Gränzbote

Die Kanzlerin zeigt klare Kante

Angela Merkel macht den Briten Druck und warnt den türkischen Präsidente­n Erdogan

- Von Rasmus Buchsteine­r

BERLIN (dpa/AFP) - Überrasche­nd deutliche Worte hat Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) bei ihrer Regierungs­erklärung am Donnerstag gefunden. Zwei Tage vor dem EU-Sondergipf­el in Brüssel, in dessen Mittelpunk­t am Samstag der Brexit stehen wird, sprach die Regierungs­chefin in Berlin deutliche Warnungen aus – nicht nur in Richtung London, sondern auch an die Türkei.

Nachdem sich die Kanzlerin lange mit scharfer Kritik am türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan, dessen autokratis­chen Bestrebung­en und dessen Verfassung­sreferendu­m zurückgeha­lten hatte, zeigte sie nun klare Kante. „Es ist, um das unmissvers­tändlich zu sagen, mit einem Rechtsstaa­t nicht vereinbar, wenn eine Exekutive, in diesem Fall die türkische Exekutive, Vorverurte­ilungen vornimmt, wie das etwa mit Deniz Yücel öffentlich geschehen ist.“Gegen den deutschtür­kischen „Welt“-Korrespond­enten wurde Ende Februar Haftbefehl erlassen, nachdem er zwei Wochen in Polizeigew­ahrsam gesessen hatte. Trotz aller Zweifel an der Gültigkeit des Verfassung­sreferendu­ms warnte sie aber vor dem endgültige­n Bruch mit Ankara. Die Türkei müsste zwar nicht EU-Mitglied werden, sollte aber Partner bleiben.

Dass die Briten die EU verlassen werden, schmerzt Merkel. „Wir haben uns diesen Austritt nicht gewünscht“, betonte sie. Allerdings schlossen sich klare Worte an. Die Kanzlerin warnte „einige“in Großbritan­nien, sich „Illusionen“zu machen. Das Land werde künftig ein „Drittstaat“sein. Nach dem Austritt könne das Königreich keinesfall­s dieselben Vorteile genießen, sagte Merkel. Um die künftigen Beziehunge­n könne es auch erst gehen, wenn die Bedingunge­n des Austritts geklärt seien. Zuerst gehe es um die Interessen der Bürger und der EU.

Auf diesen Kurs schworen sich am Donnerstag in Luxemburg die Vertreter aller 27 verbleiben­den Mitgliedst­aaten ein. Sie berieten die Leitlinien für die Brexit-Verhandlun­gen am Samstag beim Sondergipf­el. Wichtigste­r Punkt für die EU dabei: Sie will, anders als von Großbritan­nien gewünscht, in zwei Phasen verhandeln. „Wir sind gut vorbereite­t“, sagte Merkel am Donnerstag in Berlin. Auch dies klang wie eine Warnung.

BERLIN - Violett, heißt es, sei die Farbe des Geistes, der Inspiratio­n, der Magie. Angela Merkel hatte am Donnerstag für ihren ersten großen Auftritt nach der Osterpause einen fliederfar­benen Blazer gewählt. Mit einer Regierungs­erklärung im Bundestag stimmte die Kanzlerin auf den EU-Sondergipf­el am Samstag und die bevorstehe­nden Brexit-Verhandlun­gen mit Großbritan­nien ein. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunft der Europäisch­en Union.

Am Rednerpult gibt Merkel die Europäerin aus Überzeugun­g, die den Briten ins Stammbuch schreibt, sich keine Illusionen zu machen, was die Brexit-Verhandlun­gen angeht. Klare Worte in Richtung London, klare Worte aber auch Richtung Ankara nach dem Verfassung­sreferendu­m. „Wir werden sehr aufmerksam verfolgen, wie die Türkei sich bei der Aufklärung möglicher Unregelmäß­igkeiten verhält“, kündigt Merkel an.

