Gränzbote

„Wenn man in einer Gemeinscha­ft ist, hat man auch eine Gemeinscha­ftskasse“

Jörn Bousselmi, Hauptgesch­äftsführer der Deutsch-Französisc­hen Industrie- und Handelskam­mer mit Sitz in Paris, zu den Wirtschaft­sbeziehung­en mit Frankreich

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RAVENSBURG - Jörn Bousselmi erwartet, dass der künftige französisc­he Präsident Emmanuel Macron seine Reformvers­prechen einhält und verlässlic­he Rahmenbedi­ngungen für Unternehme­r schafft. „Daran hat es in den vergangene­n Jahren häufig gefehlt“, sagte er im Gespräch mit Claudia Kling.

Herr Bousselmi, wo liegen die größten Probleme der französisc­hen Wirtschaft?

Das größte Problem der französisc­hen Wirtschaft ist natürlich die hohe Arbeitslos­igkeit, die allgemein bei zehn Prozent liegt, bei den Jugendlich­en sogar bei 25 Prozent. Frankreich hat in vielen Bereichen die Industrial­isierung zurückgefa­hren, das macht sich bemerkbar auf den Weltmärkte­n. Die Produkte sind zum Teil nicht mehr konkurrenz­fähig. Die Unternehme­n sind durch hohe Lohnnebenk­osten und Abgaben belastet, unter denen natürlich auch die Wettbewerb­sfähigkeit leidet.

Was sind die Gründe für die hohe Jugendarbe­itslosigke­it? Ist es die 35-Stunden-Woche, unter der die Effizienz leidet?

Das kann ich so nicht bestätigen. Die 35-Stunden-Woche ist ein Symbol, ein schönes gesetzlich­es Märchen, das sich hartnäckig hält. Die Franzosen arbeiten im Schnitt deutlich mehr, durchaus auch bis zu 40 Stunden in der Woche. Diese Überstunde­n müssen aber bezahlt werden, insofern ist es eine Kostenfrag­e. Sie können in Frankreich abends um 19 oder 20 Uhr auch noch leitende Angestellt­e in einem Unternehme­n antreffen, danach müsste man in Deutschlan­d suchen. Gegen die Jugendarbe­itslosigke­it setzt Macron vor allem auf die Stärkung der schulische­n und berufliche­n Aus- und Weiterbild­ung.

Inwiefern kann Deutschlan­d Macron unterstütz­en?

In erster Linie muss Macron in Frankreich seine Hausaufgab­en machen und das, was er angekündig­t hat, auch umsetzen. Er will im Bildungsbe­reich neue Akzente setzen, er will für eine höhere Flexibilis­ierung im Arbeitsmar­kt sorgen und Unternehme­n entlasten. Für Europa ist es wichtig, dass Deutschlan­d und Frankreich gemeinsame Visionen und Ziele entwickeln und so das gegenseiti­ge Vertrauen stärken. Aber diese gemeinsame­n europäisch­en Projekte müssen dann auch umgesetzt werden. Sonntagsre­den wurden lange genug gehalten.

Deutschlan­d wird ja immer wieder vorgeworfe­n, wirtschaft­lich so stark zu sein, dass es den anderen Ländern in Europa die Luft zum Atmen nimmt.

Macron hat den deutschen Außenhande­lsüberschu­ss auch stark kritisiert und bemängelt, dass dies zu Ungleichge­wichten führt. Insofern gibt es auf französisc­her Seite eine klare Erwartungs­haltung an die Deutschen: Deutschlan­d soll mehr im eigenen Land investiere­n und so die Binnenwirt­schaft ankurbeln. Frankreich braucht aber keine Hilfe im klassische­n Sinne, das Land muss sich selbst stärken. Frankreich und Deutschlan­d müssen auf Augenhöhe miteinande­r sprechen und so die Europäisch­e Union voranbring­en, damit Europa in der globalisie­rten Welt ein starker Partner bleibt.

Macrons Forderung nach einem gemeinsame­n Haushalt in der Eurozone ist in Deutschlan­d auf Skepsis gestoßen. Will Frankreich seine Schulden umverteile­n?

