Baltika statt Beck’s
Mit Produkten aus Russland und Osteuropa wächst die „Mix Markt“-Kette seit 20 Jahren
HERRENBERG/RAVENSBURG - Russisches Stimmengewirr zwischen den Regalen mit Birkensaft, Sonnenblumenkernen und ukrainischem Nemiroff-Wodka. Aus den Lautsprechern dudelt das neueste KitschLied der russischen Pop-Band „5sta Family“. Viele Etiketten auf den Produkten tragen kyrillische Buchstaben. Die Kassiererin spricht Russisch, schwenkt aber gerne ins Deutsche über. Alltag im „Mix Markt“in der Ravensburger Weststadt.
Der Supermarkt in Ravensburg ist einer von 275 seiner Art in Deutschland und in Europa. Das Konzept der Ladenkette mit Sitz in Herrenberg füllt eine Marktlücke. Schon lange gibt es in deutschen Städten kleine türkische Lebensmittelläden, doch kaum jemand verkauft Produkte aus Osteuropa. Das haben die drei Unternehmer Waldemar Völker, Artur Steinhauer und Peter Schuju erkannt. Alle drei kamen als Russlanddeutsche in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren nach Deutschland. „Sie sahen, dass es hier Lebensmittel von überallher gab, osteuropäische Produkte haben sie vergeblich gesucht“, erzählt der Geschäftsführer der „Mix Markt“-Kette, Eugen Henning, selbst Russlanddeutscher. Auch wenn es Deutsche sind, so sind sie in anderen Ländern mit einer anderen Kultur aufgewachsen. Die Kindheit in der ehemaligen Sowjetunion schmeckt eben nicht nach Milka, sondern nach Aljonka, das Feierabendbier schmeckt nach Baltika und nicht nach Beck’s, zum Schwarztee gibt’s Suschki statt Kekse.
Kundenpotenzial: 8,5 Millionen
Die Geschichte der Russlanddeutschen beginnt im 16. Jahrhundert, als der russische Zar Iwan IV., „der Schreckliche“, und später Peter der Große und Katharina die Große Fachkräfte aus Mitteleuropa anwarben. Lange war es den Russlanddeutschen verboten, nach Westen zu gehen. In den 1990ern öffnete sich der Ostblock, die UdSSR zerbrach, und vor allem die Russlanddeutschen sahen ihre Zukunft im Land ihrer Vorfahren. Laut Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge leben mehr als 4,5 Millionen Russlanddeutsche mit ihren Angehörigen in Deutschland. Als sogenannte (Spät-) Aussiedler steht ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft zu.
Insgesamt geht die „Mix Markt“Geschäftsführung von einem Kundenpotenzial von 8,5 Millionen Menschen mit Wurzeln in Osteuropa aus. Aber auch immer mehr Einheimische kaufen ein, manche suchen nach Spezialitäten, mancherorts erfüllen die „Mix Märkte“aber auch die Nahversorgerrolle. Zu finden sind die Märkte in Vierteln mit einem hohen Zuwandereranteil – wie die Ravensburger Weststadt.
Im vergangenen Geschäftsjahr machten die „Mix Märkte“in Deutschland einen Umsatz von 345 Millionen Euro, eine Steigerung um 25 Millionen Euro zum Vorjahr (plus 7,8 Prozent). Damit landet die Marke „Mix Markt“im Ranking der größten deutschen Supermärkte auf Platz 29 hinter Alnatura und noch vor Feneberg aus Kempten. Die Großhandelsgesellschaft Monolith International – die Gesellschafter sind dieselben wie bei den „Mix Märkten“–, die als Großhandelsgesellschaft die Lebensmittel importiert und an die „Mix Märkte“weiterverkauft, kam auf einen Umsatz von mehr als 260 Millionen Euro. „Und wir sehen noch ein deutliches größeres Potenzial, Deutschland ist Einwanderungsland“, sagt Alexander Völker, Gesellschafter und Sohn des verstorbenen Gründers Waldemar Völker. Zu den Gewinnen, die die Unternehmensgruppe einfährt, macht die Geschäftsführung keine Angaben.
