Wie die Nazis Luther benutzten
Ausstellung der „Topographie des Terrors“
BERLIN (KNA) - „Überall Luthers Worte“– unter diesem Titel beleuchtet das Berliner Dokumentationszentrum „Topographie des Terrors“ab diesem Freitag den Umgang der Nationalsozialisten mit dem Reformator. Das Motto der Sonderausstellung stammt aus einem Brief des evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer (1907-1945): „Überall Luthers Worte und doch aus der Wahrheit in Selbstbetrug verkehrt.“Der im Konzentrationslager Flossenbürg ermordete Widerstandskämpfer beschrieb damit schon früh die Vereinnahmung Martin Luthers durch die NS-Propaganda.
Deutsche Christen kontra Bekennende Kirche
In drei Abschnitten beschreibt die Schau, wie Hitler und seine Helfer in den zwölf Jahren ihrer Herrschaft die Schriften des Reformators in ihre Ideologie einbetteten. In einer ersten Phase 1933/34 wurde er als Reichseiniger und nationaler Visionär in den ideologischen Mittelpunkt gestellt. Luther-Zitate wie „Für meine Deutschen bin ich geboren, ihnen will ich dienen“oder „Ich suche nicht das Meine, sondern allein des ganzen Deutschlands Glück und Heil“passten zum Kult des Führers. Er stilisierte sich als bescheidener Diener seiner Nation, der von seinem Volk bedingungslosen Opferwillen verlangte.
Nach Einschätzung von Kurator Ulrich Prehn ging es den Nationalsozialisten damals darum, die evangelische Kirche für ihr Regime zu vereinnahmen. Den mit Hitler kollaborierenden „Deutschen Christen“stand die Bekennende Kirche gegenüber: „Beide Parteien beriefen sich auf Luther. Doch die Hitler-Gegner waren der Verfolgung durch das Regime ausgesetzt, politische Oberhand gewannen die Deutschen Christen unter Reichsbischof Müller“, so Prehn.
Von 1935 bis 1938 wurde Luthers Antisemitismus instrumentalisiert: An seinem 455. Geburtstag, dem 10. November 1938, brannten noch die Synagogen aus den Gewalttaten der vorigen Nacht, die die Nazis „Reichskristallnacht“nannten. Der Thüringer Landesbischof Martin Sasse (1890-1942) stellte Luthers antisemitische Spätschriften zu einer Broschüre zusammen, die das Pogrom legitimieren sollte. Das Heft mit Sätzen wie „Fort mit den Synagogen, weg mit den Juden“erschien in einer Auflage von 100 000 Exemplaren.
Die Hitler-treuen Christen wollten gar das Alte Testament aus der Bibel tilgen. In der NS-Hetzpostille „Der Stürmer“erschien eine antisemitische Karikatur, in der blonde Kinder vor einem Buchdeckel mit der Aufschrift „Altes Testament“stehen. Gehalten wird das Buch von einem dämonisch dreinblickenden Juden. Darunter der Vers: „Den Geist, der aus dem Buche spricht, versteht die deutsche Jugend nicht.“
Selbst die Luther-Hymne „Ein feste Burg ist unser Gott“wurde umgedichtet. Aus dem Lied verschwand der Hinweis, dass Jesus Christus jüdischer Herkunft war. In Eisenach wurde ein Institut mit dem Ziel gegründet, „das Jüdische und vom Judentum Beeinflusste aus der christlichen Lehre zu beseitigen und eine feste Anknüpfung an den germanischen Geist und deutsches Leben zu gewinnen“. In einer letzten Phase zwischen 1939 und 1945 stand die Luther-Rezeption im Zeichen des Krieges. Die Ausstellung präsentiert Fotografien von Feldgeistlichen, die durch ihre Militärseelsorge auch den Durchhaltewillen der Truppe stärken sollten.
Zugleich belegt die Ausstellung deutlich, dass die Stilisierung Luthers zum Nationalhelden keine Erfindung des Dritten Reiches war. Bereits zu dessen 400. Geburtstag, den Kaiser Wilhelm I. prunkvoll feiern ließ, klangen solche Töne an. Bis zum 5. November, täglich 10 bis 20 Uhr. Katalog, 272 Seiten, 16 Euro.