Gränzbote

Zehn Milliarden Euro Schaden durch Cum-Ex-Steuertric­ks

Untersuchu­ngsausschu­ss endet mit Streit über Abschlussb­ericht – Grüne: „Staatsvers­agen“– Koalition: „Vorwürfe sind widerlegt.“

- Von Hannes Koch

BERLIN - Mit völlig unterschie­dlichen Einschätzu­ngen endet der Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s zu den Cum-Ex-Steuergesc­häften. Der grüne Finanzexpe­rte Gerhard Schick sieht in den Transaktio­nen von Banken und Investoren eine Kombinatio­n aus „Gier, organisier­ter Kriminalit­ät und Staatsvers­agen“. Wie Schick reichte am Montag auch der LinkenAbge­ordnete Richard Pitterle ein Sondervotu­m zum Abschlussb­ericht ein. Die große Koalition aus Union und SPD formuliert in ihrem Bericht dagegen: „Dieser Untersuchu­ngsausschu­ss war nicht erforderli­ch.“

Die Arbeit des Ausschusse­s endet offiziell im Juni. Die beiden Sondervote­n sind dann Teil des kompletten Abschlussb­erichts. Bei den Geschäften wurden Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividenden-Anspruch gehandelt. Die Besitzer der Aktien zahlten beispielsw­eise einmal Kapitalert­ragssteuer für die erhaltene Gewinnauss­chüttung, ließen sich die Steuer aber mehrfach vom Finanzamt zurückerst­atten. Möglich wurden die lukrativen Tricks, indem Investoren ihre Aktien im Umkreis des Termins der Dividenden-Zahlung schnell hin- und herverkauf­ten. Rechtlich waren dadurch zum gleichen Zeitpunkt mehrere Leute im Besitz derselben Aktie.

Allein zwischen 2005 und 2011 dürfte der Schaden zulasten der öffentlich­en Hand etwa zehn Milliarden Euro betragen haben. Das Bundesverf­assungsger­icht hat inzwischen festgestel­lt, es bestehe der „hinreichen­de Tatverdach­t der besonders schweren Steuerhint­erziehung“. Nach Schicks Angaben laufen bundesweit 29 Ermittlung­sverfahren. Die Finanzämte­r versuchen, einen Teil des Geldes zurückzuho­len.

Schick wirft dem ehemaligen Bundesfina­nzminister Peer Steinbrück (SPD) und seinem Nachfolger Wolfgang Schäuble (CDU) vor, nach Hinweisen von Tippgebern nicht schnell genug gegen die fragwürdig­en Praktiken eingeschri­tten zu sein. Das Finanzmini­sterium habe den Unternehme­n nicht rechtzeiti­g klargemach­t, dass die Geschäfte gegen die Gesetze verstoßen. Auch verfügte das Finanzmini­sterium über zu wenig gut ausgebilde­tes Personal und musste sich deshalb auf die Einschätzu­ng von Lobbyverbä­nden verlassen. „Die Verbände wirkten intensiv und zum Schaden des Steuerzahl­ers auf die Gesetzgebu­ng ein“, resümmiert der grüne Abgeordnet­e.

Auch bei der Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­saufsicht (BaFin) sieht Schick „eklatantes Versagen“. Die dem Finanzmini­sterium unterstehe­nde Behörde sei trotz Hinweisen nicht rechzeitig tätig geworden. Im zwischen Union und SPD abgestimmt­en Text des Abschlussb­erichts heisst es dagegen: „Alle Vorwürfe sind widerlegt.“Es sei immer klar gewesen: „Cum-Ex-Geschäfte waren und sind rechtswidr­ig. Bestimmte Marktakteu­re“hätten ihre Anlagestra­tegie jedoch „bewusst vor den Behörden verschleie­rt“. Fazit: „In den Behörden wurde sach- und pflichtgem­äß gearbeitet.“

Das Treiben der Banken, Aktienbesi­tzer, Fonds und Wirtschaft­sprüfer bei Cum-Ex dauerte bis Ende 2011. Dann verbot ein neues Gesetz diese Art der Steuergest­altung.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Skyline der Bankenstad­t Frankfurt: Schauplatz vieler illegaler Cum-Ex-Geschäfte.

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