Gränzbote

Vorreiter im Hintertref­fen

Der NSU Ro 80, der vor 50 Jahren vorgestell­t wurde, ist bis heute eine verkannte Größe – Unnachahml­iche Laufruhe des Wankelmoto­rs

- Von Thomas Geiger

LIEDERBACH/INGOLSTADT (dpa) Er ist der Zeit so weit voraus gewesen, dass sie ihn bis heute nicht einholen konnte. Auch 50 Jahre nach dem Debüt ist der NSU Ro 80 noch eine verkannte Größe. Dabei hätte die erste Wankel-Limousine der Welt das Zeug dazu gehabt, das Bild vom Auto nachhaltig zu verändern.

Als NSU im September 1967 auf der Internatio­nalen Automobil-Ausstellun­g den neuen Ro 80 enthüllte, wurden die Entwickler mit Lob und Anerkennun­g förmlich überschütt­et. Eine Expertenju­ry kürte die Limousine, entworfen von Claus Luthe, zum „Auto des Jahres“– eine Premiere für eine Neuheit aus Deutschlan­d. Die „Bild“-Zeitung stempelte sie gar zum „Retter der deutschen Auto-Ehre“, weil sie im Ro 80 das erste wirklich neue Auto seit 30 Jahren sah.

Grund für so viel Lob gab es reichlich, sagt Ronald Werner vom NSU Ro 80 Club aus Liederbach (Hessen). Er nennt vor allem vier Vorzüge, die den Ro 80 aus dem Kreis zeitgenöss­ischer Konkurrent­en wie Ford Taunus oder Opel Kapitän hervorstec­hen ließen.

Erstens: sein ebenso einfaches wie elegantes Design mit einem so günstigen Luftwiders­tand, wie er von der Konkurrenz erst viele Jahre später erreicht wurde. Zweitens: einen ebensolche­n Innenraum, der wegen des kompakten Motors mehr Platz bot als bei sehr viel größeren Konkurrent­en. Drittens: wegweisend­e Sicherheit­s- und Fahrwerkst­echnologie­n wie der seitliche Aufprallsc­hutz oder das Zweikreis-Bremssyste­m. Viertens: der Wankelmoto­r, der mit seinen kreisenden Kolben eine unnachahml­iche Laufruhe und einen unverwechs­elbaren Klang hat. „Der Ro 80 war seiner Zeit um Lichtjahre voraus“, sagt der Club-Präsident.

Geholfen hat das dem Flaggschif­f des bis dahin vor allem auf Motorräder, Klein- und Sportwagen abonnierte­n Hersteller­s aus Neckarsulm nicht. Denn trotz der Lobeshymne­n und der Innovation­en, für die sich die Entwickler stolze vier Jahre Zeit genommen hatten, blieb der Erfolg aus. Nur 37 402 Autos wurden gebaut, bis die Produktion 1977 eingestell­t wurde. Der Ro 80 galt als intellektu­elles Konzept. „Das sicherte ihm vor allem unter den Selbststän­digen und Akademiker­n einen Freundeskr­eis – nie aber genug Anhänger, um die Produktion rentabel zu machen“, sagt Werner. Zu seinen besten Zeiten wurden zwar knapp 8000 Autos jährlich gebaut, im Schnitt aber lag die Produktion bei nicht einmal 4000 Stück. 1977 fanden noch ganze 382 Autos einen Käufer, bis der letzte Ro 80 im August direkt vom Band ins Deutsche Museum rollte.

Dass die Bänder überhaupt so lange laufen durften, lag ganz bestimmt nicht an der Nachfrage. „Verantwort­lich waren dafür wohl allein die Lizenzvert­räge, in denen sich NSU für zehn Jahre zur Produktion eines Wankel-Wagens verpflicht­et hatte“, sagt Werner. 1969 wurde NSU von Audi übernommen, wo der Audi 100 seinen Aufstieg begonnen hatte und Ferdinand Piëch als Entwicklun­gschef in Ingolstadt ein erklärter Gegner des Wankelmoto­rs war.

Dass der Ro 80 bei den Kunden durchfiel, hatte vor allem zwei Gründe, erklärt Andreas Meyer vom Ro 80 Club Internatio­nal in Grabenstät­t (Bayern): den hohen Preis von anfangs 14 150 Mark, mit dem er rund 2000 Mark über einem vergleichb­ar starken Mercedes Strich-Acht lag,

„Der war einfach nicht zu Ende entwickelt.“ Andreas Meyer vom Ro 80 Club über die zunächst unzureiche­nde Qualität des Wankelmoto­rs

sowie die zunächst unzureiche­nde Qualität des Motors: „Der war einfach nicht zu Ende entwickelt.“Zwar habe NSU großzügig nachgebess­ert, und ab 1970 seien die Probleme weitgehend behoben gewesen. „Von da an kamen die Wankelmoto­ren auf Laufleistu­ngen von 200 000 Kilometern. Viel mehr haben die meisten Hubkolbena­ggregate damals auch nicht geschafft.“Doch da war der Ruf schon ruiniert.

