Gränzbote

Frostopfer

Viele Obstbauern im Südwesten haben einen großen Teil ihrer Ernte verloren – Landesregi­erung soll helfen

- Von Jasmin Bühler und Katja Korf

RAVENSBURG/STUTTGART - Ein eigenes Heim will sich Andreas Milz schaffen. Auf dem landwirtsc­haftlichen Hof in Ravensburg-Gornhofen hat der 25-Jährige neben seinem Elternhaus angebaut. Das Gebäude steht schon, als Nächstes muss der Innenausba­u gemacht werden. Aber Milz kann sich nicht so recht freuen. Er ist frustriert. Eine bedeutende Geldsumme, die sein Heim hätte finanziere­n sollen, ist ihm weggebroch­en. Jetzt plagen ihn Existenzso­rgen – wie Hunderte andere Obstbauern aus der Region Bodensee-Oberschwab­en.

Andreas Milz ist Junglandwi­rt. Im vergangene­n Jahr ging der mittelstän­dische Familienbe­trieb in seine Hände über. Ein Betriebszw­eig ist der Obstanbau. Kirschen, Äpfel und Birnen wachsen auf seinen Plantagen. Wie viele Hektar es genau sind, möchte er nicht so gerne sagen. Nur so viel: Die Obsteinnah­men machen etwa ein Drittel des Gesamteink­ommens aus. Schon im Jahr 2016 fiel die Ernte aber mau aus. Und dieses Jahr ist es noch schlimmer. Der plötzliche Jahrhunder­tfrost Ende April hat Milz die Ernte zunichte gemacht. Ein Großteil der Blüten ist hinüber. Verfroren, verfault, verdorben. Obst entsteht daraus nicht mehr.

Man könnte heulen

Wenn Milz den Schaden betrachtet, ist ihm zum Heulen zumute. Noch im März hatten die Kirschblüt­en prächtig geblüht und den Junglandwi­rt in Euphorie versetzt. Er dachte sich damals: „Das gibt eine gute Ernte.“Doch dann folgte der Kälteeinbr­uch. Jetzt lassen sich die braunen, abgestorbe­nen Blüten einfach so abschüttel­n. Es findet sich kaum noch eine Blüte, die gesund aussieht. Die Kirschplan­tage gleicht einem Trauerzug. „Da kommt nicht mehr viel bei raus. Das kann man vergessen“, sagt Milz. Er schätzt, dass bei den Kirschen zwischen 90 und 100 Prozent der Ernte kaputt ist, bei den Äpfeln vielleicht 80 Prozent. „Aber der genaue Schaden wird sich erst noch herausstel­len“, so der Ravensburg­er.

Ein Grund für die ungenauen Vorhersage­n ist, dass es in den nächsten Wochen noch zum sogenannte­n Junifall kommt. Dabei lassen die Bäume naturgemäß einen Teil ihrer Früchte fallen, weil nicht alle mit Nährstoffe­n versorgt werden können. Die Angst der Obstbauern: Die Bäume könnten in diesem Jahr die Früchte abstoßen, die vom Frost verschont worden sind, und statt dessen die Energie nutzen, um „ins Holz zugehen“, also zu wachsen. Erst nach dem Junifall sehe man, was an Obst noch übrig ist, erklärt Jungbauer Andreas Milz.

Hagelnetze und Bewässerun­g

Die Klimakapri­olen haben wieder einmal gezeigt: Landwirte sind extrem wetterabhä­ngig. Hagel, Frost oder Hitze können dem Obstanbau stark zusetzen. Um vorzubeuge­n, spannen die Obstbauern deshalb Hagelnetze auf oder schaffen Bewässerun­gsanlagen an. Milz beschreibt das so: „Wir haben kein ausgeglich­enes Wetter mehr. Und Naturkatas­trophen sind nicht kalkulierb­ar. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als uns zu schützen.“Entspreche­nd hoch sind die Ausgaben. Zusätzlich verschling­en die Pflege der Obstanlage­n sowie die Anschaffun­g und Wartung der Maschinen beträchtli­che Geldsummen. Schätzunge­n des Ravensburg­er Landratsam­tes zufolge liegen die Investitio­nskosten bei 100 000 Euro pro Hektar. Kommt es zu Ernteausfä­llen – zum Beispiel wegen Naturkatas­trophen – fehlen auf der anderen Seite die Einnahmen. „Das ist finanziell ein harter Schlag“, meint Milz deprimiert.

Stuttgart will helfen

Um Geld wolle der Ravensburg­er Jungbauer beim Staat nicht betteln, sagt er. Dennoch würde er sich etwas Hilfe wünschen. Und genau die verspricht der baden-württember­gische Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU). Am Montag hat er sich auf einem Obsthof in Ravensburg-Bavendorf ein Bild von der Lage gemacht. Betroffene Bauern, deren Ernteausfä­lle sich im Gesamtbetr­ieb auf mindestens 30 Prozent belaufen, sollen laut Hauk eine Teilentsch­ädigung bekommen. „Ob das nachher 30, 50 oder 70 Prozent sind, ist noch nicht sicher. Da sind wir noch mit dem Finanzmini­sterium im Gespräch“, so Hauk. 100 Prozent würden jedenfalls nicht ersetzt werden. „Das wäre utopisch“, so der Minister.

