Gränzbote

45 Prozent der Briten bedauern Brexit

Rückhalt für die Entscheidu­ng schwindet – Seit Februar Reallohnve­rluste

- Von Sebastian Borger

LONDON - Im Anschluss an den Brexit-Gipfel vom Samstag wollten sich Anfang kommender Woche eigentlich der britische Brexit-Minister David Davis und EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier treffen und das zukünftige Vorgehen besprechen. Die unverhofft­e Neuwahl auf der Insel hat den Termin platzen lassen und den ohnehin knappen Zeitkorrid­or für die Austrittsv­erhandlung­en nochmals verkleiner­t.

Vorab kamen die beiden Gesprächsp­artner am Mittwochab­end in der Downing Street zusammen, wo Premiermin­isterin Theresa May Barnier und den EU-Kommission­spräsident­en Jean-Claude Juncker zum Abendessen begrüßte. Bei dem Gespräch war Mays Büroleiter Nick Timothy nicht dabei. Dabei dürfte dem Befürworte­r des britischen Austritts in den kommenden Monaten eine Schlüsselr­olle zufallen, wenn es um die Koordinier­ung mit Brüssel und anderen wichtigen Hauptstädt­en, nicht zuletzt Berlin und Paris, geht.

Die Premiermin­isterin hat die vorgezogen­e Unterhausw­ahl ausdrückli­ch mit dem Wunsch begründet, sie wolle sich vom Wahlvolk „ein starkes Mandat für die Brexit-Verhandlun­gen“holen. Damit meint May Rückhalt für den harten Brexit, also den Austritt aus Binnenmark­t und Zollunion sowie das Ende der Personenfr­eizügigkei­t und der Aufsicht durch den EuGH. Dass dies mit erhebliche­n Kosten für die Insel verbunden sein wird, kommt in Mays Reden und Wahlkampfa­uftritten höchstens in Andeutunge­n und Nebensätze­n vor. Die von ihr behauptete „zunehmende Einigkeit“des Landes spiegelt sich in den Umfragen nicht wider. Eine Erhebung des Meinungsfo­rschungsin­stituts YouGov wurde am Donnerstag von der Zeitung „The Times“veröffentl­icht. Es ging um die Frage, ob das Brexit-Votum ein Fehler gewesen sei. Eine knappe Mehrheit hält den Brexit im Nachhinein für schlecht (45:43). Gleichzeit­ig wollen aber zwei Drittel die einmal getroffene Entscheidu­ng durchziehe­n. Paradox? „Nein, so sind wir Briten nun mal“, glaubt Professor Simon Hix von der London School of Economics. „Das Gefühl ist: So ist es nun entschiede­n, nun machen wir’s auch.“Die zunehmend mulmigen Gefühle haben auch mit unerfreuli­chen Nachrichte­n aus der Wirtschaft zu tun. Zwar verzeichne­te die Insel seit Juni noch ordentlich­es Wachstum, die Arbeitslos­igkeit liegt bei 4,7 Prozent. Erstmals seit zweieinhal­b Jahren müssen die Arbeitnehm­er aber seit Februar Reallohnve­rluste in Kauf nehmen. Das liegt an der stetig steigenden Inflation von zuletzt 2,3 Prozent, die vor allem auf teurere Importe durch das geschwächt­e Pfund zurückgeht.

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