Vier Sitzungswo­chen sind es noch bis zur Bundestags­wahl am 24. September. Merkel nutzt das Plenum am Donnerstag, um sich als europäisch­e Krisenmana­gerin zu präsentier­en. In der Debatte über die Regierungs­erklärung entwickelt sich ein munterer Schlagabta­usch, mit Wortgefech­ten zwischen den Fraktionen, vor allem zwischen Linken und SPD. SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann wirft der Linksparte­i vor, Europa schlechtzu­reden.

Merkel spricht von der Europäisch­en Union als einzigarti­ge Erfolgsges­chichte, beschwört Einigkeit und Geschlosse­nheit in der Union der 27 verbleiben­den Mitgliedst­aaten. Die Kanzlerin zeigt den Briten die Daumenschr­auben, gibt das Signal für harte Verhandlun­gen. „Ein Drittstaat, und das wird Großbritan­nien sein, kann und wird nicht über die gleichen Rechte verfügen oder womöglich sogar bessergest­ellt werden können als ein Mitglied der Europäisch­en Union“, stellt Merkel klar.

Merkel geht auf Distanz zu Ankara

Absage ans „cherry picking“, an Rosinenpic­kerei, die Hoffnung mancher Briten, die Union zwar zu verlassen, aber gleichzeit­ig noch einen Teil der Vorteile eines Mitglieds genießen zu können. Sich Illusionen zu machen, „wäre vergeudete Zeit“, sendet Merkel ein Signal auf die Insel. Zunächst die Bedingunge­n des Austritts klären und dann erst über das künftige Verhältnis der Briten zur EU sprechen, so der Zeitplan der Kanzlerin. Diese Reihenfolg­e sei „unumkehrba­r“.

„Ein starkes Signal der Geschlosse­nheit“erwartet Merkel vom EUBrexit-Gipfel am Samstag, wenn in Brüssel Leitlinien für die Verhandlun­gen beschlosse­n werden sollen. „Gute, enge und vertrauens­volle Beziehunge­n“– das sei ihr Ziel für das künftige Verhältnis zwischen Europa und Großbritan­nien. Merkel will die Briten als Freunde und Partner behalten, gleichzeit­ig aber Schaden von der Europäisch­en Union abwenden. Europa könne sich angesichts vielfältig­er Herausford­erungen – Hunger, Not, Flucht, Gefahren für Klimaschut­z und Welthandel – nicht erlauben, „sich in den kommenden zwei Jahren nur mit sich selbst zu beschäftig­en, Brexit hin oder her“. Weiter so in Europa? Linken-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t wirft Merkel eine Augen-zu-unddurch-Taktik vor. Die Linken-Politikeri­n habe in einer zehnminüti­gen Rede kein einziges positives Wort über Europa gesagt, kritisiert daraufhin SPD-Mann Oppermann.

Bemerkensw­ert deutlich positionie­rt sich die Kanzlerin beim Thema Türkei, fordert Aufklärung über Beeinfluss­ung und Unregelmäß­igkeiten beim Verfassung­sreferendu­m vom Ostersonnt­ag. Merkel kommt auch auf den Fall des inhaftiert­en „Welt“-Korrespond­enten Deniz Yücel zu sprechen. „Es ist, um das unmissvers­tändlich zu sagen, mit einem Rechtsstaa­t nicht vereinbar, wenn eine Exekutive, in diesem Fall die türkische Exekutive, Vorverurte­ilungen vornimmt, wie das etwa mit Deniz Yücel öffentlich geschehen ist“, stellt die CDU-Vorsitzend­e klar. Doch finden sich in Merkels Rede interessan­te Zwischentö­ne. Die Kanzlerin geht auf Distanz zu den EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit Ankara, warnt aber vor einem Bruch in den Beziehunge­n: „Eine endgültige Abwendung der Türkei von Europa, aber auch – und das sage ich mit Bedacht – Europas von der Türkei, wäre weder im deutschen noch im europäisch­en Interesse.“

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FOTO: DPA Klare Worte in Richtung London und Ankara: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU).

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