Die Krise der Meinungsumfragen
Nach Trump, Brexit und der Saarland-Wahl schwindet das Vertrauen in die Momentaufnahmen
BERLIN - In den Parteizentralen in Berlin steigt gerade die Betriebstemperatur vor den anstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein (7. Mai) und Nordrhein-Westfalen (14. Mai). An Rhein und Ruhr scheint laut manchen Umfragen die CDU etwas Boden gut zu machen gegenüber der regierenden SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Doch in Berlin heißt es bei vielen Politikern: „Ich glaube keiner Umfrage mehr.“
Die Saarland-Wahl steckt so manchen Genossen noch in den Knochen. Ein knappes Kopf-an-KopfRennen war vorhergesagt, doch zum Schluss lagen über elf Prozentpunkte zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und ihrer SPD-Herausforderin Anke Rehlinger. Diesen überzeugenden Sieg der CDU hatte niemand auf der Rechnung, selbst die CDU nicht. Ähnlich war es Wochen zuvor beim Brexit, den Meinungsumfragen bis zuletzt nicht wirklich erwarteten, und bei der Trump-Wahl in den USA.
Was ist dran am neu geweckten Misstrauen? Meinungsforscher haben eine Erklärung. Sie reden von „volatil“, wenn sie von einer schwankenden Stimmung im Land berichten. Und die gab es bei der Saarlandwahl durch den plötzlichen Aufstieg von Martin Schulz zum SPD-Spitzenkandidaten. Innerhalb kürzester Zeit kletterten die Beliebtheitswerte der SPD nach oben und zogen die Attraktivität der Saarland-SPD mit in die Höhe.
Jede neue Umfrage bestätigte den sogenannten „Schulz-Hype“und ließ die SPD hoffen. „Wenn es so weitergeht mit den Umfragen, dann mache ich mir um den Wahlsieg keine Sorgen“, sagte Martin Schulz Ende Januar in der Talk-Show von Anne Will. Doch es ging nicht so weiter, es kam für die SPD plötzlich ganz anders als erwartet. Der Politikwissenschaftler Professor Thorsten Faas von der Mainzer Universität macht darauf aufmerksam, dass die Ergebnisse aller Parteien im Saarland ganz gut vorhergesagt wurden mit Ausnahme von SPD und CDU. „Diese Verschiebungen auf der Zielgeraden zwischen Union und SPD kann es ja auch tatsächlich gegeben haben, das ist sogar sehr wahrscheinlich“, meint Faas. „Es ist also kein Fehler der Umfragen, sondern vielmehr sind dies Reaktionen der Menschen auf jüngste Umfragen.“
Der Wähler reagiere strategisch auf Umfragen, stellt auch der Demoskop Richard Hilmer fest. Nachdem die SPD sehr gut lag und damit ein rot-rotes Bündnis für das Saarland in Greifweite rückte, entschieden sich manche Wähler doch lieber für die Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. Auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber nimmt die Demoskopen in Schutz: „Ich glaube nicht, dass die Umfragen falsch waren"„ sagt er, sondern dass Schulz ein Bündnis mit Lafontaine ins Auge gefasst habe, habe die Wende gebracht. Das glaubt offensichtlich auch SPD-Chef Martin Schulz selbst. Denn er brachte kurz darauf demonstrativ ein Bündnis mit der FDP ins Spiel.
Korte: „Echo-Demoskopie“
Angela Merkel wiederum wurde angenehm überrascht vom Sieg ihrer Saarland-CDU, auch wenn sie sich zumindest öffentlich keine Sorgen macht. Schließlich gebe es noch viele Umfragen bis zur nächsten Bundestagswahl. Von einem „Marathon“spricht auch SPD-Spitzenmann Martin Schulz. Bekannt ist, dass während der langen Strecke zur Wahl Umfragen demobilisieren können, wenn es aussichtslos erscheint, oder mobilisieren, wenn es knapp werden könnte. Von „Echo-Demoskopie“spricht deshalb der Politikwissenschaftler Jan Korte.
Doch es gibt noch etwas anderes, was Umfragen erschwert. „Immer mehr Menschen entscheiden sich immer später, das macht das Geschäft schwieriger“, sagt Faas. Zudem hätten die Demoskopen aber auch tatsächlich damit zu kämpfen, dass weniger Menschen bereit sind, an ihren Umfragen teilzunehmen.
Welche Lehren können Forscher ziehen? „Sie müssen vor allem noch deutlicher machen, welche Unsicherheiten mit ihren Zahlen verbunden sind“, sagt Faas. Der Politik bleibt vor allem der Trost, den der grüne Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer in einem Interview formulierte: „Umfragen sind nicht unveränderlich.“Oder, wie Peter Tauber etwas kämpferischer formuliert: „In einer Woche kann man Umfragen ändern.“