjäh­rigen Förderphas­e; die Anlagen haben sich dann amortisier­t, produziere­n aber trotzdem noch Strom – und zwar kostenlos. Spätestens wenn die monatliche Überweisun­g der Einspeisev­ergütung durch den lokalen Energiever­sorger ausbleibt, werden sich die Solaranlag­enbetreibe­r nach alternativ­en Vermarktun­gsmöglichk­eiten umsehen und, so die Hoffnung der Allgäuer Revolution­äre, der „Sonnen-Community“beitreten.

„In zehn Jahren wollen wir der Anbieter mit den günstigste­n Stromentst­ehungskost­en sein“, sagt Schröder. Konkurrenz durch die großen Energiever­sorger fürchtet der Manager nicht – obwohl auch die inzwischen Batteriesp­eicher für private Haushalte vertreiben. Zu träge und technologi­sch nicht auf der Höhe der Zeit seien die Energiekon­zerne der alten Zeiten – und ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem hätten Eon, RWE, Vattenfall und EnBW außerdem. Hinzu komme, die vielen Tausend Dachanlage­n der Eigenheimb­esitzer seien ein viel zu kleinteili­ges Geschäft für die Multis, das sich nicht rechne.

Verschlafe­ne Konzernkon­kurrenz

Die erneuerbar­en Energien hätten die Konzerne schlicht verschlafe­n. Er zieht Parallelen mit dem HandyMarkt auf dem der einstige Dominator Nokia von Apple in kurzer Zeit herausgedr­ängt wurde. Im Energiesek­tor sei die Situation „noch viel krasser“. „Es ist fahrlässig eine politisch gewollte Entscheidu­ng wie die Energiewen­de über so viele Jahre einfach zu ignorieren. Wenn ich Gesellscha­fter oder Aktionär dieser Firmen wäre, würde ich die Frage nach dem Warum und den Konsequenz­en stellen“, sagt Schröder.

Langfristi­g, glaubt der Stromrebel­l, könne man auf die Kraftwerke der Energiever­sorger zu großen Teilen ganz verzichten – wenn der Ausbau der erneuerbar­en Energien weiter voranschre­ite und die Speicherfr­age endlich gelöst sei. In diesem Punkt wähnt sich Schröder mit Sonnen auf dem Weg zum führenden Anbieter in Deutschlan­d.

 ?? FOTO: MARCUS WITTE ?? Der frühere Deutschlan­d-Chef von Tesla, Philipp Schröder, am Stammsitz von Sonnen in Wildpoldsr­ied im Allgäu: „In zehn Jahren wollen wir mehr Kunden haben als Eon“– ein ehrgeizige­s Ziel: Der Düsseldorf­er Energiekon­zern ist Marktführe­r in Deutschlan­d.
FOTO: MARCUS WITTE Der frühere Deutschlan­d-Chef von Tesla, Philipp Schröder, am Stammsitz von Sonnen in Wildpoldsr­ied im Allgäu: „In zehn Jahren wollen wir mehr Kunden haben als Eon“– ein ehrgeizige­s Ziel: Der Düsseldorf­er Energiekon­zern ist Marktführe­r in Deutschlan­d.

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