„Ich möchte nicht, dass es Daimler geht wie Eon“
Anton Hofreiter (Grüne) zu Null-Emission-Autos, ausländischen Atommeilern und mäßigen Umfragewerten
RAVENSBURG - Die Autoindustrie muss auf E-Mobilität umsteigen – oder sie bekommt „Riesenprobleme“. Davon ist Anton Hofreiter überzeugt. Wenn die Branche den Anschluss an neue Technologien verliere, drohe ihr das gleiche Schicksal wie den Stromkonzernen, die unter der Energiewende leiden, warnt der Fraktionschef der grünen Bundestagsfraktion im Gespräch mit Hendrik Groth, Claudia Kling und Ulrich Mendelin.
Herr Hofreiter, in Umfragen schwächeln die Grünen. Haben grüne Themen keine Konjunktur – oder haben sie eine solche Hochkonjunktur, dass sie von den anderen Parteien absorbiert worden sind?
Die Themen wurden von anderen Parteien nicht absorbiert – aber zum Teil verbal aufgenommen. Ein schönes Beispiel ist der Kampf gegen die Klimakrise. Frau Merkel hat ja gern so getan, als wäre sie Klimakanzlerin. Doch Deutschland droht die selbst gesteckten Klimaschutzziele zu verfehlen. Weil die Bundesregierung beim Kohleausstieg, beim Ausbau der Erneuerbaren, beim Umstieg auf E-Mobilität bremst und blockiert.
In Baden-Württemberg regiert Grün-Schwarz, in NRW Rot-Grün. In Rheinland-Pfalz ist die FDP dabei, in Thüringen sind es die Linken, in Schleswig-Holstein die Dänen. Ist das nicht ein Stück weit beliebig?
Nein. Die Grünen regieren nur dann mit, wenn sie relevante Punkte durchsetzen. In Sachsen wollte die CDU auch gerne mit den Grünen regieren. Sie war aber nicht bereit, aus der Braunkohle auszusteigen. Da haben die Grünen logischerweise gesagt: Dann eben nicht.
Wie wollen Sie denn aus dem Umfragetief herauskommen?
Entscheidend ist, dass wir uns nicht lange mit uns selbst beschäftigen. Sondern dass wir deutlich machen, wofür wir stehen, womit wir die Menschen überzeugen wollen. Und das wollen wir über Ökologie, Gerechtigkeit und den Kampf um eine weltoffene Gesellschaft.
Das heißt konkret?
Wir wollen aus der Kohle aussteigen und setzen auf die E-Mobilität. Mit der Bürgerversicherung steigen wir aus der Zwei-Klassen-Medizin aus und entlasten Familien mit einem Familienbudget von 12 Milliarden Euro. Wir fordern eine echte Bekämpfung von Fluchtursachen, machen uns stark für das vereinte Europa und mit uns kommt die Ehe für alle.
Bleiben wir bei der Ökologie. Ministerpräsident Winfried Kret- schmann hat gerade gesagt, der neue Dieselmotor sei der beste Verbrennungsmotor, den wir haben. Sehen sie das auch so?
Er hat auch gesagt, dass es eine Übergangstechnologie ist ...
... aber für eine längere Zeit.
Meine Prognose ist: Wir werden 2030 in Deutschland auf Null-Emission-Fahrzeuge umgestiegen sein, oder unsere Autoindustrie bekommt Riesenprobleme. Denn wenn wir hier keine hochmodernen Fahrzeuge bauen, werden sie anderswo gebaut. Tesla produziert in den USA Elektroautos, die haben gerade ihren Umsatz verdoppelt.
Wie wollen Sie den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor erreichen, ohne wieder als Verbotspartei dazustehen?
Das hat nichts mit Verboten zu tun, das ist Innovation. Innovation, die aus Gesundheits-, Umwelt- und Klimagründen geboten ist, aber auch aus Wettbewerbsgründen. Ich möchte nicht, dass es Daimler so geht, wie es Eon und RWE gegangen ist. Die haben mal zu den größten und mächtigsten Konzernen im Land gehört. Ich kann mich noch daran erinnern, wie die über die erneuerbaren Energien gelacht haben. Sie haben gesagt: Wir haben super Kohlekraftwerke, mit denen werden wir noch Jahrzehnte tolle Gewinne machen. Nun schauen Sie sich an, was aus denen geworden ist.
Und wie kann der Staat helfen, einen solchen Niedergang zu vermeiden?
Mit einer klugen Mischung aus Anreizen, Forschungsinitiativen und entsprechender Ladeinfrastruktur. Und am Ende wird es so sein, dass es den Dieselmotor noch eine gewisse Zeit in Oberklassewagen gibt; in Mittelklasseund Kleinwagen hatte er in der Vergangenheit nur eine Chance durch solche Betrügereien, wie VW sie begangen hat.
Ist Ihnen die baden-württembergische Landesregierung zu nah dran an der Autolobby?
Ganz und gar nicht. Verkehrsminister Winfried Hermann hat die Blaue Plakette massiv befördert, er führt in Stuttgart einen harten Kampf um gesunde Luft für die Menschen.
Winfried Hermann unterstellt das wahrscheinlich auch niemand. Aber der hat ja noch einen Chef ...
Und der fordert vehement Nachrüstungen beim Diesel ein. Winfried Kretschmann hat klar gemacht: Da lässt er sich auf keine halbseidenen Kompromisse ein.
Viele Menschen in Baden-Württemberg blicken besorgt nach Fessenheim. Dort steht direkt an der deutschen Grenze das älteste Atomkraftwerk Frankreichs. Müssen wir die alten Meiler in der Nachbarschaft hinnehmen?
Die Atomkraftwerke in den Grenzregionen sind nahezu alle unsicher. Nicht nur Fessenheim oder Tihange in Belgien. Da sind auch, gar nicht weit entfernt von hier, die Reaktoren Beznau 1 und 2 in der Schweiz. Gerade Beznau 1 ist auch eine Gefahr für die Menschen in Baden-Württemberg. Es ist das älteste noch in Betrieb befindliche Atomkraftwerk weltweit, im Moment steht es wegen großer technischer Probleme still. Wir fordern, dass in Zukunft gesetzlich ausgeschlossen ist, dass aus Deutschland Brennelemente an ausländische Atomkraftwerke in der Grenzregion geliefert werden.
Noch einmal zu Europa: Stemmen sich die Grünen den Europafeinden entschieden genug entgegen?
Wir Grüne sind die entschiedensten Kämpfer gegen Nationalismus und Rechtspopulismus. Wer, wen nicht wir, hält dagegen? Europa hat Riesenprobleme vor sich, von der Klimakrise bis hin zum Umgang mit mächtigen, aber totalitären Regimen wie China. Glaubt irgendjemand, die Länder in Europa hätten eine Chance, wenn sie nicht zusammenhalten? Wir müssen die Europäische Union verteidigen, aus ganz egoistischen Gründen.
Dann hätten Sie aber mit Rot-RotGrün im Bund ein Problem.
Die nächste Regierung muss so oder so eine ganz klar proeuropäische Regierung sein. Das heißt nicht, dass man über Fehler der EU nicht reden soll. Beim Umgang mit Griechenland ist zum Beispiel vieles falsch gemacht worden. Aber die Haltung muss ganz klar europäisch sein. Dafür braucht es uns Grüne. Im Video-Interview spricht Anton Hofreiter unter anderem über Windkraft. www.schwaebische.de/hofreiter