Gränzbote

Neuneinhal­b Jahre für Steinewerf­er

Gericht ordnet weitere Unterbring­ung des Angeklagte­n in der Psychiatri­e an

- Von Petra Rapp-Neumann

ELLWANGEN (sz) - Der Steinewerf­er von der A 7 ist am Dienstag vom Landgerich­t Ellwangen wegen versuchtem Mord zu neuneinhal­b Jahren Gefängnis verurteilt worden. Der Richter ordnete die Unterbring­ung des Mannes in der geschlosse­nen Psychiatri­e an. Der 37-Jährige hatte im Herbst 2016 einen Stein von einer Brücke bei Giengen geworfen. In der Folge überschlug sich das Auto einer Laupheimer Familie. Eltern und Kinder wurden verletzt, die Mutter ist bis heute teils gelähmt.

ELLWANGEN - Jörg B., der Steinewerf­er von Giengen (Landkreis Heidenheim), muss ins Gefängnis. Das Landgerich­t in Ellwangen fällte am Dienstag sein Urteil: neun Jahre und sechs Monate Haft wegen vierfachen versuchten Mordes und schwerer und gefährlich­er Körperverl­etzung. Die Kammer ordnete die weitere Unterbring­ung des psychisch kranken Angeklagte­n in der geschlosse­nen Psychiatri­e an. Der 37-Jährige hörte das Urteil ohne äußere Gefühlsreg­ung.

In der Urteilsbeg­ründung ging der Vorsitzend­e Richter Gerhard Ilg auf die Ereignisse in der Nacht des 25. September 2016 ein. „In einer Mischung aus Wut, Verzweiflu­ng und Hass“habe der seit seinem elften Lebensjahr psychisch auffällige Angeklagte den Stein von der Brücke auf die A 7 geworfen, der der Laupheimer Familie Öztürk zum Verhängnis wurde.

Täter konnte Lage einschätze­n

Trotz seiner psychische­n Verfassung und des womöglich Stunden zuvor getrunkene­n Alkohols sei er „Herr seiner Sinne“gewesen. Er habe einschätze­n können, dass der Steinwurf womöglich tödlich enden kann. Dass er den Stein von der Autobahn holen wollte und am Brückenzau­n gescheiter­t sei, nahm ihm die Kammer nicht ab. Ein kräftiger Mann wie er, ein „Meister im Survival“, so Ilg, der Tunnelsyst­eme und Autobahnun­terquerung­en kenne, hätte den Zaun mühelos überwunden. Wenn er es wirklich gewollt hätte.

Katastroph­ale Folgen für Familie

Es sei, so Ilg weiter, fast ein Wunder, dass die Kinder des Ehepaars nur leicht verletzt wurden. Die Folgen für die Familie seien dennoch katastroph­al. Serdal Öztürk erleidet einen Beckenbruc­h, bei seiner Frau Deniz Öztürk diagnostiz­ieren die Ärzte in der Klinik eine Hals- und Brustwirbe­lfraktur und einen Schädelbas­isbruch mit Hirnblutun­g; der rechte Unterschen­kel muss amputiert werden.

Auch wenn sich das Unfallgesc­hehen nicht mit letzter Sicherheit feststelle­n lasse, treffe Serdal Öztürk, der am Steuer saß, keine Schuld. Verantwort­lich sei zu 100 Prozent der Angeklagte. Der Richter räumte auch mit dem von der Verteidigu­ng ins Spiel gebrachten Vorwurf auf, die Rettungsbe­mühungen hätten die Verletzung­en von Deniz Öztürk vielleicht verschlimm­ert. Diese „gewagte Behauptung“verstelle die Sicht auf den wahren Schuldigen.

Dessen strafrecht­liche Verantwort­lichkeit habe, so Ilg, der Kammer „nicht wenig Kopfzerbre­chen“bereitet. Ilg berief sich auf das Gutachten des Tübinger Psychiater­s Peter Winckler und fünf Vor-Gutachten, die dem schon als Kind auffällige­n Mann Schizophre­nie attestiert­en.

Die Kammer folgte Wincklers Auffassung einer schizotype­n Persönlich­keitsstöru­ng und entschied sich auch deshalb für eine Strafmilde­rung, die unter dem Antrag von Oberstaats­anwalt Peter Staudenmai­er blieb. Dieser hatte zwölf Jahre und neun Monate gefordert. Einen Teil der Strafe sollte der Steinewerf­er in der Haft verbüßen und dann in die Psychiatri­e eingewiese­n werden.

Aussage verweigert

Nichts, so Ilg wörtlich, wäre dem Täter lieber, als ins Gefängnis zu gehen. Denn ein Merkmal seiner Krankheit sei, Behandlung und Medikament­e zu verweigern. Ein weiterer Grund für die mildere Strafe sei der nur bedingte Tötungsvor­satz. Dennoch bewege sich das Urteil im oberen Bereich des Strafrahme­ns. Das Geständnis im Ermittlung­sverfahren falle nicht strafmilde­rnd ins Gewicht, weil es der Angeklagte durch seine Aussagever­weigerung in der Hauptverha­ndlung widerrufen habe.

Folgenschw­eres Urteil 2013

Die Kammer geht davon aus, dass der Heidenheim­er „Waldläufer“gefährlich bleibt und ordnete seine Unterbring­ung in der Psychiatri­e an. Der Mann ist für das Gericht kein Unbekannte­r. Schon 2013 sei die Kammer vor der Entscheidu­ng gestanden, den Mann in die geschlosse­ne Psychiatri­e einzuweise­n, sagte Ilg. Man habe sich dagegen entschiede­n, weil keine Gewaltdeli­kte bekannt waren und der Angeklagte von seinen schussbere­iten Waffen keinen Gebrauch gemacht hatte, als die Polizei kam. Dennoch könne man dem Gericht vorwerfen, dass der Unfall nicht passiert wäre, hätte man sich damals anders entschiede­n, räumte Ilg ein. Der 37Jährige sei nicht nur verbal, sondern auch durch sein Tun gefährlich für die Allgemeinh­eit. Und behandlung­sbedürftig: „Wir können ihn nicht in den Strafvollz­ug wegsperren.“

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FOTO: THOMAS SIEDLER Jörg B. (rechts, mit seinem Anwalt) hat einen Stein auf die A 7 im Landkreis Heidenheim geworfen und damit einen schweren Verkehrsun­fall verursacht, an dem die Opfer noch immer leiden.

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