Die Götter müssen verrückt sein
Tina Lanik inszeniert in München „Die Troerinnen“nach Euripides als Zickenkrieg
MÜNCHEN - Am Münchner Residenztheater ist ein antikes Drama zu sehen. Aber Tina Lanik hat aus Sartres Bearbeitung der „Troerinnen“von Euripides eine Seifenoper mit verrückten Göttern und zickigen Frauen gemacht.
Und das alles nur wegen eines Streits unter Verwandten! Prustend hievt Poseidon sich aus einem Wasserloch in der abgerockten Industriehalle mit aufgerissenen Rigipswänden, die Stefan Hageneier auf der Bühne des Residenztheaters installiert hat.
Der langhaarige, langbärtige Kraftlackl Poseidon (Joachim Nimtz) ist stinkesauer, weil die Griechen seine Stadt Troja zerstört haben. Athene (Anna Graenzer) entsteigt ebenfalls dem Wasser und schimpft über die Entweihung ihres Altars durch die Griechen. Denen werden sie es zeigen. Wenn Zeus seine Blitze schleudert und Poseidon die Wellen auftürmt, wird es den Griechen auf der Heimfahrt übel ergehen. Dabei haben Hera, Athene und Aphrodite den Trojanischen Krieg angezettelt, als sie Paris zum Schiedsrichter in ihrem Göttinnenstreit aussuchten. Das interessiert aber nicht mehr. Am Ende ätzt Poseidon nur: „Führt nur Krieg, ihr blöden Sterblichen!“Ganz schön zynisch. Aber was will Tina Lanik uns damit sagen? Dass die Götter verrückt sind und die Menschen in der Hand haben? Wohl kaum. Dazu sind die in ihrer Inszenierung auch viel zu dusselig-komisch.
Abgestumpfte Gesellschaft
Jean-Paul Sartre adaptierte Euripides’ „Troerinnen“1965 unter dem Eindruck des Algerienkrieges als Kritik am französischen Kolonialismus. Davon künden hier nicht viel mehr als ein paar plakative EuropaSätze, die wie angeklebt wirken. Bei Euripides kommen die europäischen Griechen nicht gut weg. Vor allem aber geht es um die Opfer, die nach einem von Männern geführten Krieg übrig bleiben. Frauen, die wie Waren unter den Männern aufgeteilt werden. Auch wenn in Euripides’ Weltsicht das Leid als schicksalhaft angenommen wird, bleibt es doch Leid. Mit „Medea“hat der Dichter ebenfalls ein Stück über eine Barbarin geschrieben, die an einer Männergesellschaft zugrunde geht. War er also ein früher Feminist?
Von Solidarität unter den Frauen ist in Tina Laniks Inszenierung nichts zu spüren. Sie stellt einen Zickenkrieg auf die Bühne, der einer Soap würdig wäre. Charlotte Schwabs Hekuba ist die Matriarchin, die resigniert hat, aber nicht müde wird, die guten alten Zeiten märchentantenartig zu beschwören und auf der Bedeutung ihrer königlichen Stellung rumzureiten.
Meike Droste wirft sich mit reichlich Überschwang in Kassandras Wahnsinn. Sie mäandert zwischen tierischen Schmerzenslauten, Wedding-Planer-Hysterie und dem trotzig-rotzigen Gehabe einer unreifen Göre. Das wirkt dann eher wie aus dem Klischeebuch des Irrsinns als innerlich verstört. Aber sie freut sich ja auf Agamemnons Untergang.
Für Hanna Scheibes Andromache scheint die Vorstellung, dass sie ihrem toten Mann untreu sein könnte, schlimmer als der Mord an ihrem Sohn. Da bleibt sie befremdlich gefasst, weil er ehrenhaft bestattet werden wird.
Und Helena, um die der Krieg geführt wurde? Juliane Köhler macht aus ihrem Erscheinen in turmhohen Schuhen, Hochfrisur und im halb durchsichtigen Kleid einen wohlkalkulierten Auftritt und schiebt alle Schuld auf: die Götter. Thomas Huber als Menelaos windet sich als Geck im weißen Anzug schmierig, poltert rum und will Helena töten, reagiert aber ganz plump auf ihren Sexappeal. Da macht es dann auch nichts mehr, dass ihr die Perücke vom Kopf rutscht. Diese beiden eingefleischten Egoisten gehen quasi unbeschadet aus der Sache raus. Fazit: Jeder ist sich selbst der Nächste?
Tina Lanik zeigt Abgestumpftheit. Botschaften hat ihre Inszenierung schon – in Form von ostentativen Bildern. Die Bühne liegt voller Leichen in Schuluniformen. Die Mädchengesichter wabern im Video über die kaputten Wände. Als derangierte Barbiepuppen im Lolita-Look erleben wir ihre Auferstehungen. Sie sind nun Zwangsprostituierte.
Doch eine Szene gibt es, in der etwas von dem Leid des Krieges und Mitleiden durchdringt: als Talthybios (René Dumont) den toten Astyanax hereinträgt und ihn liebevoll mit einer Fahne zudeckt. „Hier liegt ein totes Kind, vor dem sich Europa fürchtet.“