Den Blick für den Beruf schärfen
Arbeitsagentur und Schulamt wollen Berufsorientierung an Schulen intensivieren
TUTTLINGEN - Einen flächendeckenden Fachkräftemangel gibt es aus Sicht der Bundesagentur für Arbeit in Deutschland nicht. Damit sich die bereits angespannte Lage – mit personellen Engpässen in technischen, Gesundheits- und Pflegeberufen – nicht verschärft, sollen Schüler früher und intensiver auf ihren Beruf vorbereitet werden.
Die Agentur für Arbeit Rottweil/ Villingen-Schwenningen und das Staatliche Schulamt Konstanz haben eine Vereinbarung unterschrieben, nach der die Berufsorientierung stärker in den Unterricht der Werkreal-, Gemeinschafts- und Realschulen im Landkreis Tuttlingen eingebunden wird. „Wir wollen in der fünften Klasse anfangen“, sagt Erika Faust, Vorsitzende der Arbeitsagentur Rottweil/Villingen-Schwenningen.
„Mit fünfter Klasse anfangen“
Das Ziel ist, dass Jugendliche eigenständiger ihren späteren Beruf auswählen. 80 Prozent der Ausbildungsoder Studienabbrecher wären zuvor von den Eltern bei der Wahl des Bildungsganges beeinflusst worden, meint Karl-Heinz Deußen. „Die Kinder dürfen nicht in eine Richtung geschoben werden, sondern müssen sich bewusst für einen Beruf entscheiden“, sagt der Konstanzer Amtsleiter – eine zunächst nicht passende Wahl eingeschlossen.
„Berufsbiographien dürfen Brüche haben. Aber eben nicht zu viele“, meint Deußen. Es soll verhindert werden, dass Jugendliche wegen zahlreicher beruflicher Umorientierungen dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen. „Wir können es uns als Gesellschaft nicht leisten, einen Schüler nicht auf einen guten Weg zu bringen. Was macht die Wirtschaft ohne Arbeitskräfte? Wir brauchen jeden Schüler, jeden Förderschüler, jeden Migranten“, meint Deußen.
Die Vereinbarung sieht vor, dass jeweils ein für die Berufsorientierung beauftragter Lehrer und ein Berater der Arbeitsagentur als Tandem an den 17 im Landkreis beteiligten Schulen eine Jahresplanung für das jeweilige Schuljahr erstellen. Mit Tests in den Klassen sechs bis acht sollen die Interessen, Talente und Fähigkeiten der Kinder ermittelt werden. Praktika, Betriebsbesichtigungen und Termine mit der Arbeitsagentur sollen zusätzlich dazu beitragen, dass die Kinder einen klaren Blick auf ihre Zukunft bekommen. Wie die Berufsorientierung, die Bestandteil aller Schulfächer sein soll, in den Schulen wirklich gestärkt werden soll, ließen Faust und Deußen offen. Die Schulen müssten das Curriculum erarbeiten.
Claudia Vollkammer, Beauftragte für die Berufsorientierung an der Realschule Trossingen, und Dominik Groß, stellvertretender Schulleiter an der Werkrealschule Schillerschule, sehen in der Vereinbarung eine Chance. „Es bringt schon etwas, wenn man das Thema fächerübergreifend aufnimmt“, sagt Vollkammer, deren Bildungsstätte wie die Schillerschule bereits stark in der Berufsorientierung engagiert ist. Allerdings müsse die Umsetzung zur Chefsache werden und an den Schulen „von oben“eingefordert werden. Gerade bei den Fachlehrern wird bei der Umsetzung Widerstände erwartet. Auch die Forderung nach der Berufsorientierung ab der fünften Klasse stößt auf Kritik. Sobald es um die Bewerbung gehe, sei das Thema angebracht. „Viel früher macht es keinen Sinn“, so Vollkammer.
Zudem wären auch die Betriebe stärker gefordert. Die guten Schüler würden gerne genommen und um die Schwächeren würde sich nicht entsprechend gekümmert. Es besteht die Sorge, dass die Berufsorientierung zu industrielastig wird. „Das unterstützt das gesellschaftliche Problem. Für das Handwerk und die sozialen Berufe wird zu wenig getan“, sagen Vollkammer und Groß.