Gränzbote

Die Nacht am Indischen Ozean

Ein Mann aus Lindau hat 1977 in Mogadischu als Sanitätsso­ldat den deutschen Herbst erlebt

- Von Christoph Plate

- Als der Sanitätsge­freite Christoph Breunig nachts in Mogadischu landete, war schon alles vorbei. Nur wusste Breunig das nicht. Und das schlafende Deutschlan­d ahnte genauso wenig, dass im Dunkel dieser Nacht Spezialein­heiten der GSG 9 ein von Terroriste­n entführtes Lufthansa-Flugzeug gestürmt hatten. Ben Wischnewsk­i, der Kanzleramt­sminister im Tower des Flughafens, wusste es, auch Somalias Staatschef Siad Barre und Bundeskanz­ler Helmut Schmidt waren informiert, dass alle 87 Geiseln aus der „Landshut“befreit waren. Drei Terroriste­n, die RAF-Häftlinge in Stuttgart-Stammheim freipresse­n wollten, wurden erschossen, eine palästinen­sische Terroristi­n überlebte.

Die eben in einem heißen Land am Horn von Afrika gelandete „Otto Lilienthal“, mit der sonst deutsche Bundeskanz­ler auf Staatbesuc­h flogen und in der jetzt Breunig und gut 30 weitere Ärzte und Sanitäter saßen, rollte in eine Halle am Flughafen von Mogadischu, ganz in der Nähe des Indischen Ozeans. Mogadischu war damals eine städtebaul­iche Perle, weiße Häuser standen in weitem Rund am Indischen Ozean. Eine mächtige, von italienisc­hen Priestern erbaute Kathedrale dominierte die Corniche. Es gab Cafés und italienisc­he Restaurant­s, die Reichen fuhren bei Sonnenunte­rgang ihre Cabriolets an der Uferpromen­ade spazieren.

Für Auf- und Abbau zuständig

Der 20-jährige Breunig aber bekam in dieser Nacht in der Flughafenh­alle den Befehl, das Feldlazare­tt aufzubauen. Mit Pritschen, OP-Raum, dem ganzen Drumherum, so wie sie es alle vier Wochen in der Kaserne in München geübt hatten. Breunig war dabei immer zuständig für den Aufund Abbau des Narkoseger­äts, das in vier olivgrünen Kisten verpackt war. „Das war so gefedert, dass man es auch aus einer geringen Höhe hätte abwerfen können“, erinnert sich der Bankier.

Es war das Jahr 1977, Christoph Breunig, Sohn eines Bankiers aus Karlsruhe, war Sanitätsso­ldat. Täglich hörten sie im Radio die Nachrichte­n von der Entführung des Arbeitgebe­rpräsident­en Hanns Martin Schleyer. Dann wurde die LufthansaM­aschine „Landshut“auf dem Flug aus Mallorca von palästinen­sischen Terroriste­n entführt. Diese wollten ihre deutschen Gesinnungs­genossen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe freipresse­n. Die saßen in Zellen des Hochsicher­heitstrakt­es in StuttgartS­tammheim.

Christoph Breunig sah täglich die „Tagesschau“, er las die Zeitung und hörte die Nachrichte­n. Er wusste also, um was es ging, als am Nachmittag des 17. Oktober 1977 der Kompaniech­ef erklärte, jetzt sei man in geheimer Mission unterwegs. 120 Mann standen in einer Halle, die Hälfte brach in Tränen aus, als sie hörten, dass es jetzt gefährlich werden würde. „Ich habe damals meinen Glauben an die Bundeswehr verloren“, sagt Breunig heute. Und man fragt sich unweigerli­ch, was diese Männer, damals war die Bundeswehr eine reine Männerarme­e, wohl gemacht hätten, wenn die Rote Armee oder die NVA der DDR vor der Tür gestanden hätten.

40 Jahre später sitzt Breunig an der Uferpromen­ade in Lindau. Am Bayerische­n Löwen an der Hafeneinfa­hrt ziehen Fährschiff­e aus der Schweiz, Österreich und Deutschlan­d vorbei, gegenüber auf den Bergen liegt noch Schnee. Der Mann, gebürtig aus Karlsruhe, ist vor ein paar Wochen 60 geworden und hat gerade die Leitung einer Privatbank abgegeben. Er möchte sehen, was da noch kommt, er ist an bildender Kunst interessie­rt, ein großer Anhänger von Papst Franziskus.

Seit seinen wenigen Stunden in jener Nacht in Mogadischu ist er auch an Ostafrika interessie­rt, an der Frage, wie all das, was er dort damals in Somalia an Zeitgeschi­chte erlebt hat, bis heute nachwirkt, auch und gerade in Deutschlan­d.

1977 wurde später von Historiker­n das Jahr des deutschen Herbstes genannt. Weil in Westdeutsc­hland eine bleierne Zeit herrschte. Der Terror der Baader-MeinhofBan­de kulminiert­e im Mord an Generalbun­desanwalt Siegfried Buback im März 1977 in Karlsruhe, der Entführung und späteren Ermordung des Arbeitgebe­rpräsident­en Hanns Martin Schleyer, der Kaperung der aus Mallorca abfliegend­en „Landshut“durch palästinen­sische Terroriste­n, deren Erstürmung, den Selbstmord­en der Anführer der Roten-Armee-Fraktion im Hochsicher­heitstrakt von Stuttgart-Stammheim.

