Gränzbote

Mit aufsteigen­der Tendenz

Hannes Wolf, der junge Trainer des VfB Stuttgart, steht mit dem Traditions­verein vor der Rückkehr in die Fußball-Bundesliga

- Von Jochen Schlosser Hannes Wolf

STUTTGART - Aus der Ferne oder auf Bildern, vor allem wenn er sich aufregt oder lacht, sieht Hannes Wolf ein bisschen aus wie der junge Dieter Bohlen. Sobald der Trainer des VfB Stuttgart jedoch den Mund aufmacht, käme niemand mehr auf die Idee, ihn mit dem dampfplaud­ernden Modern-Talking-Musiker zu vergleiche­n. Geschliffe­n klingt er, ausgleiche­nd, seriös, vernünftig. Hannes Wolfs Arbeit ist einer der Gründe, weshalb die Anhänger des VfB Stuttgart auf die Rückkehr des Traditions­clubs in die Fußball-Bundesliga hoffen dürfen, vielleicht ist das sogar der wichtigste Grund.

Drei Spieltage vor Saisonende sind die Stuttgarte­r Tabellenfü­hrer in Liga zwei. Allerdings liegen zwischen dem Platz an der Sonne und Rang drei, der die ungeliebte­n Relegation­sspiele gegen den Bundesliga-16. nach sich zieht, nur drei Punkte. „Wir sind auf einem guten Weg, aber wir sind noch mittendrin“, sagt der 36-Jährige vor dem Heimspiel am Sonntag gegen Abstiegska­ndidat Erzgebirge Aue. „Wenn wir nur einmal verlieren,ist der Vorsprung dahin.“Wenn nicht, dann ist Wolfs Mission erfüllt. Dann hat er die Zweifler, die im Herbst über seine Verpflicht­ung staunten, widerlegt.

Dreimal Meister mit Dortmund

Bei Borussia Dortmund war Wolf Jugendtrai­ner. Einer der erfolgreic­hsten Deutschlan­ds, aber eben Jugendtrai­ner: zweimal Meister mit der U17, zuletzt mit der U19. Lange überlegt habe er damals im Herbst nicht, als nach der Entlassung von Jos Luhukay das Angebot von Jan Schindelme­iser, dem neuen sportliche­n Leiter des VfB, kam. „Die Chance war viel größer als das Risiko“, sagt er rückblicke­nd. „Im Worst Case klappt es nicht und du fährst wieder nach Hause.“Der schlimmste Fall, gibt er zu bedenken, sei ja „immer noch vergleichs­weise gut, dann orientiers­t du dich eben neu“. Angst sei im Fußball eh fehl am Platz. „Es gibt auf der Welt viel schlimmere Worst-Case-Szenarien.“Und aktuell hat das Projekt nach vier VfB-Siegen in Serie ja ohnehin eher aufsteigen­de Tendenz.

Wolf klingt tatsächlic­h immer sehr überlegt, sehr sachlich, sehr besonnen. Die Antwort auf die Frage, ob er denn auch mal laut werden kann, ist zunächst ein Lachen. Wenn der Coach nicht mehr über sich preisgeben will, schmunzelt er kurz, sortiert seine Gedanken – und spricht erst dann. Dabei ist bekannt, dass Wolf auch stinkwüten­d werden kann. Was er zur Frage sagt, ist aber: „Es ist schwer, sich selbst zu charakteri­sieren. Es gibt eine ganze Palette von Dingen, die man abdecken muss. Ich frage mich immer: Wo kann ich helfen, damit es gut wird? Da gibt es nicht immer leise und nicht immer laut, da gibt es kein Schema F. Ich möchte allen Anforderun­gen gerecht werden – und wir möchten die Spieler für jede komplexe Situation auf dem Platz handlungsf­ähig machen.“

Ohnehin zählt er zu jenen jungen Taktiktüft­lern, die selbst nicht die größte Karriere als Profi hatten, aber als Zukunft der Trainerzun­ft gelten: Hoffenheim­s Wunderknab­e Julian Nagelsmann etwa, Leipzigs Ralph Hasenhüttl und Schalkes Markus Weinzierl in Liga eins. Eine Etage darunter zählen Wolf und Aues Domenico Tedesco dazu. Tedescos Abschluss beim Trainerleh­rgang 2016 war noch besser als jener von Nagelsmann. Vor zwei Jahren hat Wolf mit der Dortmunder U17 im Finale um die deutsche Meistersch­aft Tedescos Team mit 4:0 bezwungen, die B-Junioren des VfB Stuttgart.

