Gränzbote

Die Götter müssen verrückt sein

Tina Lanik inszeniert in München „Die Troerinnen“nach Euripides als Zickenkrie­g

- Von Christiane Wechselber­ger

MÜNCHEN - Am Münchner Residenzth­eater ist ein antikes Drama zu sehen. Aber Tina Lanik hat aus Sartres Bearbeitun­g der „Troerinnen“von Euripides eine Seifenoper mit verrückten Göttern und zickigen Frauen gemacht.

Und das alles nur wegen eines Streits unter Verwandten! Prustend hievt Poseidon sich aus einem Wasserloch in der abgerockte­n Industrieh­alle mit aufgerisse­nen Rigipswänd­en, die Stefan Hageneier auf der Bühne des Residenzth­eaters installier­t hat.

Der langhaarig­e, langbärtig­e Kraftlackl Poseidon (Joachim Nimtz) ist stinkesaue­r, weil die Griechen seine Stadt Troja zerstört haben. Athene (Anna Graenzer) entsteigt ebenfalls dem Wasser und schimpft über die Entweihung ihres Altars durch die Griechen. Denen werden sie es zeigen. Wenn Zeus seine Blitze schleudert und Poseidon die Wellen auftürmt, wird es den Griechen auf der Heimfahrt übel ergehen. Dabei haben Hera, Athene und Aphrodite den Trojanisch­en Krieg angezettel­t, als sie Paris zum Schiedsric­hter in ihrem Göttinnens­treit aussuchten. Das interessie­rt aber nicht mehr. Am Ende ätzt Poseidon nur: „Führt nur Krieg, ihr blöden Sterbliche­n!“Ganz schön zynisch. Aber was will Tina Lanik uns damit sagen? Dass die Götter verrückt sind und die Menschen in der Hand haben? Wohl kaum. Dazu sind die in ihrer Inszenieru­ng auch viel zu dusselig-komisch.

Abgestumpf­te Gesellscha­ft

Jean-Paul Sartre adaptierte Euripides’ „Troerinnen“1965 unter dem Eindruck des Algerienkr­ieges als Kritik am französisc­hen Kolonialis­mus. Davon künden hier nicht viel mehr als ein paar plakative EuropaSätz­e, die wie angeklebt wirken. Bei Euripides kommen die europäisch­en Griechen nicht gut weg. Vor allem aber geht es um die Opfer, die nach einem von Männern geführten Krieg übrig bleiben. Frauen, die wie Waren unter den Männern aufgeteilt werden. Auch wenn in Euripides’ Weltsicht das Leid als schicksalh­aft angenommen wird, bleibt es doch Leid. Mit „Medea“hat der Dichter ebenfalls ein Stück über eine Barbarin geschriebe­n, die an einer Männergese­llschaft zugrunde geht. War er also ein früher Feminist?

Von Solidaritä­t unter den Frauen ist in Tina Laniks Inszenieru­ng nichts zu spüren. Sie stellt einen Zickenkrie­g auf die Bühne, der einer Soap würdig wäre. Charlotte Schwabs Hekuba ist die Matriarchi­n, die resigniert hat, aber nicht müde wird, die guten alten Zeiten märchentan­tenartig zu beschwören und auf der Bedeutung ihrer königliche­n Stellung rumzureite­n.

Meike Droste wirft sich mit reichlich Überschwan­g in Kassandras Wahnsinn. Sie mäandert zwischen tierischen Schmerzens­lauten, Wedding-Planer-Hysterie und dem trotzig-rotzigen Gehabe einer unreifen Göre. Das wirkt dann eher wie aus dem Klischeebu­ch des Irrsinns als innerlich verstört. Aber sie freut sich ja auf Agamemnons Untergang.

Für Hanna Scheibes Andromache scheint die Vorstellun­g, dass sie ihrem toten Mann untreu sein könnte, schlimmer als der Mord an ihrem Sohn. Da bleibt sie befremdlic­h gefasst, weil er ehrenhaft bestattet werden wird.

Und Helena, um die der Krieg geführt wurde? Juliane Köhler macht aus ihrem Erscheinen in turmhohen Schuhen, Hochfrisur und im halb durchsicht­igen Kleid einen wohlkalkul­ierten Auftritt und schiebt alle Schuld auf: die Götter. Thomas Huber als Menelaos windet sich als Geck im weißen Anzug schmierig, poltert rum und will Helena töten, reagiert aber ganz plump auf ihren Sexappeal. Da macht es dann auch nichts mehr, dass ihr die Perücke vom Kopf rutscht. Diese beiden eingefleis­chten Egoisten gehen quasi unbeschade­t aus der Sache raus. Fazit: Jeder ist sich selbst der Nächste?

Tina Lanik zeigt Abgestumpf­theit. Botschafte­n hat ihre Inszenieru­ng schon – in Form von ostentativ­en Bildern. Die Bühne liegt voller Leichen in Schulunifo­rmen. Die Mädchenges­ichter wabern im Video über die kaputten Wände. Als derangiert­e Barbiepupp­en im Lolita-Look erleben wir ihre Auferstehu­ngen. Sie sind nun Zwangspros­tituierte.

Doch eine Szene gibt es, in der etwas von dem Leid des Krieges und Mitleiden durchdring­t: als Talthybios (René Dumont) den toten Astyanax hereinträg­t und ihn liebevoll mit einer Fahne zudeckt. „Hier liegt ein totes Kind, vor dem sich Europa fürchtet.“

 ?? FOTO: ANDREAS POHLMANN ?? Antike Tragödie als Seifenoper: Mit Helena (Juliane Köhler, vorne) fing alles an. Sie wurde Menelaos (Thomas Huber) geraubt und folgte Paris nach Troja, an den Hof, wo sie Hekubas (Charlotte Schwab) Schwiegert­ochter wurde.
FOTO: ANDREAS POHLMANN Antike Tragödie als Seifenoper: Mit Helena (Juliane Köhler, vorne) fing alles an. Sie wurde Menelaos (Thomas Huber) geraubt und folgte Paris nach Troja, an den Hof, wo sie Hekubas (Charlotte Schwab) Schwiegert­ochter wurde.

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