Gränzbote

Hass-Hymne im Rumpelrhyt­hmus

Mit „Vilnius“ist dem 35-jährigen Schauspiel­er Tom Schilling ein hörenswert­es Album gelungen

- Von Werner Herpell

(dpa) Dass Tom Schilling keines der üblichen deutschen Songwriter-Alben mit Liebesleid­und Betroffenh­eitslyrik machen wollte, klärt er schon in den ersten Textzeilen seines Debüts. „Trink endlich aus, und dann mach, dass du gehst/Nimm dir den Koffer, pack alles ein, und mach, dass du gehst“, ätzt der Berliner Schauspiel­er zu einem struppigen Rumpelrhyt­hmus.

Und weiter geht es im Opener von „Vilnius“mit dem verbalen Großreinem­achen: „Deine Sätze sind hohl, deine Verspreche­n sind leer/Und schön find ich dich schon seit Jahren nicht mehr.“Harte Worte, täuschend sanft gesungen von dieser typischen, hellen Tom-Schilling-Stimme. „Kein Liebeslied“gibt als bewusst fiese Hass-Hymne die Richtung vor für eine unkonventi­onelle Platte, wie sie nicht vielen der irgendwann auch noch singenden deutschen Schauspiel­er gelingt.

Mit Filmen wie „Crazy“(2000) oder „Der Baader Meinhof Komplex“(2008) hatte sich Schilling bereits einen Ruf erworben, als ihm mit der Streuner-Komödie „Oh Boy“(2012) der Durchbruch gelang. Zuletzt überzeugte der 35-Jährige in den TVSerien „Unsere Mütter – unsere Väter“und „Der gleiche Himmel“. Aber musste er deswegen nun unbedingt singenden Kollegen wie Jan Josef Liefers folgen?

Ja, sagt Schilling im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur– weil „Vilnius“Musik enthalte, „die anders ist als was es schon gibt“. Er habe lange mit sich „gehadert, ob das wirklich nötig ist“, aber jetzt stehe er hundertpro­zentig dazu. „Die Band, der Produzent, ich selbst – wir denken, dass die Platte für uns unangreifb­ar ist.“Auch wenn er natürlich wisse, dass die meisten musizieren­den Mimen für ihren Nebenjob Kritiker-Prügel beziehen.

Gossenwalz­er und Moritate

Schillings Band – das sind The Jazz Kids. Der Schauspiel­er traf die Musiker bei den Dreharbeit­en zu „Oh Boy“, dessen Soundtrack sie damals noch als Major Minors einspielte­n. Im Widerspruc­h zu ihrem neuen Bandnamen machen sie auf „Vilnius“aber keinen Jazz. Sondern Gossenwalz­er im Stil von Element of Crime („Genug“, „Ballade von René“) und düstere Moritaten wie Nick Cave („Draußen am See“, „Kalt ist der Abendhauch“). Und ja, auch einige echte Liebeslied­er sind dabei wie „Schwer dich zu vergessen“und „Ja oder Nein“, dem Duett mit der guten Freundin Annett Louisan. Schilling sieht es als glückliche­n Zufall an, dass er „diese tollen, unglaublic­h begabten, jungen Jazzmusike­r kennengele­rnt habe, die meine Freunde wurden“.

Unter der Regie des Produzente­n Moses Schneider (Beatsteaks) nahmen Tom Schilling & The Jazz Kids schließlic­h Lieder auf, die ihre schon erwähnten Vorbilder nicht leugnen, aber doch eigenständ­ig klingen. Der Schauspiel­er war schon früh an Musik interessie­rt: „Als ich im Autoradio mit meinen Eltern zum ersten Mal Leonard Cohen gehört habe, hat mich das mehr angesproch­en als Phil Collins.“Außerdem habe ihn „Rammstein als Band und Till Lindemann als Texter extrem geprägt. Die Sprache, der Sound seiner Worte“.

Schilling kennt seine Grenzen als Musiker: „Ich bin kein toller Sänger, auch kein toller Gitarrist.“Etwas Gesangsunt­erricht hat Schilling für sein sehr ernsthafte­s Debüt genommen. „Da freut sich die Band, wenn ich nicht so schief singe“, sagt er. Diese ehrlich wirkende Bescheiden­heit macht „Vilnius“zu einer sympathisc­hen Sache. Trotz kleiner Schwächen – die Coverversi­on des BettinaWeg­ner-Protestlie­des „Kinder (Sind so kleine Hände)“hätte nicht unbedingt sein müssen – ergibt dieses Schauspiel­er-Album Sinn.

Musik kostet Kraft

Wie es mit der Sängerkarr­iere nun weitergeht? Da legt sich Tom Schilling noch nicht fest: „Ich denke, auch weil die Platte so viel Kraft gekostet hat, dass ich erstmal am Ende bin. Es wird bestimmt fünf Jahre dauern, bis ich wieder genug Lieder geschriebe­n habe. (…) Also wenn noch mal eine Platte entsteht, dann entsteht sie – und wenn nicht, dann soll diese die einzige gewesen sein.“Dann könne er immerhin stolz auf „Vilnius“sein. Live: 7.5. München, Strøm; 8.5. Heidelberg, Karlstorba­hnhof.

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FOTO: JÖRG CARSTENSEN Ausflug in die Musik: Tom Schilling kommt mit seinem Album „Vilnius“auf Tour.

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