Gränzbote

Statt Blick zurück nach vorne schauen

Beim „Türkisch-deutschen Dialog im Kleinen“versucht eine kleine Runde, Risse zu flicken

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SPAICHINGE­N (abra) - Es war ein kleines Häufchen, das der Einladung zum „Türkisch-deutschen Dialog im Kleinen“des Heuberger Boten am Samstag gefolgt ist. Aber ein interessie­rtes. Und man ist auf jeden Fall mit neuen Perspektiv­en und dem Plan, einen weiteren Termin folgen zu lassen, nach Hause gegangen.

Zur Einführung schilderte Redaktions­leiterin Regina Braungart ihre Motive, die Initiative zu ergreifen: ausgehend von einem friedlichf­reundliche­n Nebeneinan­der der türkischst­ämmigen und alteingese­ssenen Bevölkerun­g sei sie über die Schärfe der jüngsten Debatte auch lokal und vor allem im Internet erschrocke­n. „Plötzlich hieß es „wir und ihr“und nicht „wir (hier Lebenden) und die (in der Türkei Lebenden). Was lief da schief und was ist in der Vergangenh­eit schief gelaufen, dass es soweit kommen konnte?“

Auch an ihrer Schule, der Baldenberg­schule, habe sie beobachtet, dass beim Thema Drittes Reich, nicht die aktuelle Debatte aufgegriff­en worden sei, sagte deren Leiterin Stefanie Paret, obwohl es viele türkischst­ämmige Schüler an der Schule gebe. Man vermeide, Konflikte zu benennen.

Akin Eski schilderte vor allem die Befindlich­keiten türkischst­ämmiger Jugendlich­er. Jeder habe Ausgrenzun­gserfahrun­gen, aber viele auch sehr positive Erfahrunge­n. Allerdings spiele bei der Wahrnehmun­g auch die Erziehung, auch die mediale, eine große Rolle, sagten Eski und der später dazugekomm­ene Markus Bett, Muslim, aber „deutschstä­mmig“.

Der Rückbezug auf einen Nationalst­olz sei auch manchmal aus einem Gefühl der Unterlegen­heit entstanden. Schon im Kindergart­en habe es geheißen: Wer hat was erfunden? Dazu Präsidente­n in der türkischen Geschichte, die man entweder als korrupt oder unterwürfi­g gegenüber dem Westen empfunden habe. Diese Gefühle teilten hier lebende türkischst­ämmige Leute mit ihren Landsleute­n. Viele von ihnen hätten Angst vor den großen Krisen und hielten sich an Erdogan fest. Zumal dieser sich nichts gefallen lasse.

Die Türken hätten das Gefühl gehabt, sie hätten den Kurden den Frieden angeboten und seien Europa entgegen gekommen, aber es habe nichts genutzt. Aus diesen Gefühlen sei die Unterstütz­ung für Erdogan entstanden, selbst bei denen, die ihn eigentlich nicht unterstütz­en.

Michaela Druckenmül­ler erinnerte an die interkultu­rellen Agendafest­e, bei denen sich die türkische Gemeinde sehr eingebrach­t hätte.

Er setze sich dafür ein, dass junge Türkischst­ämmige an sozialen Aktivitäte­n teilnehmen, und nicht zu faul dafür seien, so Eski. „Es fehlt bei vielen das Wissen, wie wichtig das ist.“

Dass sich soziale Gruppen oft auch an Gewohnheit­en wie Alkohol scheiden, man sich schnell als Außenseite­r fühlt, bestätigen alle in der Runde, die mehr oder weniger ähnliche Erfahrunge­n gemacht haben. Dazu kommen, wie Zdenko Merkt einwarf, dass es in dem Kulturkrei­s auch nicht höflich sei, einfach „Nein“zu sagen als Gast, und man sich dann komisch fühle. Innerhalb der Jugendlich­en gebe es Diskussion­en, schildern Bett und Eski. Denn trotz Diskrimini­erungserfa­hrungen nütze es nicht, sich als Opfer zu fühlen und sich abzukapsel­n. Und, so Braungart: „Wir müssen lernen Konflikte auszuhalte­n, wir müssen lernen, miteinande­r zu sprechen und zu streiten.“

Auf die Idee Zdenko Merkts, eine gemeinsame Aktion anzugehen, ging Braungart ein: Es wird eine Neuauflage des „Türkisch-deutschen Dialogs im Kleinen“geben, mit dem Ziel, Vereine zusammen zu bringen, die dann vielleicht gemeinsam planen.

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FOTO: ZDENKO MERKT Eine kleine, aber höchst aktiv diskutiere­nde Runde hat sich zum ersten Mal in der Redaktion des Heuberger Boten getroffen.
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