Die Freundschaft erhalten
Mit einem Federstrich hat Premierministerin Theresa May jetzt ein Versprechen erfüllt, das ihr Vorgänger David Cameron den Briten vor Jahren leichtfertig gegeben hatte. Frei und durch kein Vertragsgeflecht mehr gebunden an den Rest des Kontinents will das Vereinigte Königreich seine Zukunft alleine gestalten. Es ist ein Tag, der Geschichte schreibt – für die global ausgerichtete Inselnation, die sich im kleinen Europa oft eingeengt gefühlt hat. Aber auch für die EU, für die ein Austritt eines Mitgliedslandes jahrelang ein undenkbares, rein hypothetisches Szenario war.
Der 29. März ist kein guter Tag für die verbleibenden 27 Staaten. Denn er macht das Scheitern eines großen Integrationsexperiments auf dem Kontinent und dessen Wandel von einer solidarisch verbundenen Gemeinschaft zur zukünftig losen Union mehrerer Geschwindigkeiten für alle sichtbar. Ob die kommenden Generationen der Briten den „brexit day“als einen Unabhängigkeitstag feiern werden, ist indes fraglich. Klar ist heute nur, dass die Entscheidung für den Alleingang das Land verändert hat. Die Ausländerfeindlichkeit nimmt im Königreich zu, manche alten Wirtschaftsbande mit Rest-Europa werden gekappt, Britannien kapselt sich insgesamt politisch und sozial ab. Es ist heute vielleicht mehr Insel denn je zuvor.
Trotz der drohenden Schwächung Europas werden London und Brüssel erleichtert sein, dass die Zeit der vagen Absichtserklärungen vorbei ist und die praktische „Brexit“-Arbeit endlich beginnen kann. Während der zweijährige Countdown läuft, geht es darum, für den komplizierten EUAustritt rechtliche Modalitäten zu finden, die für beide Seiten akzeptabel sind. Die emotionale Debatte über angeblich offene Rechnungen von 60 Milliarden Euro geht bislang in die völlig falsche Richtung. Natürlich muss London seinen Verpflichtungen nachkommen. Doch kann niemand daran interessiert sein, die Briten zu bestrafen. Denn Europa braucht sie auch in Zukunft als gute Nachbarn, Partner und Freunde. Eine Scheidung tut weh. Mit einem Trauma enden muss sie aber nicht.