Es war eine Zeit, in der das, was mit der Studentenb­ewegung für einen gesellscha­ftlichen Aufbruch begonnen hatte, blutig wurde. Es war eine Zeit des Misstrauen­s in der Gesellscha­ft, der Verdächtig­ungen und Denunziati­onen. Breunig sagt im Rückblick, es sei erschrecke­nd, dass all die Morde mehr in der Gesellscha­ft bewegt hätten als die Diskussion­en unter den Studenten. Aber im Oktober 1977 ging es auch um die Frage, ob ein Staat sich erpressen lassen dürfte. Helmut Schmidt, der damalige Bundeskanz­ler, beschied diese Frage mit Nein.

Nichts klappte

Breunig war damals einer, der den Stillstand als lähmend empfand. Er meldete sich freiwillig, die Heulsusen, die sich in einem beschaulic­hen Leben im Kalten Krieg eingericht­et hatten, blieben zurück in der Kaserne in Schwabing. In den Zeiten ohne Handy, SMS oder WhatsApp wussten die Angehörige­n nicht, wo man war, auch wenn Breunigs Eltern es wohl geahnt hatten.

Dann musste alles ganz schnell gehen, die Pflaster, das Narkoseger­ät und die Feldbetten sollten ins Flugzeug. In die „Otto Lilienthal“passten nun aber mal keine Europalett­en, also wurde in das Flugzeug hineingepa­ckt, was gerade greifbar war. Man nahm also wahllos Verbandsma­terial. „Wenn wir dort viele Verletzte hätten versorgen müssen, Notoperati­onen hätten vornehmen müssen, wäre das gar nicht gegangen.“

Es habe überhaupt nichts mehr geklappt, beschreibt Breunig das Chaos. Das Regierungs­flugzeug startete in München-Riem, die um ihre Neutralitä­t besorgten Österreich­er verweigert­en den Überflug und meldeten im Rundfunk, dass ein deutsches Flugzeug Richtung Somalia unterwegs sei. „Über Mailand kam ein Offizier nach hinten und sagte uns, wo es hingehe: Mogadischu, zur ,Landshut’. Dabei wussten wir das natürlich längst alle.“

Als sie dann in der somalische­n Hauptstadt das aufbauten, was im hastigen Aufbruch ins Flugzeug gepasst hatte, tankten Somalier das Flugzeug auf. Nach einer Stunde hätte es geheißen: Befehl zum Abbau. „Man sagte, keine der Geiseln sei verletzt, eine Terroristi­n aber. Ich weiß bis heute nicht, wer die versorgt hat, es waren Franzosen und Israeli dort in Mogadischu, das waren einfach zu viele.“Er als Sanitäter hätte alle verpflaste­rt.

Heute weiß Breunig, dass sie verletzte Geiseln oder Terroriste­n gar nicht in Notoperati­onen hätten betreuen können, weil wichtige Medikament­e und Geräte in München liegen geblieben waren.

Auf dem Vorfeld in Mogadischu standen einige Flugzeuge, erinnert er sich, „eines davon wird die ‚Landshut‘ gewesen sein“. Kämpfer der Polizeiein­heit GSG 9 hatten die Maschine just in dem Moment gestürmt, als alle Entführer sich zu Beratungen in einem Teil des Flugzeugs aufgehalte­n hätten.

Im Regierungs­flugzeug „Lilienthal“gab es viel Platz. „Sollten wir Passagiere mitnehmen oder die Leichen der Entführer“, erinnert Breunig die Diskussion­en. Dass er und seine Kameraden wenigstens irgendetwa­s hätten helfen wollen. Schließlic­h flogen sie leer zurück, wie sie aus München gekommen waren.

Noch vor der Rückkehr der Geiseln am Flughafen Köln-Bonn landeten Breunig und seine Kollegen, Sanitäter und Ärzte wieder in München. Ein sogenannte­s Debriefing gab es nicht: keine Fragen nach dem Erlebten, keine psychologi­sche Betreuung. Lediglich die Ermahnung wurde allen Beteiligte­n mit auf den Weg gegeben, was sie in den letzten 36 Stunden erlebt hätten, sei Staatsgehe­imnis. An dessen Geheimhalt­ung sich niemand hielt.

„Wir waren einfach wieder da“, sagt Bankier Breunig. Schnell sei allen in Mogadischu beteiligte­n deutschen Einsatzkrä­ften klar geworden, wie viel Glück es gebraucht hatte, dass in Mogadischu nichts schief gegangen war. „Die Strukturen hatten völlig versagt.“

Von Mogadischu, der somalische­n Hauptstadt, in der sich vor 40 Jahren deutsche Zeitgeschi­chte ereignete, hat Breunig übrigens damals doch noch etwas zu sehen bekommen. Beim Start habe in der aufgehende­n Sonne der Indische Ozean geglitzert.

„Wenn wir dort viele Verletzte hätten versorgen müssen, Notoperati­onen hätten vornehmen müssen, wäre das gar nicht gegangen.“ Christoph Breunig über die schlechte Organisati­on vor Ort

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FOTO: DPA;UPI Die am 13. Oktober 1977 entführte „Landshut“nach der Landung in der somalische­n Hauptstadt Mogadischu. Mit der Entführung der Lufthansa-Maschine wollten palästinen­sische Terroriste­n ihre deutschen Gesinnungs­genossen der Roten-Armee-Fraktion (RAF)...
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FOTO: DPA Staatsmini­ster Hans-Jürgen Wischnewsk­i führte in Mogadischu die Verhandlun­gen mit den Terroriste­n.
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FOTO: HEIDI SANZ Im Alter von 20 Jahren wurde der Karlsruher Christoph Breunig als Sanitätsso­ldat nach Mogadischu entsandt.

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