Nichts ist gut
Jonas Lüschers Roman „Kraft“über einen Intellektuellen in der Krise
Frühling der Barbaren“hieß die feine Novelle, mit der Jonas Lüscher (40) 2013 für Aufsehen sorgte und in der er die Verwerfungen des Finanzkapitalismus grotesk verdichtete. Das Werk des damals unbekannten Schweizers entwickelte sich überraschend zum Bestseller. Nun hat Lüscher sein zweites Werk vorgelegt.
„Kraft“ist die Geschichte eines Tübinger Rhetorikprofessors, dessen Leben sich in einer Sackgasse befindet und der im Silicon Valley den großen Befreiungsschlag versucht. Lüscher erweist sich in diesem politischen, satirisch zugespitzten Roman als präziser Beobachter unserer Gesellschaft und ihrer Krisen.
Richard Kraft erscheint sehr erfolgreich, hat er doch als Nachfolger von Walter Jens auf dem Rhetoriklehrstuhl in Tübingen eine gewisse akademische Reputation erworben. Doch seine Ehe mit Heike steht vor dem Ende, das Verhältnis zu den Töchtern ist unterkühlt. Hinzu kommen finanzielle Probleme: Da Kraft noch seine frühere Familie finanzieren muss, kann er sich die gewünschte Scheidung nicht leisten.
Da ereilt ihn ein Wink des Schicksals. Ein kalifornischer Internet-Mogul lobt eine Million Dollar für einen Essay-Wettbewerb aus. Ganz im Sinne des fortschrittsgläubigen IT-Millionärs muss in dem Vortrag begründet werden, „weshalb alles, was ist, gut ist.“
In Kalifornien trifft er seinen alten Kumpel István wieder. In den 1980er-Jahren waren sie glühende Anhänger von Reagan und Thatcher und unterschieden sich somit deutlich vom linken Mainstream an der Uni. Weltanschauung war für Kraft aber immer nur ein „Mittel der Distinktion“. Dumm nur, dass dann der Neoliberalismus zur grassierenden Mode wurde und er somit sein Alleinstellungsmerkmal verlor. Plötzlich machte es keinen Spaß mehr, „das Banner der Freiheit zu schwenken und das Lied von der Privatisierung durch Deregulierung“zu singen. In Wahrheit waren Krafts Ideale nur opportunistische Attitüden.
Eine Tragikomödie
Krafts Leben wird zur Slapstick-Komödie. Die abgedrehten digitalen Weltverbesserungsutopien der kalifornischen Hightech-Jünger lassen ihn verwirrt zurück, während er selbst in zunehmender Verzweiflung versucht, aus wild zusammengewürfelten Zitate-Versatzstücken seinen Vortrag zu zimmern, den er am Ende aber als „ausgedachte Hühnerkacke“in die Tonne tritt. Der Tiefpunkt ist erreicht, als er bei einer Ruderfahrt kentert und sich mit Müh und Not nackt und ohne Handy ans Ufer retten kann — eine traurige, zutiefst lächerliche Erscheinung. (dpa) Jonas Lüscher: Kraft. C.H. Beck Verlag, München, 237 Seiten, 19,95 Euro.