Vor allem die Balkanländer hat man in Herrenberg im Blick. Völker erklärt, dass die EU-Osterweiterung 2004 den „Mix Märkten“einen großen Schub gegeben hat. Durch die Grenzöffnung war der Reiseverkehr einfacher, Osteuropäer konnten sich problemlos im Westen niederlassen und dort arbeiten. Gleichzeitig fielen die Zölle. Für die „Mix Märkte“bedeutete das mehr Kunden und geringere Kosten beim Import von Produkten, EU-Standards erleichterten viel. Heute finden sich „Mix Märkte“in ganz Europa: Italien, Portugal, Spanien, Griechenland, Zypern, Großbritannien, Belgien und Österreich. Und das nicht zufällig. So leben zum Beispiel viele Ukrainer in Italien, viele Russen in Zypern, viele Polen in Großbritannien, viele Rumänien und Moldauer in Portugal und Spanien. „Das ist europäische Politik, und wir spielen mit“, sagt Alexander Völker.
Etwa die Hälfte des 5000 Produkte umfassenden Sortiments wird in Deutschland produziert. Zum Beispiel kommt der überwiegende Teil des Fleischs aus der Bundesrepublik (Völker: „Nirgends ist das Fleisch so günstig wie in Deutschland.“). In Schwabach bei Nürnberg betreibt die Monolith-Gruppe eine eigene Fleisch- und Teigwarenfabrik, wo nach osteuropäischen Rezepten Wurst und fleischhaltige Produkte wie Pelmni/Wareniki (russische/ ukrainische Maultaschen) produziert werden. „Denn Wurst ist nicht gleich Wurst“, sagt Eugen Henning. Außerdem sei der Import von Fleisch und Milcherzeugnissen aus Nicht-EU-Staaten schwierig. „Beispielsweise brauchen Molkereien eine europäische Veterinärnummer, das haben die wenigsten russischen Betriebe“, sagt Alexander Völker. Deswegen bezieht Monolith International Molkereiprodukte vorzugsweise direkt aus Osteuropa, zum Beispiel dem Baltikum, wo nach EUVorschriften produziert wird.
Politik wirkt aufs Geschäft
Aktuell profitiert die Handelskette vom Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine. Etwa die Hälfte aller aus den ehemaligen Sowjetländern importierten Produkte kommen aus der Ukraine, die schon während der UdSSR Kornkammer des Landes war. „Es gibt Vereinfachungen in den Zollvorschriften. Zölle für Back- und Süßwaren sind ganz weggefallen, andere Zölle sind gesunken“, berichtet Völker. In der Ukraine ist die wirtschaftliche Lage wegen der Krise im Osten und mit Russland schlecht. „Die ukrainischen Hersteller leiden sehr und suchen nach neuen Absatzmärkten“, sagt Völker. Bei der weltgrößten Lebensmittelmesse Anuga in Köln habe er beobachtet, dass immer mehr ukrainische Hersteller ausstellen. Die Landeswährung Griwna ist zum Euro innerhalb von drei Jahren um ein Drittel abgestürzt. „Aber wir bezahlen weiterhin in Euro, denn wir sehen uns als Partner der ukrainischen Hersteller“, sagt Völker. Man habe schließlich ein Interesse daran, dass sie überleben.
Anders hingegen sieht die Lage auf dem russischen Markt aus. „Durch die Gegensanktionen von Russland können viele russische Hersteller kaum den eigenen Markt decken und exportieren weniger. Sie orientieren sich in Richtung Asien, die Wodkaproduzenten in Richtung Westen“, sagt Völker. Grund dafür ist die steigende Alkoholsteuer in der Russischen Föderation und eine Politik, die versucht, den übermäßigen Alkoholkonsum im Land einzudämmen. Der niedrige Kurs des Rubels würde sich hingegen nicht bemerkbar machen. „Das hatte vielleicht ein bis zwei Jahre einen Effekt. Aber jetzt haben die Russen einfach die Preise erhöht“, sagt Völker.
Dass mittlerweile auch Handelsketten wie Edeka oder Kaufland Regale mit Spezialitäten aus Osteuropa haben, stört in der Mix-Markt-Zentrale niemanden. „Davor haben wir keine Angst, das sind keine Konkurrenten für uns. Unsere Kunden kommen sowieso zu uns, weil die ,Mix Märkte’ oft eine Art Sozialtreff sind“, sagt Henning. Wie eben in der Ravensburger Weststadt, wo die Kunden nicht nur ein Stück Heimat kaufen, sondern auch fühlen.