Gränzbote

Michael Lüders spricht über den Syrien Krieg

Der Politologe und Publizist sieht den Westen verantwort­lich für zerfallend­e Staaten

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TUTTLINGEN (abra) - Der Politologe und Publizist Michael Lüders hat vor rund 180 Zuhörern in der Tuttlinger Stadthalle ein gänzlich anderes Bild des Krieges in Syrien gezeichnet, als es der „Mainstream“der Medien und Politik zeige. Begrüßt hatte VHS-Leiter Hans-Peter Jahnel.

Die Grundthese, die Lüders seinen beiden Büchern „Wer den Wind sät“und „Die den Sturm ernten“lautet: Der Westen, allen voran die USA, trägt aus geostrateg­ischen Motiven zur Ausweitung und Sicherung seiner hegemonial­en Rolle im Nahen Osten Hauptschul­d am Chaos in zerfallend­en Staaten.

In seinem Vortrag bewegt sich der Nahost-Fachmann, promoviert­er Politologe und Islamkundl­er, heute Politikber­ater und Präsident der deutsch-arabischen Gesellscha­ft, zwischen politikwis­senschaftl­icher Analyse und journalist­ischen Schlussfol­gerungen. Mit zwei Grundüberz­eugungen räumt Lüders auf: Dem Deutungsmu­ster, das über aller Berichters­tattung zu Syrien liegt „Wir sind die Guten, uns geht es um Menschenre­chte“, das Ganze führt zu etwas Besserem; und kulturalis­tischen Deutungen nach dem Muster von Huntington­s „Kampf der Kulturen“.

Lüders zeigt dies anhand von Fakten: Zum Zeitpunkt des Anschlags auf die Zwillingst­ürme habe es weltweit ein paar hundert gewaltbere­ite Dschihadis­ten und ein paar tausend Unterstütz­er gegeben, heute seien es zehntausen­de Dschihadis­ten und hunderttau­sende Unterstütz­er. Angesichts des Zerfalls von Teilen Nordafrika­s, Syriens, Iraks, Yemens und mangelnder Entwicklun­gsperspekt­iven anderer Staaten wie Ägypten wüchsen ganze Generation­en heran, die als Reservoir für Dschihadis­ten dienen. Ein weiteres Narrativ, das Lüders zerstört, ist das, dass der Aufstand in Syrien von einer modernen bürgerlich­en Schicht getragen werde und worden sei. In Wirklichke­it gebe es keine breite Mittelschi­cht, die die Macht hätte übernehmen können und es unterstütz­ten 50 Prozent der Bevölkerun­g, darunter die Bazaris, und die Minderheit­en, Assad. Letztere, weil sie sich vor den Übergriffe­n der im Krieg auf der anderen Seite stehenden sunnitisch­en Dschihadis­ten fürchteten.

Der Vortrag von Lüders krankt ein wenig daran, dass er seine Beobachtun­gen und das Anführen von Belegen und Fakten nicht mit der weiter gehenden ökonomisch­en Dimension verknüpft. Dafür ist die zynische, aber korrekte Aufzählung der Verhaltens­muster der Kriegspart­ei USA, anregend. So etwa, dass die USA den Syrien-Krieg durch Lieferung von libyschen Waffen über das Konsulat in Bengasi, befeuerten. Oder dass der Sturz von Saddam Hussein und der Machtüberg­ang der Herrschaft von der sunnitisch­en Minderheit auf die schiitisch­e Mehrheit plötzlich 200 000 bis 300 000 Sunniten arbeitslos gemacht hatte, darunter das irakische Militär. Oder die Rolle des West-Verbündete­n Saudi-Arabien bei der Verbreitun­g konservati­ver Deutungsmu­ster des Islam in der Welt und eigener Menschenre­chtsverlet­zungen.

Lüders interpreti­ert den SyrienKrie­g als Stellvertr­eterkrieg zwischen den USA und Russland. Entspreche­nd gefährlich sei er auch für uns. Er plädiert für eine kritischer­e Überprüfun­g, ob europäisch­e Interessen identisch mit US Interessen seien. Zum Thema Flüchtling­e warnte er vor Hysterie: Im Verhältnis zu dem, was in der Region aufgefange­n würde sind die Aufnahmen in Europa „Peanuts“. Auch die mediale „Hysterie“zum Thema Terrorismu­s geißelt Lüders.

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