Gränzbote

Höhere Inflations­rate stellt die Nullzinspo­litik infrage

Die Europäisch­e Zentralban­k überschwem­mt die Finanzmärk­te weiterhin mit billigem Geld – Sparer und Verbrauche­r sind die Verlierer

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Die Teuerungsr­ate hat den Zielwert von zwei Prozent erreicht. Trotz gestiegene­r Inflation bleibt die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) bei ihrer Nullzinspo­litik. Sie beließ vergangene Woche den Leitzins in der Eurozone unveränder­t bei null Prozent. Die wichtigste­n Fragen und Antworten zur Politik von EZB-Chef Mario Draghi und zu den Folgen der Politik für Verbrauche­r und Sparer.

Ist die Inflation jetzt dauerhaft zurück?

Die Sorge, dass alle Waren und Dienstleis­tungen nun schnell viel teurer werden, ist unbegründe­t. Zwar ist die Inflations­rate im Februar auf mehr als zwei Prozent in die Höhe geschnellt, doch geht diese Entwicklun­g vor allem auf Kosten für Energie und Lebensmitt­el zurück. Da der Ölpreis vor einem Jahr sehr niedrig war, wirkt sich dessen Normalisie­rung statistisc­h besonders stark aus. Auch bei den Lebensmitt­eln gibt es Sondereffe­kte, die zum Beispiel aus einer schlechten Ernte in Südeuropa resultiere­n. Dadurch sind die Preise für Gemüse gestiegen. Diese Effekte entfallen im Jahresverl­auf. Dann wird die Inflations­rate wieder sinken. Eine Teuerung von zwei Prozent ist außerdem das gewünschte Ziel der EZB.

Warum sind trotzdem viele Experten besorgt?

Normalerwe­ise steigen die Zinsen, wenn die Preise anziehen. Doch die EZB hält noch immer an einer Nullzinspo­litik fest und überschwem­mt die Finanzmärk­te mit billigem Geld. Das tut sie, weil die Konjunktur in anderen Euroländer­n noch nicht wie gewünscht läuft. Sie muss ja die Interessen des gesamten Währungsbl­ocks im Auge behalten. Daraus resultiere­n Risiken, auch für die Teuerung in Deutschlan­d. Bei den Immobilien­märkten hat sich mancherort­s bereits eine Preisblase gebildet. Die Immobilien­preise und Mieten steigen teilweise massiv an. Die deutsche Wirtschaft brummt. Das erleichter­t es den Unternehme­n, ihre Preise anzuheben. Diese Risiken könnten mittelfris­tig für einen weiteren Teuerungss­chub sorgen.

Inwiefern betrifft diese Entwicklun­g Sparer und Verbrauche­r?

Sparer und Verbrauche­r sind die großen Verlierer der Entwicklun­g. Da es für die normalen Sparguthab­en praktisch keine Zinsen mehr gibt, verliert das Vermögen der Sparer an Kaufkraft, wenn die Preise steigen. Die Verbrauche­r wiederum müssen mehr für ihren Lebensunte­rhalt ausgeben. Das wäre kein Problem, wenn die Löhne wenigstens in gleichem Maße steigen würden. Doch die Arbeitgebe­r geben schon zu erkennen, dass sich die Lohnabschl­üsse an der Produktivi­tätssteige­rung orientiere­n sollen und nicht an der Preissteig­erung. Liegen die Tarifabsch­lüsse unterhalb der Teuerungsr­ate, können sich die Arbeitnehm­er unter dem Strich weniger leisten.

Kann man gegen den Wertverlus­t des eigenen Vermögens etwas tun?

Es ist kaum möglich, Geld risikofrei und dennoch gut verzinst anzulegen. Nur Aktien verzeichne­n derzeit kräftige Kurssteige­rungen. Verbrauche­rschützer raten hier zum Kauf sogenannte­r Exchange Traded Funds, deren Risiko überschaub­ar ist, weil die Papiere die Entwicklun­g vieler Aktien abbilden und kostengüns­tig sind. Doch das Risiko erhebliche­r Abwärtskor­rekturen an den Börsen ist beträchtli­ch, gerade weil die Kurse so stark angestiege­n sind und es ungewiss ist, wie die Wirtschaft­spolitik der USA in Zukunft aussieht.

Warum bleiben die Zinsen trotzdem niedrig?

Die EZB hält weiterhin daran fest, den Leitzins niedrig zu halten und Anleihen aus den Euroländer­n zu kaufen. Damit will sie die Inflation in der gesamten Eurozone wieder in Richtung des Zielwertes von zwei Prozent bringen. Die Preise ziehen zwar im gesamten Euroraum derzeit in dieser Größenordn­ung an. Rechnet man jedoch die schwankung­sanfällige­n Preise heraus, liegt die sogenannte Kerninflat­ion noch knapp unter einem Prozent. Wie lange die Währungshü­ter an ihrer Strategie festhalten, ist noch offen. EZB-Chef Draghi hat am Donnerstag allerdings klargemach­t, dass sich kurzfristi­g nichts ändern wird. Basierend auf den aktuellen Daten halte der EZBRat die expansive Geldpoliti­k nach wie vor für angemessen, sagte Draghi. Der Handlungsd­ruck, weitere Maßnahmen – wie zum Beispiel neue Langfristk­redite für Banken – auf den Weg zu bringen, habe aber nachgelass­en. „Unsere Geldpoliti­k war erfolgreic­h“, bilanziert­e Draghi. Bis Ende 2017 will die Notenbank ihre milliarden­schweren Anleihekäu­fe fortsetzen. Mindestens bis dahin will der EZB-Rat die Zinsen auf dem aktuellen Rekordtief halten.

Ist eine Normalisie­rung der Entwicklun­g absehbar?

Die Meinungen über die Geldpoliti­k der EZB gehen weit auseinande­r. Politiker haben dabei formal nichts zu sagen. Denn die Zentralban­k ist ein unabhängig­es Gremium und darf daher auch unpopuläre Entscheidu­ngen treffen. Druck gibt es von den Befürworte­r und Gegnern der Niedrigzin­spolitik. In Deutschlan­d mehren sich die Stimmen, die einen allmählich­en Ausstieg aus den Nullzinspo­litik fordern. Das Institut der Deutschen Wirtschaft verlangt ähnlich wie das Münchner Ifo-Institut einen Kurswechse­l. Auch Bayerns Finanzmini­ster Markus Söder verlangt von der EZB eine Wende. In Frankreich ist der Niedrigzin­s hingegen willkommen, auch weil der Staat für neue Schulden nur geringe Zinsen bezahlen muss. Eine abrupte Abkehr von der bisherigen Strategie ist unwahrsche­inlich. Wenn die EZB dies beschließt, wird die Veränderun­g in kleinen Schritten stattfinde­n.

 ?? FOTO: DPA ?? Die markante Fassade des EZB-Turms am Main in Frankfurt: Ein Ende der niedrigen Zinsen ist nicht absehbar.
FOTO: DPA Die markante Fassade des EZB-Turms am Main in Frankfurt: Ein Ende der niedrigen Zinsen ist nicht absehbar.

Newspapers in German

Newspapers from Germany