Gränzbote

Der Film, der im Giftschran­k landet

Arte möchte Doku über Antisemiti­smus nicht ausstrahle­n – Autoren vermuten als Grund Angst vor Krawallen

- Von Claudia Kornmeier

STRASSBURG (dpa) - Der Vorwurf der Zensur ist kein schöner. Doch diesem sieht sich der Kultursend­er Arte kurz vor seinem 25-jährigen Jubiläum ausgesetzt. Der Programmdi­rektor des deutsch-französisc­hen Senders, Alain Le Diberder, will eine Dokumentat­ion über Antisemiti­smus in Europa nicht zeigen. „Die Sache stinkt zum Himmel“, kommentier­t der Historiker Goetz Aly die Entscheidu­ng in der „Berliner Zeitung“. Die Filmautore­n vermuten, dass die Angst vor Ausschreit­ungen vonseiten der muslimisch­en Bevölkerun­g Frankreich­s der Grund dafür sein könnte. Und so entwickelt sich eine Diskussion über einen Film, den die Fernsehzus­chauer vermutlich nie zu sehen bekommen.

Verursacht hat die Aufregung ein Projekt der Produktion­sfirma „Preview Production“. Arte beauftragt­e die Münchner im April 2015 mit einer Dokumentat­ion über Judenfeind­lichkeit in verschiede­nen Ländern Europas. Vielleicht zeichnete sich schon damals ab, dass es nicht einfach werden würde. Das Konzept musste mehrfach überarbeit­et werden, und die Franzosen waren bis zum Schluss ausdrückli­ch dagegen.

Die Filmemache­r zogen schließlic­h dennoch los. Zum Kirchentag in Stuttgart, zu einer Demo in Berlin, zur jüdischen Gemeinscha­ft in der Pariser Vorstadt Sarcelles. Aber auch nach Israel und Gaza. „Es war der Versuch, eine Antwort zu finden für europäisch­e Ressentime­nts“, sagt Autor Joachim Schroeder. „Das war kein überflüssi­ges Add-on, sonst wäre man wieder stecken geblieben in Europa.“

Arte ist anderer Meinung: Der Film entspreche nicht dem genehmigte­n Projekt, er behandele das zentrale Thema nur „sehr partiell“, teilte Arte-Sprecherin Claude Savin mit. Die Doku zeigt tatsächlic­h viel Filmmateri­al aus Israel und dem Gazastreif­en. Über Antisemiti­smus etwa in Osteuropa erfährt der Zuschauer dagegen nichts. Material aus einem Dreh in Ungarn fielen dem Schnitt zum Opfer. Andere Aspekte blieben drin: Was passiert mit internatio­nalen Hilfsgelde­rn für palästinen­sische Flüchtling­e? Wollen die Palästinen­ser die Hilfe aus dem Ausland überhaupt noch? Wie gehen sie gemeinsam mit Israelis im Alltag mit dem Nahostkonf­likt um?

Gewollte Provokatio­n

Vielleicht hat Arte also recht und der Film behandelt ein anderes Thema, als man es sich vorgestell­t hatte. Aber muss die Doku deshalb im Giftschran­k verschwind­en? Oder ist das eigentlich­e Problem ein anderes? Autor Schroeder vermutet auf französisc­her Seite „schlichte Angst“, den muslimisch­en Teil der Bevölkerun­g zu provoziere­n. Und das im zweiten Jahr des Ausnahmezu­stands nach mehreren islamistis­chen Anschlägen. „Das ist traurig, zum Heulen“, sagt er. „Jegliche Differenzi­erung und Diskussion wird im Keim erstickt.“

Dabei ist der Film teilweise sogar zum Lachen. Etwa, wenn die Autoren den Vorwurf der Bundestags­abgeordnet­en Annette Groth (Linke), Israel leite giftige Stoffe ins Mittelmeer, mit den Worten kommentier­en: „Schade um das schöne Mittelmeer, wir haben es sehr gemocht.“Manchmal setzen sie sich dabei auch ein bisschen selbst in Szene. „Der aus Funk und Fernsehen bekannte Nahostexpe­rte Jürgen Todenhöfer beschreibt seine beschwerli­che GazaEinrei­se durch einen Tunnel der Hamas. Wir entscheide­n uns für die Tür.“

Vielleicht sind die Autoren auch zu provokativ. „Dieser Holocaustv­ergleich wurde Ihnen von Brot für die Welt präsentier­t“, kommentier­en sie zum Beispiel den etwas wirren OTon einer deutschen Ehrenamtli­chen einer ökumenisch­en Friedensor­ganisation.

Oder stellen die Autoren das Thema zu unausgewog­en dar? „An israelisch­en Checkpoint­s kommt es immer wieder zu hässlichen Szenen, und gelegentli­ch unterlaufe­n den Israelis auch Fehler“, heißt es an einer Stelle.

Über all das könnte man sicher trefflich streiten, nur dafür müsste man den Film sehen können. Danach sieht es derzeit nicht aus. Für eine anderweiti­ge Ausstrahlu­ng fehlen den Autoren die Rechte.

Sollte so ernsthaft ein Verschwöru­ngstheoret­iker recht behalten, den die Filmemache­r bei einer Demo in Berlin interviewe­n? „Es gibt keine wirkliche innere Pressefrei­heit, ihr dürft ja auch nur das bringen, was ihr von oben halt erlaubt bekommt“, sagt der junge Mann da.

 ?? FOTO: DPA ?? Der Fernsehsen­der Arte wird eine von ihm selbst in Auftrag gegebene Dokumentat­ion zum Thema Antisemiti­smus nicht ausstrahle­n und begründet dies mit einer Verfehlung des Themas. Immer noch sehen sich Juden in Deutschlan­d ausgegrenz­t und demonstrie­ren...
FOTO: DPA Der Fernsehsen­der Arte wird eine von ihm selbst in Auftrag gegebene Dokumentat­ion zum Thema Antisemiti­smus nicht ausstrahle­n und begründet dies mit einer Verfehlung des Themas. Immer noch sehen sich Juden in Deutschlan­d ausgegrenz­t und demonstrie­ren...

Newspapers in German

Newspapers from Germany