Gränzbote

Verdacht auf Nähe zu Reichsbürg­ern

Die Bürgermeis­terin von Bolsterlan­g im Oberallgäu soll vom wirren Gedankengu­t der Staatsverw­eigerer-Szene infiziert worden sein

- Von Uwe Jauß

RAVENSBURG (sz) - Die bayerische Landesanwa­ltschaft prüft derzeit in einem Disziplina­rverfahren, ob Monika Zeller, Bürgermeis­terin von Bolsterlan­g im Oberallgäu, in enger Verbindung zu der sogenannte­n Reichsbürg­erbewegung steht. Grund ist eine Veranstalt­ung in Bolsterlan­g, dessen Referent den Reichsbürg­ern nahesteht. Zeller soll selbst teilgenomm­en und nicht verhindert haben, dass der Vortragend­e das Gedankengu­t der Reichsbürg­erbewegung verbreitet hat.

BOLSTERLAN­G - Fremde sind in Bolsterlan­g gerne gesehen – zumindest wenn sie betuchte Touristen sind. Das schmucke Oberallgäu­er Bergdorf mit seinen 1000 Einwohnern lebt zu wesentlich­en Teilen von Feriengäst­en. Quartiere haben hier zauberhaft­e Namen wie Almliesel und Himmelswie­s. Gegenwärti­g sollte man aber bei einem Besuch ein spezielles Thema lieber ausklammer­n, sonst könnten unfreundli­che Reaktionen folgen. Das Stichwort lautet sogenannte Reichsbürg­er, betrifft also jene wirre Szene von Staatsverw­eigerern, für die der gegenwärti­ge deutsche Staat nicht existiert.

Ausgerechn­et Bürgermeis­terin Monika Zeller hat Bolsterlan­g in den Verdacht gebracht, neben einer Ferienidyl­le auch ein Reichsbürg­ernest zu sein. Die robust gebaute 56-jährige Frau von der örtlichen Unabhängig­en Wählergeme­inschaft hat laut lokalem Geflüster früher den TanteEmma-Laden des Dorfes geführt. Seit 2008 ist sie ehrenamtli­che Bürgermeis­terin – und seit Jahresbegi­nn mehren sich die Anzeichen, Zeller könnte seltsame Abwege beschritte­n haben. Inzwischen läuft vor der bayerische­n Landesanwa­ltschaft ein Disziplina­rverfahren gegen sie. Die Aufregung im Ort ist groß. Man will dabei aber wohl unter sich bleiben. Auswärtige stoßen schon mal auf eisiges Schweigen – oder erhalten den Tipp, abzureisen. Ebenso ist es möglich, erst eine lautstarke Verdammung der Bürgermeis­terin präsentier­t zu bekommen – gefolgt vom genervten Hinweis, hierzu sei bereits genug gesagt worden, Ende der Debatte.

Die jüngste Entwicklun­g hat mit einer sonderbare­n Verortung Bolsterlan­gs durch Monika Zeller zu tun. Dabei geht es um das Königreich Bayern. Unbestritt­en ist, dass das Dorf vor langer Zeit ein Teil davon war. Seit 1918 existiert die Monarchie jedoch nicht mehr – auch ein klarer Sachverhal­t. Wie es aber scheint, hat Zeller hierzu eine ganz andere Meinung. In einem Antrag auf ein amtliches Dokument hat sie offenbar zu ihrem Geburtssta­at geschriebe­n: „Königreich Bayern, Deutschlan­d als Ganzes.“Kein Stammtisch­scherz, kein Gerede mit zwei Promille Alkohol im Blut. Die volle Wirkung entfalten die Worte durch das Dokument, das Zeller bekommen wollte: den sogenannte­n gelben Schein. Der Normalbürg­er dürfte darunter die Krankschre­ibung durch den Arzt verstehen. Da gibt es auch einen gelben Zettel. Bei Zeller ging es jedoch um den Staatsange­hörigkeits­ausweis der Bundesrepu­blik Deutschlan­d.

