Angepasste Truppe zieht Extremisten an
Kritiker vermissen „kritische Geister“bei der Bundeswehr – Neue Debatte um Wehrpflicht
ULM - „Attraktiv für Extremisten jedweder Couleur“: Der Münchner Historiker Michael Wolffsohn bescheinigt den deutschen Streitkräften ein strukturelles Problem. Seit der Abschaffung der Wehrpflicht im Jahr 2011 habe die Truppe enorme Defizite im Personalbereich. Wolffsohn muss es wissen, war der frühere Geschichtsprofessor doch lange an der Münchner Bundeswehr-Universität mitverantwortlich für die Offiziersausbildung. Er benennt den Grund für die Entwicklung: „Die Entscheidung, die Wehrpflicht abzuschaffen ist verantwortlich dafür, dass dem Militär jetzt die ,normalen’ Bürger fehlen.“
Mit der Festnahme des Oberleutnants Franco A., der sich als syrischer Flüchtling ausgegeben hatte und im Verdacht steht, einen Anschlag vorbereitet zu haben, ist die Debatte um die Wehrpflicht neu aufgeflammt. Zwar meint der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), die heutige Bundeswehr sei „älter, professioneller, familienorientierter als etwa die einstige große Wehrpflicht-Armee mit ihren 500 000 Soldaten“. Sehr viele Soldaten hätten heute „die Familie als Lebensmittelpunkt, nicht den Kameradenkreis“. Doch gibt es auch bedenkliche Tendenzen: 280 Verdachtsfälle rechtsextremer Delikte in der knapp 180 000 Mann starken Bundeswehr sind beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) anhängig. „Wir reden nicht über Extremisten, sondern über Verdachtsfälle“, sagt ein Sprecher. 120 Fälle stammten aus dem Jahr 2016, im laufenden Jahr seien 93 neue Fälle hinzugekommen – davon etwa 40 seit Anfang März.
Angesichts dieser Zahlen stellt nicht nur der Wissenschaftler Wolffsohn die Frage, ob die Bundeswehr mehr unangepasstere Charaktere braucht, als sich heute im Bewerberkreis finden. „Durch den Grundwehrdienst kamen viele kritische Geister in die Truppe, die jetzt fehlen“, sagte Hauptmann Florian Kling, Sprecher des Arbeitskreises „Darmstädter Signal“der „Schwäbischen Zeitung“.
Filterfunktion fehlt
Der Arbeitskreis ist nach eigenen Angaben das einzige kritische Sprachrohr von Offizieren und Unteroffizieren sowie Soldaten und zivilen Angehörigen der Bundeswehr. Sprecher Kling erinnert sich: „Die Filterfunktion des Grundwehrdienstes gibt es nicht mehr. Während der 12, 15 oder 18 Monate fielen Typen, die nicht zur Bundeswehr passten, automatisch auf.“Beispielsweise im Kameradschaftsheim, auf der Stube. „Die bewarben sich dann entweder gar nicht. Oder sie wurden im Bewerbungsverfahren aussortiert.“
Mit dem Wegfall dieser sozialen Kontrollfunktion sei es leichter, auch mit extremen Ansichten in die Truppe zu kommen. „Wer heute eine rechte Gesinnung hat und diese im Assessment-Center versteckt, hat gute Chancen, als Soldat auf Zeit einen mehrjährigen Vertrag zu bekommen“, so Kling. Einmal im Dienst, sei es für den Soldaten leicht, geistig ab- und unterzutauchen. „Die Rechten outen sich nicht in der Dienstzeit. Wer mit dem Hakenkreuz auf der Brust erwischt wird, ist schnell draußen. Aber der Dienst endet um 16.30 Uhr, danach ist Freizeit. Und es bekommt niemand mit, was der Kamerad nach Dienst tut.“
Das Verteidigungsministerium hat eine „Aufklärung der aktuellen Vorgänge“um Franco A. versprochen. Die Bundesanwaltschaft übernahm die Ermittlungen gegen den Offizier. Unter Druck steht jedoch auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), das den Oberleutnant für einen Syrer hielt. Das Bamf ließ am Dienstag die Fragen der „Schwäbischen Zeitung“zum Skandalfall unbeantwortet und begründete dies mit den laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und der Arbeite in erUnt er suchungs gruppe.
Das Bundesamt setzt nach eigener Darstellung auf moderne Technik, um ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden: Dazu gehöre der Einsatz von Sprach identifizierungs software im Asylverfahren. „Bei Zweifeln über die Identität und Reisewege von Asylbewerbern wäre es hilfreich, ergänzend auch deren Handys auslesen zu können“, sagte eine Bamf-Sprecherin.