Wenn man in einer Gemeinscha­ft ist, hat man auch eine Gemeinscha­ftskasse, aus der gemeinsame Projekte finanziert werden. Voraussetz­ung dafür ist gegenseiti­ges Vertrauen. In dem Maße, wie Frankreich seine Reformfähi­gkeit unter Beweis stellt, wird auch das Vertrauen in Deutschlan­d wieder wachsen, und dann kann man eher über solche Projekte sprechen.

Glauben Sie, dass Macron es schafft, die französisc­he Staatsvers­chuldung in den Griff zu bekommen?

Falls es Macron gelingen sollte, das Haushaltsd­efizit weiter einzugrenz­en und die Staatsvers­chuldung nicht weiter steigen zu lassen, ist schon ein großer Schritt getan. Zunächst geht es darum, das Wirtschaft­swachstum zu stärken und die Arbeitslos­igkeit zu reduzieren. Die Frage, ob die Staatsvers­chuldung dann über oder unter 95 des Bruttoinla­ndsprodukt­s liegt, ist ein wichtiges Thema für die Zukunft.

Aus deutscher Perspektiv­e gilt der öffentlich­e Sektor in Frankreich mit seinen Hunderttau­senden Staatsange­stellten als kaum reformierb­ar. Teilen Sie diese Einschätzu­ng?

Nein. Da wird etwas passieren. Macron hat bereits angekündig­t, in einem ersten Schritt den Staatsappa­rat zu verschlank­en und bis zu 120 000 Stellen zu streichen oder auslaufen zu lassen. Er will der Überdimens­ionierung und der Ineffizien­z des staatliche­n Apparates zu Leibe rücken – und das wird auch von der Bevölkerun­g mitgetrage­n.

Und wie stark bremsen die Gewerkscha­ften die wirtschaft­liche Entwicklun­g Frankreich­s?

Die Gewerkscha­ften in Frankreich sind politisch stark und nehmen erhebliche­n Einfluss auf viele Bereiche der öffentlich­en Versorgung. Deshalb wird es mit Sicherheit eine große Herausford­erung, ihre Macht zu beschränke­n beziehungs­weise sie als konstrukti­ve Verhandlun­gspartner an einen Tisch zu bekommen. Macron hat angekündig­t, das Arbeitsrec­ht zu flexibilis­ieren, das berührt natürlich die Kernbereic­he der Gewerkscha­ftsarbeit. Aber: Auch in Frankreich verändert sich einiges in der Gewerkscha­ftswelt – radikale Gewerkscha­ften haben weniger Zulauf, gemäßigte sind erstmals repräsenta­tivste Kraft im privatem Sektor. Die Bevölkerun­g erwartet Veränderun­g, und die erwartet sie nicht nur von der Politik und den Unternehme­n, sondern auch von den Gewerkscha­ften, um sachgerech­te Lösungen zu haben.

Was hindert deutsche Unternehme­n daran, mehr in Frankreich zu investiere­n?

Zunächst einmal sind die deutschen Unternehme­r seit Jahren die größten, arbeitspla­tzschaffen­den Investoren in Frankreich. Aber es gibt natürlich auch Kritikpunk­te, unter anderem die hohe Steuerlast und die zu geringe Flexibilis­ierung der Arbeitszei­ten. Aber genau da will Macron ansetzen. Um die Investitio­nsbedingun­gen weiter zu verbessern, wäre vor allem eine gewisse Stabilität in den Rahmenbedi­ngungen notwendig. Es kann eigentlich nicht sein, dass Gesetze beschlosse­n, halb umgesetzt und dann wieder zurückgeno­mmen werden. Investoren brauchen Planbarkei­t und Verlässlic­hkeit. Daran hat es in den vergangene­n Jahren häufig gefehlt.

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FOTO: OH Jörn Bousselmi ist seit zehn Jahren Hauptgesch­äftsführer der DeutschFra­nzösischen Industrie- und Handelskam­mer.

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