Als das Wörtchen „Konzepttra­iner“fällt, deutet sich an, dass Wolf tatsächlic­h fuchsteufe­lswild werden kann. „Von diesem Begriff halte ich nichts“, sagt er, „aber wir haben schon eine DNA, wir haben viele Möglichkei­ten, die uns zur Verfügung stehen. Aber jeder Trainer hat doch ein Konzept.“Wenn er schon wüsste, welches der geschätzte Kollege Tedesco am Sonntag mit an den Neckar bringt, wäre ihm wohler.

Dank an Klopp und Tuchel

Weniger Widerstand kommt, wenn er mit dem immer wiederkehr­enden Satz „Wolf ist eine Mischung aus Jürgen Klopp und Thomas Tuchel“konfrontie­rt wird. Jeder, der den VfB Stuttgart spielen sieht, weiß, was gemeint ist: schnelles Umschalten, Flexibilit­ät, Ballbesitz-Fußball und schnelle Konter im Wechsel, schnelles vertikales Spiel und kompaktes Verteidige­n. In puncto Spielidee passt das mit der Mischung tatsächlic­h bestens. „Den Schuh mit Thomas und Jürgen ziehe ich mir gerne an“, sagt Wolf. „Das waren enorm wichtige Einflüsse, aber es waren eben nicht nur die beiden. Ich bin ständig in Fortbildun­g. Bei allen großen Clubs, bei Dortmund, auch hier beim VfB, gibt es so viele Experten, von denen man lernen kann.“

Vor allem Klopp gilt als sein Förderer. Bei einer Gala vor acht Jahren, als der damalige Spielertra­iner des ASC Dortmund als „Amateurspo­rtler des Jahres“geehrt wurde, ließ sich der BVB-Trainer die Handynumme­r des 28-Jährigen geben – und rief ihn später tatsächlic­h an. „Ihm bin ich extrem dankbar, dass er mir die Chance damals gegeben hat“, sagt der VfB-Trainer heute.

Ansonsten will Wolf nur Wolf sein, kein Jung-Wolf, kein KonzeptWol­f, kein Laptop-Wolf. „Es gibt viele Wege“, erklärt er gelassen. „Der ganze Job ist eben sehr komplex.“Eigentlich möchte er nicht einmal Leit-Wolf sein. „Wir haben uns für den VfB Stuttgart entschiede­n“, sagt er etwa. Das „Wir“klingt, als hätte der frühere Stürmer eine Entourage guardiolis­chen Ausmaßes aus Dortmund mit nach Stuttgart gebracht. Dabei folgte ihm vergangene­n September nur Co-Trainer Miguel Moreira in den Süden.

Hannes Wolf ist in Bochum geboren, gekickt hat er unter anderem für Rot-Weiß Barop, Schwarz-Weiß Essen, den ASC Dortmund und den VfL Kemminghau­sen. Lauter Clubs aus dem Pott. Gut zwei Jahre Sauerland beim TuS Iserlohn kann er noch vorweisen und zwei „extrem harte Jahre“(Wolf) in Franken, bei der zweiten Mannschaft des 1. FC Nürnberg. Verletzung­en plagten ihn und das Pfeiffersc­he Drüsenfieb­er. „Da habe ich gelernt, was es heißt, ein Spieler zu sein, der nicht zum Zug kommt“, erinnert er sich.

Dass es ihm glückt, auch die zweite Garde bei Laune zu halten, hat viel mit dieser „krassen Erfahrung“zu tun. Es geht ihm nicht nur darum, die Reserviste­n ruhigzuste­llen. „Wir wissen, dass wir immer wieder Erwartunge­n enttäusche­n müssen, aber die Grundhaltu­ng des Respekts und Wertschätz­ung ist immer da, für jeden Spieler im Kader. Diese Haltung ist mir enorm wichtig. Das habe ich mir auch geschworen beim Wechsel von der Jugend zu den Profis.“Kritik dürfe nie so weit gehen, „dass Beziehunge­n kaputt gemacht werden“. Es ist gewiss kein Zufall, dass die aktuelle Siegesseri­e nicht nur mit den vielen Treffern von Angreifer Simon Terodde und dem überragend­en Kapitän Christian Gentner zu tun hat, sondern auch mit dem Selbstvert­rauen der Einwechsel­spieler. Im Fußball heißt es dann immer: Da hat der Trainer ein Händchen. In diesem Fall hat der Erfolg bei allem Zufall auch mit Köpfchen zu tun – jenem des Trainers und jenen der Reserviste­n. Elf Tore und vier direkte Vorbereitu­ngen gehen auf ihr Konto, 14 Punkte hat der Verein mit dem roten Brustring allein ihnen zu verdanken. Stürmer Daniel Ginczek ist dieser Tage der edelste unter den Edeljokern: Drei Tore, drei Vorlagen – so lautet seine Bilanz in der Rückrunde. Zuletzt glückte ihm fünf Minuten nach seiner Einwechslu­ng das 2:2 in Nürnberg, den Siegtreffe­r kurz darauf in der Nachspielz­eit erzielte Florian Klein, ein weiterer Joker. „Die Spieler, die bei uns reinkommen“, erklärt Ginczek stolz, „bringen ja auch eine Qualität mit.“Auch eine mentale Qualität.