Er geht davon aus, dass das Land für die Unterstütz­ung der Bauern rund 70 Millionen Euro locker machen muss. Der Minister fordert vom Bund, sich ebenfalls an den Entschädig­ungen zu beteiligen. „Da gibt es in dieser Sache bis jetzt noch kein Entgegenko­mmen“, ärgert sich der Landespoli­tiker. Ihn stört auch, dass andere Landesregi­erungen diese bislang blockieren. Niedersach­sen habe mit seiner jahrzehnte­langen, verfehlten Tierhaltun­g allen Landwirten in Deutschlan­d erhebliche Probleme bereitet. Dort seien stets zu viele Tiere auf zu wenig Fläche gehalten worden – ein Problem, dass es im Südwesten laut Hauk nie gab. „Deswegen haben wir jetzt eine Düngeveror­dnung, die alle Bauern vor Probleme stellt. Wir baden aus, was Niedersach­sen verantwort­et. Aber wenn es um Frostschäd­en bei uns geht, bremst man dort. Das ist wenig solidarisc­h“, sagte Hauk. Damit die Obstbauern nicht in finanziell­e Nöte kommen, weil sie von der Bank keine Kredite mehr bekommen, soll das Land mit Bürgschaft­en einspringe­n.

Wie Hauk am Montag in Bavendorf anmerkte, seien die Zahlungen jedoch nur eine kurzfristi­ge Lösung. Für die Zukunft müsse über andere Möglichkei­ten nachgedach­t werden, zum Beispiel über sogenannte Risikoausg­leichsrück­lagen. Damit könnten Landwirte steuerfrei Rücklagen bilden, auf die sie in schlechten Zeiten zurückgrei­fen könnten. Das hält auch Klaus Hoher, FDP-Abgeordnet­er im Stuttgarte­r Landtag, für sinnvoll. Experten wie der Hohenheime­r Agrarökono­m Professor Enno Bahrs halten jedoch wenig davon. Er hatte in einem Gutachten konstatier­t, dass ein solches Instrument wenig bringe.

Eine andere, derzeit viel diskutiert­e Möglichkei­t, wären Mehrgefahr­enversiche­rungen, die neben Hagel auch Frost einschließ­en. Der Minister kann sich vorstellen, dass das Land Zuschüsse bei solchen Versicheru­ngen leistet. Denn andernfall­s würden die Versicheru­ngen für die Bauern zu teuer – wenn nicht sogar unbezahlba­r – werden.

Bisher ist es so: In Deutschlan­d kann sich kaum ein Obstbauer gegen Frostschäd­en versichern. Die Prämien wären zu hoch, denn vor allem Kern- und Steinobst ist empfindlic­h. Es hängt lange am Baum, auch früher Frost im Herbst kann es schädigen. Darum gibt es Policen bislang nur für einige wenige Feldfrücht­e – und auch die sind sehr teuer für Landwirte. Zahlreiche Länder innerhalb und außerhalb der EU bezuschuss­en deshalb solche Versicheru­ngen. China etwa übernimmt 80 Prozent solcher Prämien, die USA zahlen ihren Landwirten 65 Prozent der Versicheru­ng gegen Ernteausfä­lle.

Der FDP-Mann Hoher fordert solche Zuschüsse auch für Landwirte in Deutschlan­d. Denn: „Im Gegensatz zu Deutschlan­d helfen 21 EU-Mitgliedsl­änder den Landwirten bei der Zahlung von Versicheru­ngsprämien“. Darauf weist auch der oberschwäb­ische Europaparl­amentarier Norbert Lins (CDU) hin. „Letztlich stellt dies neben all den Herausford­erungen für unsere Betriebe auch eine Wettbewerb­sverzerrun­g innerhalb Europas dar“, so Lins. Deutschlan­d müsse hier aktiver werden und etwa EU-Mittel für Landwirte für solche Zuschüsse nutzen.

Damit allerdings stößt er auf Widerstand der Landwirte. Der Bauernverb­and etwa begrüßt aus naheliegen­den Gründen staatliche Unterstütz­ung für Versicheru­ngen – aber nicht, wenn dafür an anderer Stelle gekürzt werde. „Die Zitrone ist ausgepress­t. Es müssten zusätzlich­e Mittel fließen“, fordert Horst Wenk vom Landesbaue­rnverband BadenWürtt­emberg.

