Angriffe zur Unzeit
BVB macht Riesenschritt gen Champions League – doch Watzke offenbart Riss mit Tuchel
Eigentlich hat Hans-Joachim Watzke in diesem Interview, das Borussia Dortmund eine der widersinnigsten Debatte dieser Saison bescheren wird, die sogar in der Entlassung eines Erfolgstrainers münden könnte, gar nicht so viel gesagt, was nicht schon bekannt gewesen wäre. Dass es einen Dissens zwischen dem Geschäftsführer und Trainer Thomas Tuchel gegeben hatte über die Frage, wann die Borussen nach den Sprengstoffanschlägen vor dem Champions-League-Spiel gegen AS Monaco wieder auf den Rasen sollte, hatte damals jeder mitbekommen müssen, der sich auch nur ein wenig mit dem beinahe fatalen Attentat beschäftigt hat. Watzke hatte mit entschieden, dass das Spiel schon am nächsten Tag nachgeholt werden sollte, Tuchel und die Mannschaft hätten lieber etwas mehr Zeit gehabt, sich zu sammeln. Das hatte Tuchel damals deutlich kommuniziert.
Eiskalte Bewertung
Bemerkenswert aber ist der Zeitpunkt, an dem Watzke nun öffentlich gemacht hat, wie sehr ihn dieser Dissens mit dem in der sportlichen Führungsetage des BVB ohnehin nicht unumstrittenen Tuchel offenbar beschäftigt. In einem Interview am Tag des Spiels der Dortmunder gegen die TSG Hoffenheim, das gemeinhin als Finale um die Champions League tituliert worden war, sagte Watzke den Zeitungen der „Funke-Mediengruppe“auf die Feststellung, es sei in dieser Frage ein „klarer Dissens“zwischen ihm und Tuchel sichtbar geworden: „Das ist so, ja.“Und weiter: „Teilweise“habe ihn die Kritik des Trainers irritiert. Weder Spieler noch Trainer hätten in den Gesprächen am Tag nach dem Anschlag den Wunsch geäußert, nicht zu spielen. Auf die Frage, ob Tuchel als feinfühliger Krisenmanager auch bei ihm gepunktet habe, sagte Watzke: „Ich bewerte alles rund um das Attentat auch vor dem Hintergrund dessen, was wir intern vertraulich miteinander besprochen haben und was möglich war.“
Eine Antwort, so eiskalt, dass Tuchel ganz genau spürte, was die Stunde geschlagen hat: Es geht um seinen Job, sportlicher Erfolg hin, sportlicher Erfolg her. Eigentlich war zwischen Tuchel, Watzke und Sportdirektor Michael Zorc vereinbart, sich nach der Saison zusammensetzen, um über eine Verlängerung von Tuchels derzeit noch bis 2018 laufenden Vertrags zu verhandeln. Vor den Anschlägen schien Tuchels Zukunft unsicher, der Emotionsbolzen Watzke und der oft allzu distanziert wirkende Tuchel können nicht allzu gut miteinander. Doch nach den Anschlägen zeigte Tuchel auch seine empathische Seite. Seine Mannschaft spielte zudem zuletzt wieder sehr erfolgreich. Das verdiente, aber auch durch unglückliche Schiedsrichterentscheidungen zustande gekommene 2:1 (1:0) gegen Hoffenheim und der Sprung auf Platz drei, den sich der BVB im Normalfall nicht mehr nehmen lassen dürfte, sollten eigentlich Argumente genug sein für eine Weiterbeschäftigung.
Doch der Stachel bei Watzke scheint tiefer zu stecken. Er sagte auch: „Wie immer bei analytischen Gesprächen geht es ganz allgemein gesprochen neben dem Sportlichen um Dinge wie Strategie, Kommunikation, Vertrauen.“
Tuchel reagierte auf diese Debatten zur Unzeit erstaunlich souverän. Unmittelbar vor dem Spiel merkte er ironisch an, dies sei „ein großes Thema für einen großen Tag“. Und weiter: „Wir haben große Ziele, die erreichen wir nur mit dem Fokus auf den Sport. Alles andere kann ich nicht beeinflussen. Ich verbiete mir, darauf einzugehen oder auch nur darüber nachzudenken, dafür Energie zu verwenden. Wir dürfen uns nicht ablenken lassen.“Das, schob er nach, „ist schwieriger geworden“.
Nach dem Sieg, der dank eines Treffers von Marco Reus (4.) aus dem Abseits und Pierre-Emerick Aubameyang (82.) zustande gekommen war, blieb er bei seiner Strategie, sachlich zu bleiben, ohne die verfahrene Situation wirklich zu deeskalieren. „Es kann eine absolute Topsaison werden“, sagte er, „dafür dürfen wir uns nicht ablenken lassen. Für das Interview von Herrn Watzke habe ich vor dem Spiel keine Energie aufgebracht. Das bleibt auch jetzt so.“
Lieber warnte er seine Spieler davor, sich ihrer Sache, also der Qualifikation für die Champions League, schon zu sicher zu sein. „Es war kein Endspiel. Die Saison ist nicht vorbei, Platz drei ist nicht gesichert. Wir wollen noch dreimal gewinnen, um unsere Ziele zu erreichen“, sagte er mit Bezug auf die zwei restlichen Punktpartien und das Pokalfinale am 27. Mai gegen Frankfurt. Außerdem gab er zu, dass man „heute von einer Abseits-Fehlentscheidung des Schiedsrichters“profitiert habe.
Über diese Fehleinschätzung vor dem 0:1 und weil Schiedsrichter Felix Brych auch vor dem – letztlich verschossenen – Elfmeter von PierreEmerick Aubameyang ein Handspiel von Reus übersehen hatte und Sandro Wagner im Gegenzug keinen Strafstoß zusprach (40.), waren Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann und Manager Alexander Rosen auch nach der Partie noch auf 180. „Es hat nur gefehlt, dass ein Loch ins Tornetz geschnitten und da einer reingepfiffen wird“, schimpfte Rosen. Nagelsmann erinnerte die Serie fragwürdiger Pfiffe an „Murphys Gesetz“.