Darauf verlassen kann sich ein Trainer natürlich nicht: Hinter jedem Grashalm lauern Unwägbarke­iten, unzählige individuel­le Fehler sind möglich, Millionen Muskelfase­rn können reißen und wenn die Spieler erst mal auf dem Platz sind, ist auch der beste Trainer der Welt nur Zuschauer. Will sagen: Über den greifbar nahen Aufstieg des VfB mag Wolf nicht spekuliere­n. Immerhin erklärt er: „Ich möchte verhindern, dass am Ende alle weinen – und wenn, dann nur aus Freude.“

Wolfs Vater stammt aus Cannstatt

Dass in der Folge des Glücksfall­s der Kader umgebaut und ergänzt werden müsste, ist klar. Danach gefragt, lacht Wolf wieder jenes Lachen, das eigentlich Antwort genug ist. Natürlich hat er bereits Namen im Kopf. Gewiss ist der eine oder andere aus der Jugend seines Ex-Vereins Borussia Dortmund dabei. Natürlich weiß er, dass bei seinen aktuellen Defensivsp­ielern mancher dabei ist, den er – bei aller Hilfe – kaum auf Bundesliga-Niveau hieven kann.

Wolf ist, trotz des kurzen Abstechers nach Nürnberg, ein Kind des Ruhrgebiet­s. Aber er ist auch der Sohn eines gebürtigen Stuttgarte­rs. „Für meinen Papa ist es etwas Besonderes, dass ich hier bin. Er ist in Bad Cannstatt, mit Blick aufs Stadion, geboren worden.“Als Trainer des größten schwäbisch­en Vereins weiß Wolf um die Wirkung dieser Worte. Seinen Vater deswegen als VfB-Fan zu bezeichnen, so weit geht er aber nicht. „Er ist Sympathisa­nt“, sagt der Trainer schmunzeln­d und offenbart nicht, für welchen Club das Herz von Wolf senior schlägt.

Die oftmals kritischen VfB-Fans mögen den Coach ohnehin. Wolf sagt, er habe die Stuttgarte­r „als extrem unterstütz­end“kennengele­rnt, „auch in schwierige­n Phasen. Wir hatten ja ein paar Krisen, aber die Stimmung ist nie gekippt.“Selbst als ihm taktische Fehler vorgeworfe­n wurden, als an seinen immer wieder anderen Aufstellun­gen herumgemäk­elt wurde, als er vorschnell den längst nicht mehr beim VfB beschäftig­ten Skandalpro­fi Kevin Großkreutz verteidigt hat.

Familiär läuft es trotz der räumlichen Distanz auch gut. Seine Frau und die beiden Kinder haben ihren Lebensmitt­elpunkt zwar weiterhin im Westen, doch fast ebenso viel Zeit verbringt die Familie gemeinsam in Stuttgart. „Ich möchte meine Kinder schon aufwachsen sehen“, sagt Wolf, „andernfall­s wäre mir der Preis zu hoch.“Wie gesagt, es gibt Wichtigere­s im Leben als Fußball.

Das wurde ihm auch vor Augen geführt, als ein Irrer kürzlich versucht hat, den Dortmunder Mannschaft­sbus in die Luft zu sprengen. „Alle; die da drin sitzen, kenne ich. Das war Wahnsinn. Ich war zutiefst geschockt, das war in diesem Moment sehr beklemmend.“Mulmige Gefühle habe er aber nicht, wenn er jetzt mit dem Team in den Bus steigt. „Es gäbe ja viele Dinge, bei denen man Angst haben müsste“, sagt er.

Beruflich kann sich Hannes Wolf ohnehin kaum Besseres als seinen aktuellen Job vorstellen. Wobei: „Selbst zu kicken, das ist das Beste überhaupt. Das ist viel besser, als Trainer zu sein.“Auch wenn es mit der Bundesliga-Rückkehr hinhaut? „Selbst dann.“Was er machen würde, wenn der Aufstieg perfekt ist? „Ich würde mich unendlich freuen: für die Menschen, für die Spieler, für den Verein – und für mich selbst.“Diese Antwort kommt direkt. Ohne vorheriges Lachen.

„Ich frage mich immer: Wo kann ich helfen, damit es gut wird?“

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FOTO: IMAGO Mit Leidenscha­ft an der Seitenlini­e: Hannes Wolf, der 36-jährige Trainer des VfB Stuttgart, beim Last-Minute-Sieg in Nürnberg.

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