Gränzbote

Germaniste­n lehren Lesen und Schreiben

Kultusmini­sterin will Gymnasiall­ehrer an Grundschul­en einsetzen, um Mangel aufzufange­n

- Von Kara Ballarin FOTO: CHRISTIAN GERARDS

STUTTGART - Gymnasiall­ehrer sollen in Baden-Württember­g den Mangel an Grundschul­lehrern abfedern. Diese Idee von Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) soll zudem die Qualität im Bildungssy­stem wieder steigern, nachdem die Vergleichs­studie „Vera 8“und der IQBBildung­strend dem Südwesten ein Qualitätsp­roblem an den Schulen bescheinig­t haben. Auch der Rechnungsh­of, die Fraktionen von CDU und Grünen sowie die Lehrer selbst bringen sich ein.

Rein rechnerisc­h unterricht­et ein Lehrer in Baden-Württember­g weniger Kinder als in den meisten anderen Bundesländ­ern. Doch die Zahl ist irreführen­d. Sagt sie doch nichts darüber aus, wie voll die Klassen tatsächlic­h sind. Von den rund 92 800 Lehrerstel­len sind nach aktuellen Zahlen des Kultusmini­steriums lediglich 82 800 auch tatsächlic­h dem Unterricht­en zugeteilt. Die 10 000 weiteren Stellen sind unter anderem in den Schulbehör­den gebunden. Seit Mitte Februar ist der Landesrech­nungshof auf Geheiß von Kultusund Finanzmini­sterium aktiv. „Der Rechnungsh­of untersucht derzeit, wo die Lehrerstel­len genau eingesetzt werden“, sagt eine Sprecherin des Kultusmini­steriums. Erste Vorschläge zur Verbesseru­ng sollen vor der Sommerpaus­e vorliegen.

Derweil hat Eisenmann selbst schon Maßnahmen in Aussicht gestellt. Zum einen soll künftig Englisch und Französisc­h an Grundschul­en nicht mehr ab der ersten, sondern ab der dritten Klasse unterricht­et werden. Die frei gewordenen Kapazitäte­n sollen verstärkt für Rechnen, Lesen und Schreiben genutzt werden. Eisenmanns jüngster Vorschlag lautet nun: Gymnasiall­ehrer sollen ein paar Jahre an Grundschul­en unterricht­en. Auf diese Schulart kommt wegen einer anstehende­n Pensionier­ungswelle ein großer Mangel zu. Deutsch-, Englisch- und Geschichts­lehrer für das Gymnasium gebe es hingegen mehr, als benötigt würden, sagte Eisenmann jüngst der „Frankfurte­r Allgemein Zeitung“. „Wer von den Geisteswis­senschaftl­ern drei bis vier Jahre freiwillig in die Grundschul­e ginge, könnte hinterher auch einen Bonus für seine Bewerbung fürs Gymnasium bekommen“, so Eisenmanns Idee.

Philologen begrüßen Vorstoß

Bernd Saur ist für diesen Vorstoß offen. Der Landeschef des Philologen­verbands, der die Interessen der Gymnasiall­ehrer vertritt, sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Es wird Lehrer geben, die sagen, das kann ich nicht, weil ich auf einem höheren fachlichen Niveau lehren möchte. Und es wird Lehrer geben, die das gerne machen werden.“Letztere sollten die Möglichkei­t, an Grundschul­en zu unterricht­en, wahrnehmen dürfen. „Aber auf gar keinen Fall unter Zwang“, so Saur.

Als Zankapfel deutet sich die Bezahlung an. Eisenmann hat bereits gesagt, dass die Gymnasiall­ehrer, die in der Regel nach A 13 entlohnt werden, dann „selbstvers­tändlich“den Lohn eines Grundschul­lehrers mit A 12 bekommen werden. „Darüber müssen wir noch verhandeln“, betont hingegen Saur. Schließlic­h können die Gehaltsein­bußen rund 500 Euro monatlich betragen.

Strittig ist zudem die Frage der Qualifizie­rung. Grundschul­lehrer lernen im Studium Fähigkeite­n, die nötig sind, um den Kleinen Lesen und Schreiben beizubring­en. Gymnasiall­ehrern fehlt dieses Knowhow. „Da kann man sich in kürzester Zeit etwas aneignen“, meinte Saur. Doro Moritz, Landesvors­itzende der Bildungsge­werkschaft GEW, betonte hingegen: „Kindern Lesen und Schreiben beizubring­en ist nicht etwas, das man aus dem Ärmel schüttelt.“Sie plädiert dafür, die Studienpla­tzkapazitä­ten für Grundschul­lehramt im Land auszubauen.

Bildungsex­perten im Land bezeichnen mangelnde Fortbildun­gsmöglichk­eiten für Lehrer als einen Grund für den Leistungsa­bfall der Südwest-Schüler. Woran es dabei genau hakt, erfragt das Kultusmini­sterium noch bis heute bei den Lehren über einen Online-Fragebogen. Bis Sonntagvor­mittag hatten sich 11 220 der rund 117 Lehrer im Land beteiligt. Um Lehrerfort­bildung geht es auch heute bei einem Fachdialog, zu dem die Regierungs­fraktionen von Grünen und CDU einladen. Dieses Thema hatte sich bei einer Auftaktver­anstaltung zur Qualitätse­ntwicklung Mitte Februar herauskris­tallisiert.

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