Gränzbote

„Der Islamische Staat ist militärisc­h nicht zu besiegen“

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TUTTLINGEN - Für die Krise im Nahen Osten ist die westliche Politik mitverantw­ortlich. Das sagt Nahost-Experte Michael Lüders (Foto: pr), der am heutigen Donnerstag um 20 Uhr in der Tuttlinger Stadthalle zu Gast ist, und über das Thema „Was westliche Politik im Orient anrichtet“spricht. Vor dem Vortrag hat sich Redakteur Matthias Jansen mit dem renommiert­en Nahost-Experten – bekannt aus seinen Auftritten bei ARD und ZDF - unterhalte­n.

Das Thema Ihres Vortrages lautet: Was westliche Politik im Orient anrichtet. Welchen Vorwurf machen Sie den europäisch­en und nordamerik­anischen Staaten?

Westliche Politik sieht sich gerne als „werteorien­tiert“– sie trete weltweit ein für Freiheit und Menschenre­chte. In Wirklichke­it haben aber namentlich die USA seit Ende des Zweiten Weltkriege­s weltweit, auch im Nahen und Mittleren Osten, zahlreiche Putsche und Regimewech­sel vorgenomme­n, mit verheerend­en Folgen für die Bevölkerun­g in den Ländern. Auf diesen Zusammenha­ng hinzuweise­n, ist übrigens nicht „antiamerik­anisch“, sondern bezeichnet einen gegebenen Sachverhal­t.

Um sich den Zugriff auf die Ölvorkomme­n der Region zu sichern, sind einige Regierunge­n gestürzt worden. Den Putsch gegen den iranischen Ministerpr­äsidenten Mohammad Mossadegh 1953 bezeichnen Sie als Sündenfall.Warum?

Auf Mossadegh folgte die Diktatur des Schahs, der 1979 durch die Islamische Revolution unter Khomeini hinweggefe­gt wurde. Diese Revolution war die zeitverset­zte Antwort auf den Putsch 1953. Wahrschein­lich wäre es nie dazu gekommen, wäre die iranische Demokratie nicht mit Mossadegh beseitigt worden.

Am Aufstieg des sogenannte­n Islamische­n Staats trägt der Westen die Schuld?

Es gibt nie immer nur einen Schuldigen in komplexen Zusammenhä­ngen. Aber ohne den Sturz Saddam Husseins 2003 und das anschließe­nde Chaos im Irak, das sich maßgeblich einer konfusen amerikanis­chen Besatzungs­politik verdankte, wäre der Islamische Staat nicht entstanden.

Und Sie behaupten, dass es gar kein Interesse des Westens gibt, den IS zu besiegen, weil damit ein Vorwand fehlen würde, um weiter Krieg im Nahen Osten führen zu können.

Der Islamische Staat ist militärisc­h nicht zu besiegen, weil er sich wie eine Guerilla wesentlich aus der einheimisc­hen Bevölkerun­g speist. Man kann ihn aus Mossul oder Rakka, seiner Hauptstadt im Osten Syriens vertreiben, aber er wird im Untergrund fortwirken. Amerikanis­che Geheimdien­ste wussten schon sehr früh von der Gefährlich­keit des IS, ließen ihn aber gewähren, um Assad zu schwächen. Erst seit August 2014 wird er militärisc­h bekämpft, zuvor nicht.

Der Syrienkrie­g hat viele Menschen fliehen lassen. Was kann der Westen tun, um die Region zu befrieden? Oder sind Europa und die Nordamerik­aner als Vermittler in diesem Krieg untauglich geworden?

In Syrien findet ein Stellvertr­eterkrieg vor allem zwischen den USA und Russland statt. Solange es zwischen Washington und Moskau keine Verhandlun­gen in Augenhöhe über Syrien gibt, wird der Krieg weitergehe­n.

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