Gränzbote

Auf den Coup folgt ganz viel ABBA

Nach dem 2:1 zum WM-Auftakt über die USA verliert das DEB-Team 2:7 gegen Schweden

- Von Joachim Lindinger

KÖLN - Richtig ärgerlich waren diese 2,5 Sekunden – der Wimpernsch­lag, der gefehlt hatte zur zweiten Drittelpau­se. 2:3 hätte es sonst gestanden, 2:3 nur gegen ein Eisballett in BlauGelb. Jetzt hieß es 2:4, weil der Puck nicht einfach ins Nirwana gedroschen worden war an der eigenen Blauen Linie. Scheibenve­rlust stattdesse­n, Solo William Nylander, Pass, Direktabna­hme Jonas Brodin. Aus den Lautsprech­ern zu Köln wummerte ABBAs „Mamma Mia“, wie schon bei den drei schwedisch­en Toren zuvor, wie bei den drei, die im Schlussabs­chnitt binnen 137 Sekunden folgen sollten. Galgenhumo­r nach Noten beim 2:7 (1:1, 1:3, 0:3) der deutschen Eishockey-Nationalma­nnschaft gegen den Weltmeiste­rschaftsmi­tfavoriten in Vorrundens­piel zwei. Verteidige­r Moritz Müller übersetzte ins weniger Launige, Analytisch­e: „Du musst hellwach sein. Wir haben ab der 36. Minute ein paar Kleinigkei­ten falsch gemacht, und dann geht das ruckzuck.“

Ziemlich beeindruck­end ruckzuck. Zweifel am 2017er-WM-Jahrgang der Skandinavi­er hatte Bundestrai­ner Marco Sturm gleich nach dem deutschen 2:1 (1:0, 0:0, 1:1)-Auftaktcou­p gegen die USA am Freitag energisch zerstreut: „Sie haben fast die besten schwedisch­en Spieler dabei. Sie sind läuferisch stark, taktisch einfach sehr klug und schlau. Wirklich eine schöne Mannschaft – zum zusehen.“Keine ganz so schöne zum Kräfteverg­leich. 16 Akteure National Hockey League, zwei Kontinenta­l Hockey League (Russland), einer Schweizer Nationalli­ga A, nur einer Svenska Hockeyliga­n. „Schweden“, schlussfol­gerte Marco Sturm, „spielt auf einem anderen Level“.

Stimmte. Umso mehr erstaunte, wie lange der Außenseite­r die Partie offen hielt. Nicht optisch, nicht durch die Schussstat­istik belegt (5:22, 11:10, 8:12 nach Dritteln, zusammen 24:44), aber nach Zählbarem. Das lag – natürlich – an Torhüter Thomas Greiss, der seine New-YorkIsland­ers-Form offenbar konservier­t hat und schon gegen die USA hielt, was zu halten war (beziehungs­weise: es eigentlich gerade nicht war). 42 Paraden am Freitag, 24 Stunden später machte der Allgäuer stoisch so weiter, hatte Fanghandsc­huh, Beinschien­en und Kelle quasi überall. 2:2 darum nach 35 Minuten! Patrick Hager mit tückischem Schlenzer und Philip Gogulla per Nachschuss im Powerplay waren die Endverwert­er erfreulich geradlinig­er Puckstafet­ten; viel mehr Struktur hatte das, viel inspiriert­er sah das aus als gegen die Amerikaner. Trotz einer gegnerisch­en Defensive, die noch kompakter stand, die noch härter checkte. Auch war das deutsche Forechecki­ng sichtbarer als tags zuvor – sich nur in die Verteidigu­ngszone drängen lassen wollte man diesmal nicht.

All das funktionie­rte, mit ein bisschen Fortune zum leidenscha­ftlichen Kampf, bis die Spieluhr bei 35:14 stehenblie­b: Marcus Krüger hatte sich artistisch an Denis Reul vorbeigewu­nden, die Scheibe nach Matthias Plachtas Störversuc­h behauptet, Thomas Greiss zum Glänzen gezwungen und im Nachstoche­rn irgendwie Linus Omark ins Spiel gebracht. Der verwandelt­e fallend. Das 2:3. Der Rest? Siehe oben.

Fünf Tore Differenz also, doch die Ursachenfo­rschung direkt nach der Schlusssir­ene geriet wohltuend konstrukti­v. Eindreivie­rtel mehr als passable Drittel gegen diese Schweden plus drei kaum erwartete Punkte am Freitag – das nahm viel Frust, lenkte den Blick nach vorne, auf das, was es zu verbessern gilt. Möglichst diesen Montag schon (16.15 Uhr/Sport1) gegen Russland. Patrick Hager, am Samstag Tor-, gegen die USA Siegtorsch­ütze, wollte speziell den späten Einbruch nicht als „eine Sache der Kraft“verstanden wissen. „Vielleicht wollten wir im letzten Drittel einfach ein bisschen zu viel, sind ein bisschen zu offen hinten gestanden.“Kapitän Dennis Seidenberg (Christian Ehrhoffs Einsatz ist auch gegen die Russen fraglich) sprach von „Leichtsinn­sfehlern. Das sind Dinge, die kann man recht einfach korrigiere­n.“Kraft? Hat der Villinger auch mit bald 36 Jahren genug. 23:57 Minuten war er auf dem Eis, Schwedenre­if waren sein Stellungss­piel, seine – stets faire – Härte, seine Scheibenfü­hrung, seine Ruhe, seine Präzision. „Dennis“, lobte Marco Sturm, „ist eine Maschine.“

Auch Maschinen haben Wünsche. „Gut hinten drinstehen, ein bisschen aggressive­r in unserem Drittel noch, auch in der neutralen Zone“, das wäre die Seidenberg'sche Vision gegen die „Sbornaja“. Verteidigu­ngspartner Moritz Müller würde sie unterschre­iben (Marco Sturm gewiss auch); auf häufigere Scheibenge­winne hofft der Kölner überdies, „sonst laufen wir sehr lange viel hinterher im eigenen Drittel“. Italien sah sich am Sonntag genau da kalt erwischt. Resultat: ein garstiges 1:10 (0:2, 1:3, 0:5).

Ob man das aus der Ausrüstung schüttelt? Gerade mal so? Oder ein 2:7? Marco Sturm lächelt. 14 Spielzeite­n NHL lehren Jeden positives Denken. Merke: „Niederlage ist Niederlage.“Punkte gibt für ein 0:1 keine, für ein 2:7 keine (wohl aber für ein 2:1!). Also: „Ich glaube, das stärkt uns sogar. Jeder ist doch sauer, wenn man die Tore so bekommt.“

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FOTO: IMAGO Deutschlan­ds Goalie Thomas Greiss spielte auch gegen Schweden gut, Schweden jubelte dennoch über sieben Tore.

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