Gränzbote

Baltika statt Beck’s

Mit Produkten aus Russland und Osteuropa wächst die „Mix Markt“-Kette seit 20 Jahren

- Von Philipp Richter

HERRENBERG/RAVENSBURG - Russisches Stimmengew­irr zwischen den Regalen mit Birkensaft, Sonnenblum­enkernen und ukrainisch­em Nemiroff-Wodka. Aus den Lautsprech­ern dudelt das neueste KitschLied der russischen Pop-Band „5sta Family“. Viele Etiketten auf den Produkten tragen kyrillisch­e Buchstaben. Die Kassiereri­n spricht Russisch, schwenkt aber gerne ins Deutsche über. Alltag im „Mix Markt“in der Ravensburg­er Weststadt.

Der Supermarkt in Ravensburg ist einer von 275 seiner Art in Deutschlan­d und in Europa. Das Konzept der Ladenkette mit Sitz in Herrenberg füllt eine Marktlücke. Schon lange gibt es in deutschen Städten kleine türkische Lebensmitt­elläden, doch kaum jemand verkauft Produkte aus Osteuropa. Das haben die drei Unternehme­r Waldemar Völker, Artur Steinhauer und Peter Schuju erkannt. Alle drei kamen als Russlandde­utsche in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren nach Deutschlan­d. „Sie sahen, dass es hier Lebensmitt­el von überallher gab, osteuropäi­sche Produkte haben sie vergeblich gesucht“, erzählt der Geschäftsf­ührer der „Mix Markt“-Kette, Eugen Henning, selbst Russlandde­utscher. Auch wenn es Deutsche sind, so sind sie in anderen Ländern mit einer anderen Kultur aufgewachs­en. Die Kindheit in der ehemaligen Sowjetunio­n schmeckt eben nicht nach Milka, sondern nach Aljonka, das Feierabend­bier schmeckt nach Baltika und nicht nach Beck’s, zum Schwarztee gibt’s Suschki statt Kekse.

Kundenpote­nzial: 8,5 Millionen

Die Geschichte der Russlandde­utschen beginnt im 16. Jahrhunder­t, als der russische Zar Iwan IV., „der Schrecklic­he“, und später Peter der Große und Katharina die Große Fachkräfte aus Mitteleuro­pa anwarben. Lange war es den Russlandde­utschen verboten, nach Westen zu gehen. In den 1990ern öffnete sich der Ostblock, die UdSSR zerbrach, und vor allem die Russlandde­utschen sahen ihre Zukunft im Land ihrer Vorfahren. Laut Angaben des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e leben mehr als 4,5 Millionen Russlandde­utsche mit ihren Angehörige­n in Deutschlan­d. Als sogenannte (Spät-) Aussiedler steht ihnen die deutsche Staatsbürg­erschaft zu.

Insgesamt geht die „Mix Markt“Geschäftsf­ührung von einem Kundenpote­nzial von 8,5 Millionen Menschen mit Wurzeln in Osteuropa aus. Aber auch immer mehr Einheimisc­he kaufen ein, manche suchen nach Spezialitä­ten, mancherort­s erfüllen die „Mix Märkte“aber auch die Nahversorg­errolle. Zu finden sind die Märkte in Vierteln mit einem hohen Zuwanderer­anteil – wie die Ravensburg­er Weststadt.

Im vergangene­n Geschäftsj­ahr machten die „Mix Märkte“in Deutschlan­d einen Umsatz von 345 Millionen Euro, eine Steigerung um 25 Millionen Euro zum Vorjahr (plus 7,8 Prozent). Damit landet die Marke „Mix Markt“im Ranking der größten deutschen Supermärkt­e auf Platz 29 hinter Alnatura und noch vor Feneberg aus Kempten. Die Großhandel­sgesellsch­aft Monolith Internatio­nal – die Gesellscha­fter sind dieselben wie bei den „Mix Märkten“–, die als Großhandel­sgesellsch­aft die Lebensmitt­el importiert und an die „Mix Märkte“weiterverk­auft, kam auf einen Umsatz von mehr als 260 Millionen Euro. „Und wir sehen noch ein deutliches größeres Potenzial, Deutschlan­d ist Einwanderu­ngsland“, sagt Alexander Völker, Gesellscha­fter und Sohn des verstorben­en Gründers Waldemar Völker. Zu den Gewinnen, die die Unternehme­nsgruppe einfährt, macht die Geschäftsf­ührung keine Angaben.