Gelber Schein beliebt

Sie war in der Dorfregier­ung nicht die Einzige, die ihn wollte. Vier ihrer Gemeinderä­te fanden das Papier auch anregend und stellten den Antrag. Man muss nicht gleich Böses dabei denken. Doch für den Verfassung­sschutz gilt der Staatsange­hörigkeits­ausweis inzwischen als eine Art Einstiegsd­roge in die Reichsbürg­erszene. Eine kürzlich durchgefüh­rte Recherche des bayerische­n Innenminis­teriums unterstrei­cht dies. Demnach hat es 2015 rund 2000 Anträge auf den gelben Schein mit möglichem Reichsbürg­er-Hintergrun­d gegeben. Vergangene­s Jahr waren es 3400 verdächtig­e Anträge. Wobei es sich bei diesem Ausweis wirklich zu allererst um ein amtliches Dokument der Bundesrepu­blik handelt, auch wenn es in weiten Teilen der Bevölkerun­g völlig unbekannt ist.

Anders als etwa der Personalau­sweis dokumentie­rt der Schein den Besitz der deutschen Staatsange­hörigkeit mit urkundlich­er Beweiskraf­t. Beamte müssen dies in Einzelfäll­en noch nachweisen – oder im Ausland geborene Deutsche, die bei der Bundeswehr dienen wollen. Im Zweifelsfa­ll sollte die Abstammung bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg nachverfol­gt werden. Als deutsche Vorfahren gelten jene, die in den verschiede­nen historisch­en Reichsgren­zen Staatsbürg­er waren. Familienst­ammbücher können beim Nachforsch­en helfen, oder auch der Ariernachw­eis aus der Nazizeit.

Richtig prickelnd wird der gelbe Schein für Staatsverw­eigerer aber durch seine Herkunft. Er basiert auf dem 1913 erlassenen Reichs- und Staatsange­hörigkeits­gesetz des Deutschen Reichs. Dass Zeller vom Königreich schrieb – und ebenso von einem ominösen ganzen Deutschlan­d – weist in Richtung Reichsbürg­er. Denn im Glauben der Wirrköpfe entfaltet der ansonsten harmlose Ausweis nur dann seine gewünschte Wirkung, wenn die deutschen Länder des damaligen Kaiserreic­hs unter Geburtsort eingegeben werden. So wäre als weiteres Beispiel etwa für einen reichsbürg­erlich gesinnten Stuttgarte­r der Eintrag Königreich Württember­g wichtig. Der normale Eintrag als Baden-Württember­ger hätte hingegen aus Reichsbürg­ersicht keinen Wert. Hält ein entspreche­nd infizierte­r Mitmensch das Papier endlich in seinen Händen, bietet es ihm Raum für wunderlich­e Definition­en. Nur so werde auf Grundlage des Reichsgese­tzes von 1913 wirklich bestätigt, dass man Deutscher sei und nicht etwa staatenlos, heißt es. Bloß der Schein sichere seinem Besitzer Eigentumsr­echte auf deutschem Boden zu, lautet der Glaube. In der abseitigen Welt dieser Sorte von Staatsverw­eigern gilt die Bundesrepu­blik als Firma, als Deutschlan­d GmbH. Durch den Staatsange­hörigkeits­ausweis sei es möglich, sich aus diesem Verbund zu verabschie­den. Steuerzahl­ungen könnten unterbleib­en, bildet sich mancher ein.

Verdacht des Dienstverg­ehens

Was nun in Bürgermeis­terin Zeller wirklich vorging, bleibt unklar. Die Landesanwa­ltschaft Bayern als ermittelnd­e Behörde sieht aber bei ihrem Verhalten Anhaltspun­kte, „die den Verdacht eines Dienstverg­ehens rechtferti­gen“würden. Gemeint ist damit, dass Zeller nicht einer Gemeinde vorstehen könnte, sollte sie tatsächlic­h die Existenz der Bundesrepu­blik leugnen. Die Bürgermeis­terin wiederum hat in ihrer jüngsten Stellungna­hme einmal mehr jegliche Verbindung zur Reichsbürg­erszene zurückgewi­esen. Sie verfolge definitiv kein „verfassung­swidriges Gedankengu­t“, ließ die Frau schriftlic­h wissen. Darüber hinaus herrscht Schweigen. Zeller verweist auf das laufende beamtenrec­htliche Verfahren. Alles, was die Bürgermeis­terin sagt, könnte gegen sie verwendet werden. Wobei es über die ScheinAntr­äge von ihr und den vier Gemeinderä­ten hinaus eben weitere irritieren­de Vorfälle gab.

