Germanisten lehren Lesen und Schreiben
Kultusministerin will Gymnasiallehrer an Grundschulen einsetzen, um Mangel aufzufangen
STUTTGART - Gymnasiallehrer sollen in Baden-Württemberg den Mangel an Grundschullehrern abfedern. Diese Idee von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) soll zudem die Qualität im Bildungssystem wieder steigern, nachdem die Vergleichsstudie „Vera 8“und der IQBBildungstrend dem Südwesten ein Qualitätsproblem an den Schulen bescheinigt haben. Auch der Rechnungshof, die Fraktionen von CDU und Grünen sowie die Lehrer selbst bringen sich ein.
Rein rechnerisch unterrichtet ein Lehrer in Baden-Württemberg weniger Kinder als in den meisten anderen Bundesländern. Doch die Zahl ist irreführend. Sagt sie doch nichts darüber aus, wie voll die Klassen tatsächlich sind. Von den rund 92 800 Lehrerstellen sind nach aktuellen Zahlen des Kultusministeriums lediglich 82 800 auch tatsächlich dem Unterrichten zugeteilt. Die 10 000 weiteren Stellen sind unter anderem in den Schulbehörden gebunden. Seit Mitte Februar ist der Landesrechnungshof auf Geheiß von Kultusund Finanzministerium aktiv. „Der Rechnungshof untersucht derzeit, wo die Lehrerstellen genau eingesetzt werden“, sagt eine Sprecherin des Kultusministeriums. Erste Vorschläge zur Verbesserung sollen vor der Sommerpause vorliegen.
Derweil hat Eisenmann selbst schon Maßnahmen in Aussicht gestellt. Zum einen soll künftig Englisch und Französisch an Grundschulen nicht mehr ab der ersten, sondern ab der dritten Klasse unterrichtet werden. Die frei gewordenen Kapazitäten sollen verstärkt für Rechnen, Lesen und Schreiben genutzt werden. Eisenmanns jüngster Vorschlag lautet nun: Gymnasiallehrer sollen ein paar Jahre an Grundschulen unterrichten. Auf diese Schulart kommt wegen einer anstehenden Pensionierungswelle ein großer Mangel zu. Deutsch-, Englisch- und Geschichtslehrer für das Gymnasium gebe es hingegen mehr, als benötigt würden, sagte Eisenmann jüngst der „Frankfurter Allgemein Zeitung“. „Wer von den Geisteswissenschaftlern drei bis vier Jahre freiwillig in die Grundschule ginge, könnte hinterher auch einen Bonus für seine Bewerbung fürs Gymnasium bekommen“, so Eisenmanns Idee.
Philologen begrüßen Vorstoß
Bernd Saur ist für diesen Vorstoß offen. Der Landeschef des Philologenverbands, der die Interessen der Gymnasiallehrer vertritt, sagte der „Schwäbischen Zeitung“: „Es wird Lehrer geben, die sagen, das kann ich nicht, weil ich auf einem höheren fachlichen Niveau lehren möchte. Und es wird Lehrer geben, die das gerne machen werden.“Letztere sollten die Möglichkeit, an Grundschulen zu unterrichten, wahrnehmen dürfen. „Aber auf gar keinen Fall unter Zwang“, so Saur.
Als Zankapfel deutet sich die Bezahlung an. Eisenmann hat bereits gesagt, dass die Gymnasiallehrer, die in der Regel nach A 13 entlohnt werden, dann „selbstverständlich“den Lohn eines Grundschullehrers mit A 12 bekommen werden. „Darüber müssen wir noch verhandeln“, betont hingegen Saur. Schließlich können die Gehaltseinbußen rund 500 Euro monatlich betragen.
Strittig ist zudem die Frage der Qualifizierung. Grundschullehrer lernen im Studium Fähigkeiten, die nötig sind, um den Kleinen Lesen und Schreiben beizubringen. Gymnasiallehrern fehlt dieses Knowhow. „Da kann man sich in kürzester Zeit etwas aneignen“, meinte Saur. Doro Moritz, Landesvorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, betonte hingegen: „Kindern Lesen und Schreiben beizubringen ist nicht etwas, das man aus dem Ärmel schüttelt.“Sie plädiert dafür, die Studienplatzkapazitäten für Grundschullehramt im Land auszubauen.
Bildungsexperten im Land bezeichnen mangelnde Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrer als einen Grund für den Leistungsabfall der Südwest-Schüler. Woran es dabei genau hakt, erfragt das Kultusministerium noch bis heute bei den Lehren über einen Online-Fragebogen. Bis Sonntagvormittag hatten sich 11 220 der rund 117 Lehrer im Land beteiligt. Um Lehrerfortbildung geht es auch heute bei einem Fachdialog, zu dem die Regierungsfraktionen von Grünen und CDU einladen. Dieses Thema hatte sich bei einer Auftaktveranstaltung zur Qualitätsentwicklung Mitte Februar herauskristallisiert.