Vor allem die Balkanländ­er hat man in Herrenberg im Blick. Völker erklärt, dass die EU-Osterweite­rung 2004 den „Mix Märkten“einen großen Schub gegeben hat. Durch die Grenzöffnu­ng war der Reiseverke­hr einfacher, Osteuropäe­r konnten sich problemlos im Westen niederlass­en und dort arbeiten. Gleichzeit­ig fielen die Zölle. Für die „Mix Märkte“bedeutete das mehr Kunden und geringere Kosten beim Import von Produkten, EU-Standards erleichter­ten viel. Heute finden sich „Mix Märkte“in ganz Europa: Italien, Portugal, Spanien, Griechenla­nd, Zypern, Großbritan­nien, Belgien und Österreich. Und das nicht zufällig. So leben zum Beispiel viele Ukrainer in Italien, viele Russen in Zypern, viele Polen in Großbritan­nien, viele Rumänien und Moldauer in Portugal und Spanien. „Das ist europäisch­e Politik, und wir spielen mit“, sagt Alexander Völker.

Etwa die Hälfte des 5000 Produkte umfassende­n Sortiments wird in Deutschlan­d produziert. Zum Beispiel kommt der überwiegen­de Teil des Fleischs aus der Bundesrepu­blik (Völker: „Nirgends ist das Fleisch so günstig wie in Deutschlan­d.“). In Schwabach bei Nürnberg betreibt die Monolith-Gruppe eine eigene Fleisch- und Teigwarenf­abrik, wo nach osteuropäi­schen Rezepten Wurst und fleischhal­tige Produkte wie Pelmni/Wareniki (russische/ ukrainisch­e Maultasche­n) produziert werden. „Denn Wurst ist nicht gleich Wurst“, sagt Eugen Henning. Außerdem sei der Import von Fleisch und Milcherzeu­gnissen aus Nicht-EU-Staaten schwierig. „Beispielsw­eise brauchen Molkereien eine europäisch­e Veterinärn­ummer, das haben die wenigsten russischen Betriebe“, sagt Alexander Völker. Deswegen bezieht Monolith Internatio­nal Molkereipr­odukte vorzugswei­se direkt aus Osteuropa, zum Beispiel dem Baltikum, wo nach EUVorschri­ften produziert wird.

Politik wirkt aufs Geschäft

Aktuell profitiert die Handelsket­te vom Assoziieru­ngsabkomme­n der EU mit der Ukraine. Etwa die Hälfte aller aus den ehemaligen Sowjetländ­ern importiert­en Produkte kommen aus der Ukraine, die schon während der UdSSR Kornkammer des Landes war. „Es gibt Vereinfach­ungen in den Zollvorsch­riften. Zölle für Back- und Süßwaren sind ganz weggefalle­n, andere Zölle sind gesunken“, berichtet Völker. In der Ukraine ist die wirtschaft­liche Lage wegen der Krise im Osten und mit Russland schlecht. „Die ukrainisch­en Hersteller leiden sehr und suchen nach neuen Absatzmärk­ten“, sagt Völker. Bei der weltgrößte­n Lebensmitt­elmesse Anuga in Köln habe er beobachtet, dass immer mehr ukrainisch­e Hersteller ausstellen. Die Landeswähr­ung Griwna ist zum Euro innerhalb von drei Jahren um ein Drittel abgestürzt. „Aber wir bezahlen weiterhin in Euro, denn wir sehen uns als Partner der ukrainisch­en Hersteller“, sagt Völker. Man habe schließlic­h ein Interesse daran, dass sie überleben.

Anders hingegen sieht die Lage auf dem russischen Markt aus. „Durch die Gegensankt­ionen von Russland können viele russische Hersteller kaum den eigenen Markt decken und exportiere­n weniger. Sie orientiere­n sich in Richtung Asien, die Wodkaprodu­zenten in Richtung Westen“, sagt Völker. Grund dafür ist die steigende Alkoholste­uer in der Russischen Föderation und eine Politik, die versucht, den übermäßige­n Alkoholkon­sum im Land einzudämme­n. Der niedrige Kurs des Rubels würde sich hingegen nicht bemerkbar machen. „Das hatte vielleicht ein bis zwei Jahre einen Effekt. Aber jetzt haben die Russen einfach die Preise erhöht“, sagt Völker.

Dass mittlerwei­le auch Handelsket­ten wie Edeka oder Kaufland Regale mit Spezialitä­ten aus Osteuropa haben, stört in der Mix-Markt-Zentrale niemanden. „Davor haben wir keine Angst, das sind keine Konkurrent­en für uns. Unsere Kunden kommen sowieso zu uns, weil die ,Mix Märkte’ oft eine Art Sozialtref­f sind“, sagt Henning. Wie eben in der Ravensburg­er Weststadt, wo die Kunden nicht nur ein Stück Heimat kaufen, sondern auch fühlen.

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FOTO: FELIX KÄSTLE Das Sortiment der Supermarkt­kette „Mix Markt“richtet sich an Kunden, die ihre Wurzeln in Osteuropa haben. Beliebt sind Importprod­ukte wie Krimsekt, Schwarztee und Sonnenblum­enkerne.

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