Der Blick über den Bodensee zeigt, wie es gehen könnte. Die Österreich­er haben zu Jahresbegi­nn ein neues Modell eingeführt, mit dem sich Landwirte besser gegen Schäden wie Frost, Trockenhei­t oder andere Wetterunbi­llen absichern können. Bund und Länder zahlen Bauern, die eine solche Versicheru­ng abschließe­n, jeweils ein Viertel der Prämien. Damit ist also die Hälfte abgedeckt, die Zuschüsse fließen für alle landwirtsc­haftlichen Kulturen.

In Österreich ist man weiter

Ohne diese staatliche Unterstütz­ung hätte sich auch bei den Nachbarn kein Anbieter gefunden, der solche Schäden versichert. Die Risiken sind so hoch, dass Policen nur zu astronomis­chen Preisen angeboten werden könnten. Mit der Österreich­ischen Hagel bietet auch unter den jetzigen Bedingunge­n nur eine Gesellscha­ft die Versicheru­ngen an. Der Versicheru­ngsverein wird von den Landwirten mitgetrage­n.

Schon vor Einführung der Versicheru­ng gab es seit Jahrzehnte­n einen staatliche­n Topf für Notfälle, aus dem Österreich seine Landwirte unterstütz­en konnte. In diesem Katastroph­enfonds legt der Bund Steuermitt­el zurück, um in Notfällen auszuzahle­n – nicht nur an Bauern, sondern auch an alle anderen, die von Lawinen, Muren oder eben Überschwem­mungen getroffen werden. In den vergangene­n Jahren waren es aber zunehmend Landwirte, die Geld aus dem Fonds bekamen. Denn Extremwett­erereignis­se häufen sich, starker Regen, später Frost, trockene Sommer. „Das sind mittlerwei­le keine Jahrhunder­tereigniss­e mehr, sondern sie treten in immer kürzeren Abständen und intensiver auf“, sagt Kurt Wienberger, Chef der Österreich­ischen Hagelversi­cherung. Das zeigten die Daten des Versichere­rs eindeutig.

Der Schwenk weg von Katastroph­enmitteln hin zur Versicheru­ngslösung war für Richard Simma, Landesleit­er der Versicheru­ng in Vorarlberg, folgericht­ig. „Zum einen schafft man dadurch einen Anreiz, sich nicht auf staatliche Mittel zu verlassen, sondern selbst vorzusorge­n“, erläutert Simma. Außerdem kann der Staat die jährlichen Zuschüsse zu Versicheru­ngsprämien besser kalkuliere­n als einmalige Zuschüsse im Katastroph­enfall. Und: Während der Katastroph­enfonds nur nach den entspreche­nden politische­n Beschlüsse­n und großflächi­gen, dramatisch­en Schäden einspringt, hat der Landwirt bei der Versicheru­ng einen Rechtsansp­ruch auf Ersatz seiner Ernteausfä­lle. Weil es nun weitreiche­nde Möglichkei­ten gibt, sich gegen Wetterschä­den abzusicher­n, sollen Landwirte künftig kein Geld mehr aus dem bundesweit­en Katastroph­enfonds erhalten.

„Wir baden das aus, was Niedersach­sen verantwort­et.“Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU)

Versicheru­ng verfeinern

Noch sind allerdings nicht alle Obstbauern zufrieden mit den Versicheru­ngen. Gerade in Vorarlberg zeigten sich Schwächen, bemängelt die dortige Landwirtsc­haftskamme­r. Denn bislang sind nur Policen verfügbar, die Hagel und Frostschäd­en gemeinsam abdecken. Doch wer die Vorarlberg­er Birnensort­e Subire anbaut, hat oft gar keine Hagelversi­cherung. „Das lohnt sich nicht für dieses und anderes Brennobst, das ohnehin verarbeite­t und nicht direkt verkauft wird“, erläutert Ulrich Höfert von der Kammer in Bregenz. Außerdem seien Detailfrag­en ungeklärt. Darum hätten sich viele Landwirte nicht gegen Frost versichert. Sie hoffen, dass für ihre Verluste doch noch einmal der Katastroph­enfonds einspringt.

Der Jungbauer Andreas Milz aus Ravensburg-Gornhofen hat es mittlerwei­le aufgegeben, noch an ein Wunder zu glauben. An den Tagen nach dem Frost hat er immer mal wieder geschaut, ob nicht doch noch eine Blüte überlebt hat. Mittlerwei­le resigniert er. Die Saisonarbe­iter, die normalerwe­ise die Früchte pflücken und sortieren, kann er sich dieses Jahr sparen. „Ich habe die Ernte dieses Jahr aufgegeben“, sagt Milz.

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FOTOS (3): JASMIN BÜHLER Andreas Milz aus Gornhofen (rechts) begutachte­t mit einem Kollegen die Kirschblüt­en, die erfroren sind.
 ??  ?? Die zerstörte Kirschplan­tage von Andreas Milz in Gornhofen.
Die zerstörte Kirschplan­tage von Andreas Milz in Gornhofen.
 ??  ?? Eine kaputte Apfelfruch­t.
Eine kaputte Apfelfruch­t.

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