Bis heute hält sich hartnäckig das Gerücht vom typischen Wankelgruß, bei dem Ro-80-Fahrer mit der Zahl der erhobenen Finger signalisie­ren, wie viele Motoren sie schon ausgetausc­ht haben. Und auch die hohe Verbrauchs­spanne der Wankelmoto­ren hat dem Ro 80 in Zeiten der aufziehend­en Ölkrise sicher nicht geholfen, selbst wenn Meyer die 11,2 Liter Werksverbr­auch nicht als problemati­sch einstuft.

Der Wankelmoto­r mag für den Ro 80 ein Fluch gewesen sein, weil er den Ruf des ansonsten so hoch gelobten Autos beschädigt hat. Aber er war auch ein Segen. Denn wer einmal einen Ro 80 gefahren hat, möchte das Gefühl nicht mehr missen: Viel leiser als jedes Auto der Neuzeit und kaum weniger komfortabe­l als zum Beispiel ein Audi A6 von heute nimmt er zügig Fahrt auf. Damals reichten ihm 12,8 Sekunden für den Spurt auf Tempo 100. Und auch heute wirkt der Zweischeib­en-Kreiskolbe­nmotor mit seinen 115 PS immer noch stark. Dabei steuert man das 1,3 Tonnen schwere Auto dank seiner Servolenku­ng fast mit dem kleinen Finger und genießt eine Straßenlag­e, wie sie in einer aktuellen Limousine kaum besser sein könnte.

Bequemer als auf dem Sofa

Der Blick schweift über glänzend eloxierte Zierblende­n um die großen Fenster und funkelnden Einstiegsl­eisten, bevor er nach draußen geht. Selbst im Fond sitzt man bequemer als auf manchem Fernsehsof­a und genießt eine bessere Aussicht als in Golf & Co. Das verdanken die Hinterbänk­ler unter anderem dem großen Dreiecksfe­nster, das noch heute zum stilbilden­den Merkmal bei Audi zählt und den NSU-Entwickler­n so wichtig war, dass sie deshalb eigens einen Zacken in den Türausschn­itt konstruier­t haben.

Auf der linken Spur unterwegs

So wirkt der Ro 80 nach 50 Jahren noch nicht alt. Allerdings mag kaum einer heute noch die 180 km/h Höchstgesc­hwindigkei­t fahren, die damals angegeben waren. „Doch wer einen Ro 80 besitzt, der fährt damit auch heute noch gerne lange Strecken“, sagt Meyer. Er selbst ist durchaus auch auf der linken Spur unterwegs und rühmt den NSU als Oldtimer, der noch immer gut im Straßenver­kehr mitschwimm­en könne.

Zwar zweifelt mittlerwei­le niemand mehr an den technische­n Errungensc­haften des NSU, und wer sich auch nur ein wenig mit der Geschichte der Autotechni­k befasst, rühmt ihn als Meilenstei­n. Doch selbst als Oldtimer bleibt er eine verkannte Größe, die weit unter Wert als gehandelt wird. Fahrbereit­e Note-3Autos gibt es schon für 8000 Euro. Solide Autos im Zustand 2 schlagen mit 12 000 bis 15 000 Euro zu Buche, und selbst Oldtimer in Bestzustan­d kosten selten mehr als 20 000 Euro. Das ist ungewöhnli­ch für ein Auto, von dem so wenig Exemplare gebaut wurden und dessen Bestand in Deutschlan­d mittlerwei­le unter 3000 Fahrzeuge geschrumpf­t sein dürfte, sagt Meyer. BMW- oder Mercedes-Modelle jener Zeit seien zwar in größerer Stückzahl produziert worden, würden aber trotzdem höher gehandelt.

Warum das so ist? Das kann sich Meyer nur mit der bis heute anhaltende­n Skepsis gegenüber dem Wankelmoto­r erklären. Dabei sei diese Sorge völlig unbegründe­t: „Ja, die ersten Jahrgänge hatten ein Qualitätsp­roblem“, sagt er, „doch die problemati­schen Motoren der ersten Serien sind längst ausgetausc­ht.“Das Risiko sei deshalb bei einem Ro 80 nicht größer als bei jedem anderen Auto seines Alters.

 ?? FOTOS: THOMAS GEIGER ?? Sehr windschlüp­friges und elegantes Design: Der schon zur Bauzeit in den 1960er- und 1970er-Jahren nicht sonderlich begehrte NSU Ro 80 ist Oldtimer vergleichs­weise günstig zu bekommen.
FOTOS: THOMAS GEIGER Sehr windschlüp­friges und elegantes Design: Der schon zur Bauzeit in den 1960er- und 1970er-Jahren nicht sonderlich begehrte NSU Ro 80 ist Oldtimer vergleichs­weise günstig zu bekommen.
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Geräumig: Wegen des kompakten Motors konnte der Innenraum mehr Platz bieten als bei manch viel größerem Konkurrent­en.

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