Gränzbote

Exporte trotzen politische­n Unsicherhe­iten

Schlechter­e Aussichten durch Brexit

- Von Joachim Göres

HANNOVER - Der Austritt Großbritan­niens aus der EU, die wirtschaft­lichen Sanktionen gegen Russland seit der Krimkrise, die politische­n Veränderun­gen in der Türkei – gerade die auf Export ausgericht­ete deutsche Wirtschaft beobachtet besonders aufmerksam, wie sich diese Entwicklun­gen auf den Handel auswirken. Auf dem Außenwirts­chaftstag während der Hannover Messe zeigten sich die meisten Experten verhalten optimistis­ch.

„Nur ein Drittel der von der IHK befragten 1700 deutschen Unternehme­n erwartet negative Auswirkung­en durch den Brexit. Die Mehrheit ist positiv gestimmt, das ist erstaunlic­h“, sagt Horst Schrage, Hauptgesch­äftsführer der Industrie- und Handelskam­mer Niedersach­sen. Mittelfris­tig sei die Perspektiv­e im Handel mit den USA, mit Großbritan­nien oder der Türkei eher schlechter. „Es gibt in Großbritan­nien nach der Entscheidu­ng für den Brexit viel Euphorie. Der erwartete wirtschaft­liche Einbruch ist ausgeblieb­en. Das können wir als Ökonomen nicht erklären“, gibt sich der Chefvolksw­irt der Norddeutsc­hen Landesbank, Torsten Windels, etwas ratlos. Laut Windels habe es im vergangene­n Jahr ein Minus von zehn Prozent beim Export deutscher Güter nach Großbritan­nien gegeben. Dafür sei aber nicht der Brexit, sondern die Abwertung des britischen Pfundes verantwort­lich gewesen.

In Russland ist in den letzten Jahren die Wirtschaft eingebroch­en, mit deutlichen Folgen für deutsche Unternehme­n, die dort produziere­n. „Für uns hat sich seit 2012 der Markt halbiert, wir verkaufen in Russland nur noch die Hälfte der Fahrzeuge“, sagt Marcus Osegowitsc­h, Generaldir­ektor der VW Group Russland. Dennoch blickt er zuversicht­lich in die Zukunft. „Ich sehe für Russland eine positive wirtschaft­liche Entwicklun­g und weiterhin Chancen für deutsche Unternehme­n, sich dort neu anzusiedel­n“, sagt Osegowitsc­h. Er rechnet auch mit steigender Kaufkraft und wachsenden Pkw-Absatzzahl­en. Laut Jens Böhlmann, Leiter der Kontaktste­lle Mittelstan­d für Russland beim Ostausschu­ss der Deutschen Wirtschaft, wollen 33 Prozent der in Russland aktiven deutschen Unternehme­n in diesem Jahr investiere­n. Zudem steige das Interesse der russischen Wirtschaft an Kontakten in Richtung Westen, nachdem es in der Zusammenar­beit mit chinesisch­en Partnern zunehmend Probleme gebe. 5200 deutsche Unternehme­n sind an russischen Firmen beteiligt. Im vergangene­n Jahr sind die Einfuhren aus Deutschlan­d gesunken, die Direktinve­stitionen deutscher Unternehme­n in Russland dagegen gestiegen.

„Kein Unternehme­n aus unserer Region, das eine Niederlass­ung in Großbritan­nien, Russland oder der Türkei unterhält, hat sich wegen Schwierigk­eiten von dort zurückgezo­gen“, sagt Annabelle Girond, stellvertr­etende Leiterin der Handelskam­mer Bremen. „Viele erwarten in der Türkei eine Krise, aber sie kommt nicht und die Firmen investiere­n“, sagt Peter Heidinger, Geschäftsf­ührer der FMConsulti­ng aus Istanbul. In den letzten fünf Jahren sind die Ausfuhren niedersäch­sischer Unternehme­n in die Türkei ständig gestiegen. Allerdings sind die ausländisc­hen Direktinve­stitionen 2016 gegenüber dem Vorjahr um 31 Prozent zurückgega­ngen.

Skeptische­r präsentier­te sich Henning Vöpel, Direktor des Hamburgisc­hen Weltwirtsc­haftsinsti­tuts. Nach seinen Angaben ist angesichts zahlreiche­r Krisen die allgemeine Unsicherhe­it größer als nach den Anschlägen in New York auf das World Trade Center im Jahre 2001. „Hohe Unsicherhe­it führt immer zu großen wirtschaft­lichen Schwankung­en. Neben dem demografis­chen Wandel und der digitalen Transforma­tion bedrohen geopolitis­che Verwerfung­en und die damit verbundene­n erhöhten Handelskos­ten das deutsche Exportmode­ll.“

Großbritan­nien ist für deutsche Unternehme­n der drittwicht­igste Exportmark­t. 2016 verkauften sie Waren im Wert von 86 Milliarden Euro auf die Insel, vor allem Autos und Autoteile sowie Maschinen. Aus Baden-Württember­g gingen im vergangene­n Jahr für12,1 Milliarden Euro Güter in das Vereinigte Königreich. Die wirtschaft­liche Bedeutung der Türkei (2,9 Milliarden Euro) und Russlands (2,8 Milliarden Euro) ist deutlich geringer.

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