Viele Schaffner sind geschafft
Alkoholisierte Frühlingsfest-Besucher beeinträchtigen den Bahnverkehr im Land
RAVENSBURG - Die Veranstalter sind mit dem Frühlingsfest in Stuttgart zufrieden: 1,3 Millionen Menschen sind während der dreiwöchigen Feier, die am Sonntag endete, auf den Cannstatter Wasen geströmt. Auch das Bier floss in Strömen. Den übermäßigen Alkoholkonsum bekam offenbar das Personal der Deutschen Bahn zu spüren.
Von „massiven Pöbeleien gegen DB-Personal und Belästigungen“berichtet der grüne Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel aus Nürtingen, bahnpolitischer Sprecher seiner Fraktion. „Viele Zugbegleiter – und vor allem Zugbegleiterinnen – haben sich wohl aus diesem Grund krank gemeldet.“Die DB-Pressestelle in Stuttgart ließ am Montag eine Bitte um Stellungnahme unbeantwortet.
Pünktlichkeitswerte eingebrochen
Sicher ist: Die Pünktlichkeitswerte der Nahverkehrszüge auf einigen Strecken von und nach Stuttgart sind während des Frühlingsfestes geradezu eingebrochen. Besonders traf es die Filstalbahn zwischen Stuttgart und Ulm, die ohnehin schon ein Nadelöhr im baden-württembergischen Schienennetz darstellt. Nur zwei von drei Zügen rollten dort in der zweiten Festwoche pünktlich am Ziel ein, das ist ein Minus von 24 Prozent gegenüber der Vorwoche. Im Südbahn-Netz, dessen Züge ebenfalls bis Ulm durchs Filstal und anschließend weiter an den Bodensee fahren, war jeder vierte Zug unpünktlich (minus 14 Prozent). Pünktlich ist ein Zug für die Deutsche Bahn (DB) dann, wenn er weniger als sechs Minuten Verspätung hat.
Dass renitente, übergriffige Fahrgäste bei der Bahn mittlerweile zum Alltag gehören, belegt eine Umfrage der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL), die anders als es ihr Name vermuten lässt, auch Zugbegleiter vertritt. Der im vergangenen Jahr veröffentlichten Erhebung zufolge, ist fast jeder Schaffner schon einmal beleidigt worden, fast jeder zweite war bereits körperlichen Angriffen ausgesetzt. Nur jeder zweite Befragte verrichtet seine Arbeit „ohne Bedenken“für die eigene Sicherheit, in der Nacht ist es gar nur jeder zehnte. Mehr als 3700 GdL-Mitglieder in ganz Deutschland hatten an der Befragung teilgenommen.
„Die Umfrage trifft die Stimmungslage“sagt auch Oliver Kaufhold, Sprecher der konkurrierenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). „Pöbeleien und Beleidigungen hören die Kollegen schon gar nicht mehr, das gehört zum Alltag dazu.“Die Aggressivität habe zugenommen, sagt Kaufhold. Und: „Alkoholisierte Festbesucher oder auch Fußball-Hooligans sind schon lange als problematisch bekannt. Ein vergleichsweise neues Phänomen ist hingegen, dass Aggressivität auch von anderen Gruppen ausgeht, bei denen man das nicht unbedingt vermuten würde.“
Um gegenzusteuern, haben EVG, Bahn und Bahn-Betriebsrat deswegen Ende April unter dem Titel „Sicher unterwegs“eine Vereinbarung getroffen. Demnach sollen alle BahnAngestellten mit Kundenkontakt – also beispielsweise auch Mitarbeiter in den Service-Centern der Bahnhöfe – mindestens alle drei Jahre Deeskalationsund Verhaltenstrainings erhalten. Die Bahn verpflichtet sich zu einer „Null-Toleranz-Strategie“gegen Straftäter. Schon in den vergangenen Jahren sei außerdem die juristische und psychische Unterstützung durch die Bahn deutlich besser geworden, lobt EVG-Sprecher Kaufhold. Bei den privaten Bahnbetreibern sei das Bewusstsein für die Angriffe hingegen noch nicht überall entsprechend ausgeprägt.
„Fußball-Gipfel“steht an
Grünen-Politiker Gastel setzt auf zusätzliche Sicherheitskräfte. „Ich erwarte einen stärkeren Einsatz der Bundespolizei, und auch die Bahn muss mehr eigenes Sicherheitspersonal einsetzen“, fordert er. „Außerdem muss bei aggressiven Betrunkenen der Ausschluss von der Fahrt konsequenter durchgesetzt werden.“Darüber hinaus mahnt Gastel eine „gesellschaftliche Diskussion über den Umgang mit Alkohol“an.
Das Thema Gewalt in Zügen wird wohl auch beim „Fußball-Gipfel“zur Sprache kommen, den Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) für den 10. Juli angesetzt hat. Anlass dafür waren Krawalle bei der ZweitligaPartie des VfB Stuttgart gegen den Karlsruher SC am 9. April. Damals hatten Chaoten aus dem KSC-Fanblock nicht nur Leuchtraketen auf das Spielfeld geschossen; auch auf Bahnhöfen und in Bahnen wurden im Umfeld des Spiels erhebliche Schäden angerichtet.
„Pöbeleien und Beleidigungen hören die Kollegen schon gar nicht mehr, das gehört zum Alltag dazu.“Oliver Kaufhold, Sprecher der Eisenbahnergewerkschaft EVG