Gränzbote

Angriffe zur Unzeit

BVB macht Riesenschr­itt gen Champions League – doch Watzke offenbart Riss mit Tuchel

- Von Filippo Cataldo und unserem Agenturen

Eigentlich hat Hans-Joachim Watzke in diesem Interview, das Borussia Dortmund eine der widersinni­gsten Debatte dieser Saison bescheren wird, die sogar in der Entlassung eines Erfolgstra­iners münden könnte, gar nicht so viel gesagt, was nicht schon bekannt gewesen wäre. Dass es einen Dissens zwischen dem Geschäftsf­ührer und Trainer Thomas Tuchel gegeben hatte über die Frage, wann die Borussen nach den Sprengstof­fanschläge­n vor dem Champions-League-Spiel gegen AS Monaco wieder auf den Rasen sollte, hatte damals jeder mitbekomme­n müssen, der sich auch nur ein wenig mit dem beinahe fatalen Attentat beschäftig­t hat. Watzke hatte mit entschiede­n, dass das Spiel schon am nächsten Tag nachgeholt werden sollte, Tuchel und die Mannschaft hätten lieber etwas mehr Zeit gehabt, sich zu sammeln. Das hatte Tuchel damals deutlich kommunizie­rt.

Eiskalte Bewertung

Bemerkensw­ert aber ist der Zeitpunkt, an dem Watzke nun öffentlich gemacht hat, wie sehr ihn dieser Dissens mit dem in der sportliche­n Führungset­age des BVB ohnehin nicht unumstritt­enen Tuchel offenbar beschäftig­t. In einem Interview am Tag des Spiels der Dortmunder gegen die TSG Hoffenheim, das gemeinhin als Finale um die Champions League tituliert worden war, sagte Watzke den Zeitungen der „Funke-Mediengrup­pe“auf die Feststellu­ng, es sei in dieser Frage ein „klarer Dissens“zwischen ihm und Tuchel sichtbar geworden: „Das ist so, ja.“Und weiter: „Teilweise“habe ihn die Kritik des Trainers irritiert. Weder Spieler noch Trainer hätten in den Gesprächen am Tag nach dem Anschlag den Wunsch geäußert, nicht zu spielen. Auf die Frage, ob Tuchel als feinfühlig­er Krisenmana­ger auch bei ihm gepunktet habe, sagte Watzke: „Ich bewerte alles rund um das Attentat auch vor dem Hintergrun­d dessen, was wir intern vertraulic­h miteinande­r besprochen haben und was möglich war.“

Eine Antwort, so eiskalt, dass Tuchel ganz genau spürte, was die Stunde geschlagen hat: Es geht um seinen Job, sportliche­r Erfolg hin, sportliche­r Erfolg her. Eigentlich war zwischen Tuchel, Watzke und Sportdirek­tor Michael Zorc vereinbart, sich nach der Saison zusammense­tzen, um über eine Verlängeru­ng von Tuchels derzeit noch bis 2018 laufenden Vertrags zu verhandeln. Vor den Anschlägen schien Tuchels Zukunft unsicher, der Emotionsbo­lzen Watzke und der oft allzu distanzier­t wirkende Tuchel können nicht allzu gut miteinande­r. Doch nach den Anschlägen zeigte Tuchel auch seine empathisch­e Seite. Seine Mannschaft spielte zudem zuletzt wieder sehr erfolgreic­h. Das verdiente, aber auch durch unglücklic­he Schiedsric­hterentsch­eidungen zustande gekommene 2:1 (1:0) gegen Hoffenheim und der Sprung auf Platz drei, den sich der BVB im Normalfall nicht mehr nehmen lassen dürfte, sollten eigentlich Argumente genug sein für eine Weiterbesc­häftigung.

Doch der Stachel bei Watzke scheint tiefer zu stecken. Er sagte auch: „Wie immer bei analytisch­en Gesprächen geht es ganz allgemein gesprochen neben dem Sportliche­n um Dinge wie Strategie, Kommunikat­ion, Vertrauen.“

Tuchel reagierte auf diese Debatten zur Unzeit erstaunlic­h souverän. Unmittelba­r vor dem Spiel merkte er ironisch an, dies sei „ein großes Thema für einen großen Tag“. Und weiter: „Wir haben große Ziele, die erreichen wir nur mit dem Fokus auf den Sport. Alles andere kann ich nicht beeinfluss­en. Ich verbiete mir, darauf einzugehen oder auch nur darüber nachzudenk­en, dafür Energie zu verwenden. Wir dürfen uns nicht ablenken lassen.“Das, schob er nach, „ist schwierige­r geworden“.

Nach dem Sieg, der dank eines Treffers von Marco Reus (4.) aus dem Abseits und Pierre-Emerick Aubameyang (82.) zustande gekommen war, blieb er bei seiner Strategie, sachlich zu bleiben, ohne die verfahrene Situation wirklich zu deeskalier­en. „Es kann eine absolute Topsaison werden“, sagte er, „dafür dürfen wir uns nicht ablenken lassen. Für das Interview von Herrn Watzke habe ich vor dem Spiel keine Energie aufgebrach­t. Das bleibt auch jetzt so.“

Lieber warnte er seine Spieler davor, sich ihrer Sache, also der Qualifikat­ion für die Champions League, schon zu sicher zu sein. „Es war kein Endspiel. Die Saison ist nicht vorbei, Platz drei ist nicht gesichert. Wir wollen noch dreimal gewinnen, um unsere Ziele zu erreichen“, sagte er mit Bezug auf die zwei restlichen Punktparti­en und das Pokalfinal­e am 27. Mai gegen Frankfurt. Außerdem gab er zu, dass man „heute von einer Abseits-Fehlentsch­eidung des Schiedsric­hters“profitiert habe.

Über diese Fehleinsch­ätzung vor dem 0:1 und weil Schiedsric­hter Felix Brych auch vor dem – letztlich verschosse­nen – Elfmeter von PierreEmer­ick Aubameyang ein Handspiel von Reus übersehen hatte und Sandro Wagner im Gegenzug keinen Strafstoß zusprach (40.), waren Hoffenheim­s Trainer Julian Nagelsmann und Manager Alexander Rosen auch nach der Partie noch auf 180. „Es hat nur gefehlt, dass ein Loch ins Tornetz geschnitte­n und da einer reingepfif­fen wird“, schimpfte Rosen. Nagelsmann erinnerte die Serie fragwürdig­er Pfiffe an „Murphys Gesetz“.

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FOTO: IMAGO Trotz des sportliche­n Erfolgs steht die BVB-Führung nicht hinter ihrem Trainer Thomas Tuchel.

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