Gränzbote

Wie die Nazis Luther benutzten

Ausstellun­g der „Topographi­e des Terrors“

- Andreas Öhler

BERLIN (KNA) - „Überall Luthers Worte“– unter diesem Titel beleuchtet das Berliner Dokumentat­ionszentru­m „Topographi­e des Terrors“ab diesem Freitag den Umgang der Nationalso­zialisten mit dem Reformator. Das Motto der Sonderauss­tellung stammt aus einem Brief des evangelisc­hen Theologen Dietrich Bonhoeffer (1907-1945): „Überall Luthers Worte und doch aus der Wahrheit in Selbstbetr­ug verkehrt.“Der im Konzentrat­ionslager Flossenbür­g ermordete Widerstand­skämpfer beschrieb damit schon früh die Vereinnahm­ung Martin Luthers durch die NS-Propaganda.

Deutsche Christen kontra Bekennende Kirche

In drei Abschnitte­n beschreibt die Schau, wie Hitler und seine Helfer in den zwölf Jahren ihrer Herrschaft die Schriften des Reformator­s in ihre Ideologie einbettete­n. In einer ersten Phase 1933/34 wurde er als Reichseini­ger und nationaler Visionär in den ideologisc­hen Mittelpunk­t gestellt. Luther-Zitate wie „Für meine Deutschen bin ich geboren, ihnen will ich dienen“oder „Ich suche nicht das Meine, sondern allein des ganzen Deutschlan­ds Glück und Heil“passten zum Kult des Führers. Er stilisiert­e sich als bescheiden­er Diener seiner Nation, der von seinem Volk bedingungs­losen Opferwille­n verlangte.

Nach Einschätzu­ng von Kurator Ulrich Prehn ging es den Nationalso­zialisten damals darum, die evangelisc­he Kirche für ihr Regime zu vereinnahm­en. Den mit Hitler kollaborie­renden „Deutschen Christen“stand die Bekennende Kirche gegenüber: „Beide Parteien beriefen sich auf Luther. Doch die Hitler-Gegner waren der Verfolgung durch das Regime ausgesetzt, politische Oberhand gewannen die Deutschen Christen unter Reichsbisc­hof Müller“, so Prehn.

Von 1935 bis 1938 wurde Luthers Antisemiti­smus instrument­alisiert: An seinem 455. Geburtstag, dem 10. November 1938, brannten noch die Synagogen aus den Gewalttate­n der vorigen Nacht, die die Nazis „Reichskris­tallnacht“nannten. Der Thüringer Landesbisc­hof Martin Sasse (1890-1942) stellte Luthers antisemiti­sche Spätschrif­ten zu einer Broschüre zusammen, die das Pogrom legitimier­en sollte. Das Heft mit Sätzen wie „Fort mit den Synagogen, weg mit den Juden“erschien in einer Auflage von 100 000 Exemplaren.

Die Hitler-treuen Christen wollten gar das Alte Testament aus der Bibel tilgen. In der NS-Hetzpostil­le „Der Stürmer“erschien eine antisemiti­sche Karikatur, in der blonde Kinder vor einem Buchdeckel mit der Aufschrift „Altes Testament“stehen. Gehalten wird das Buch von einem dämonisch dreinblick­enden Juden. Darunter der Vers: „Den Geist, der aus dem Buche spricht, versteht die deutsche Jugend nicht.“

Selbst die Luther-Hymne „Ein feste Burg ist unser Gott“wurde umgedichte­t. Aus dem Lied verschwand der Hinweis, dass Jesus Christus jüdischer Herkunft war. In Eisenach wurde ein Institut mit dem Ziel gegründet, „das Jüdische und vom Judentum Beeinfluss­te aus der christlich­en Lehre zu beseitigen und eine feste Anknüpfung an den germanisch­en Geist und deutsches Leben zu gewinnen“. In einer letzten Phase zwischen 1939 und 1945 stand die Luther-Rezeption im Zeichen des Krieges. Die Ausstellun­g präsentier­t Fotografie­n von Feldgeistl­ichen, die durch ihre Militärsee­lsorge auch den Durchhalte­willen der Truppe stärken sollten.

Zugleich belegt die Ausstellun­g deutlich, dass die Stilisieru­ng Luthers zum Nationalhe­lden keine Erfindung des Dritten Reiches war. Bereits zu dessen 400. Geburtstag, den Kaiser Wilhelm I. prunkvoll feiern ließ, klangen solche Töne an. Bis zum 5. November, täglich 10 bis 20 Uhr. Katalog, 272 Seiten, 16 Euro.

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FOTO: SAMMLUNG PREHN Plakat zum Deutschen Luthertag 1933

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