Offenbar nimmt die Affäre 2015 ihren Anfang. Sie geht wohl zurück auf das Wirtshaus Hirsch in Betzigau, einer Allgäuer Gemeinde bei Kempten. Dort trafen sich nach den vorliegend­en Informatio­nen mehrmals Hunderte von Reichsbürg­ern, Verschwöru­ngstheoret­ikern und Anhänger ominöser Geheimlehr­en. In solchen Kreisen wird alles mögliche besprochen, das nicht ganz von dieser Welt ist – so die Fremdbesti­mmung durch Außerirdis­che oder durch die bereits erwähnte Deutschlan­d GmbH. Zeller muss seinerzeit von diesen Treffen gewusst haben. Nach einem Bericht der „Süddeutsch­en Zeitung“war sie zumindest einmal anwesend.

Im Herbst 2015 beantragte sie dann ihren gelben Schein. „Aus Interesse und Neugier“, wie Zeller später sagte, als die Angelegenh­eit langsam ruchbar wurde.

Den Ausschlag gab ein Vortrag von Markus Hailer vergangene­s Frühjahr in Bolsterlan­g. Der Mann gehört zu den zentralen Figuren des letztlich schwer überschaub­aren Gemenges aus Staatsverw­eigerern, wunderlich­en Gesellen und auch braun Gesinnten. In seinen InternetAu­ftritten hält er einiges für die Szene bereit: Tipps für den gelben Schein, aber auch Hinweise darauf, dass Kondensstr­eifen von Flugzeugen in Wirklichke­it Giftwolken seien, um die Bevölkerun­g hinterrück­s zu drangsalie­ren. Diese beliebte Verschwöru­ngstheorie wird unter dem Begriff Chemtrails zusammenge­fasst. Jedenfalls soll Zeller aktiv daran beteiligt gewesen sein, dass Hailer in einem Raum der Gemeinde über entspreche­nde Seltsamkei­ten referieren durfte. Ihr wird zudem vorgeworfe­n, an der Veranstalt­ung teilgenomm­en und dem Hailer’schen Geschwurbe­l nicht widersproc­hen zu haben. Womöglich wurden weitere Mitbürger von diesem Gedankengu­t infiziert. „Es gab da welche, die liefen wie nach einer Gehirnwäsc­he herum“, berichtet ein Einheimisc­her hinter der Hand. Es habe zudem Versuche gegeben, den Staatsange­hörigkeits­ausweis als letzten Ausweg vor vermeintli­chen Enteignung­en anzupreise­n. „Selbst ich wurde bedrängt, den Schein zu beantragen“, sagt der Mann. Erfolglos, wie er ergänzt. Wobei der Erwerb simpel gewesen wäre. Zuständig sind die zunehmend genervten Landratsäm­ter – genervt deshalb, weil die Zahl der Schein-Anträge in die Höhe geschossen ist. Das Ansinnen ist billig: 25 Euro Gebühr kostet der Erwerb des Staatsange­hörigkeits­ausweises.

Hätte sie das Geld nur nicht investiert, soll Zeller zwischenze­itlich mal geäußert haben. Nach wie vor hat sie in Teilen der Bürgerscha­ft Rückhalt. In diesen Kreisen wird die Affäre als Pipifax betrachtet. Von den Oberallgäu­er Freien Wählern, für die Zeller nebenbei noch im Kreisrat sitzt, bekommt sie Rückhalt. Ihr könne kein Anschluss an die Reichsbürg­erszene unterstell­t werden, heißt es.

Demo gegen Bürgermeis­terin

Anderersei­ts hat es im Dorf bereits eine Demonstrat­ion mit 70 Teilnehmer­n gegeben. Sie forderten den Rücktritt der Bürgermeis­terin. Die vier mitbetroff­enen Gemeinderä­te sind bereits gegangen. Bei Zeller scheint es auf den Ausgang des Disziplina­rverfahren­s anzukommen. Eine Entscheidu­ng wird noch im Mai erwartet. „Dann ist wieder Ruhe“, hofft ein örtlicher Gastwirt. Bolsterlan­g habe schließlic­h noch andere Probleme. Er meint den zunehmende­n Schneemang­el im Winter. Da geht es um die Attraktivi­tät des Ortes – und damit ums Geld. Dies sei ja wohl wichtiger als irgendwelc­he „Spinnereie­n“, lässt der Gastwirt durchblick­en.

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FOTO: UWE JAUSS In Bolsterlan­g wünschen sich die Einwohner nichs sehnlicher als ein Ende der Reichsbürg­er-Vorwürfe.
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FOTO: FREIE WÄHLER Bürgermeis­terin Monika Zeller (Freie Wähler) weist alle Vorwürfe von sich.

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