Vier Jahre Haft für versuchten Totschlag
Tuttlinger verletzt im Streit einen 38-Jährigen mit Messer am Hals – „Das Blut spritzte“
TUTTLINGEN/ROTTWEIL - Mit einer Gesamthaftstrafe von vier Jahren ahndete die erste Schwurgerichtskammer des Landgerichts Rottweil die Messerangriffe eines jetzt 58-Jährigen aus Tuttlingen auf zwei seiner Bekannten am 21. Juli 2016. Das Urteil geht von versuchtem Totschlag und gefährlicher Körperverletzung aus.
Die Taten ereigneten sich an einem „gewöhnlichen Nachmittag“, wie der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer sagte. In einer Einzimmer-Wohnung in Tuttlingen saßen einige „Zechkumpanen“im Alter zwischen 33 und 64 Jahren beisammen, Wodkaflaschen standen auf dem Tisch, leere Whiskyflaschen lagen darunter. Beim Angeklagten wurde nach der Tat ein Blutalkoholgehalt von 2,95 Promille ermittelt.
Täter meint, Stiefsohn sei durch Opfer in Drogenszene abgerutscht
Das Blut, das aus der Halsvene eines damals 38-Jährigen spritzte, war jedoch „alkoholfrei“: Der Mann wollte nur einen alkoholabhängigen Bekannten aus der Wohnung holen. In seiner Aussage schonte sich der Geschädigte nicht, wie Münzer feststellte. Früher sei er selbst drogenabhängig gewesen, lebe nun aber lange clean, gab der Opferzeuge an. Er habe zunächst nicht gewusst, worum es ging, als ihm vom späteren Täter der Vorwurf gemacht wurde: „Du setzt meine Kinder auf den Schuss“.
Messer dringt „wie in weiche Butter“in die Haut ein
Die gleichgültige Reaktion des 38Jährigen brachte den Angeklagten wohl in Rage. Er schnappte sich eine Flasche, brach den Hals ab und ging drohend auf den mit fast zwei Metern Länge körperlich weit Überlegenen zu. Der ergriff eine Pfanne – die Küchenzeile war im selben Raum –, drohte dem Angeklagten „Komm nur her, dann kriegst du die über den Kopf“und verpasste ihm einen Fußtritt. „Wie ein Hund behandelt“habe er sich gefühlt, erinnerte sich der Angeklagte. Daraufhin wollte er sich mit dem spitzen Rest der Flasche selbst die Pulsadern aufschneiden.
„Mach’s doch!“provozierte ihn der Jüngere. Der Angeklagte legte die Flasche weg, verließ die Wohnung „vermeintlich beruhigt“und kaufte alkoholischen Nachschub. Als der 38-Jährige sich später einen Tee aufbrühte, drehte er dem Angeklagten den Rücken zu. Der schlug zu – womit konnte nicht ermittelt werden – und stach mit einem Küchenmesser in den Hals des anderen, der sich erstaunt umgedreht hatte. Obwohl es nach dem Überwinden des Hautwiderstands „leicht wie ein Eindringen in weiche Butter“(Zitat des Tübinger Gerichtsmediziners) ging, bremste der Täter den Stich, nachdem nur die Hälfte der acht Zentimeter langen Klinge im Hals steckte, und zog das Messer zurück. Dennoch wurden ein Muskel und die innere Drosselvene durchschnitten. „Das Blut spritzte“, wie die Zeugen berichteten. Trotz einer Notoperation ist das Opfer heute arbeitslos und spürt eine Lähmung im Gesicht.
Im Lauf des Prozesses gab der Angeklagte verschiedene Erklärungen zu dem Tatgeschehen ab: „…wollte was zu Essen schneiden, bin gestolpert“, „…wurde von hinten gepackt, Schnitt passierte beim Losreißen“oder „erinnere mich an gar nichts“.
Erinnern kann sich der Angeklagte an seinen Vorwurf: Er macht den 38-Jährigen verantwortlich, dass sein Stiefsohn wieder in die Drogenszene abgerutscht sei. Dadurch sei die Ehe gescheitert, der Angeklagte kann seine geliebten Enkel nicht mehr sehen.
In dem folgenden Handgemenge nach der spontanen Tat verletzte der Angeklagte auch noch den 60-jährigen Wohnungsinhaber leicht, ebenfalls durch einen Stich in den Hals.
Richter erkennt keine Tötungsabsicht beim 58-Jährigen
Die Strafzumessung war schwer, stellte Münzer fest. Der Angeklagte sei nicht vorbestraft, eine Tötungsabsicht konnte nicht nachgewiesen werden, die Prognose ist gut, eine Wiederholungsgefahr bestehe wohl nicht. Andererseits habe der Angeklagte gewusst, wie „äußerst gefährlich“seine Gewalttat war und auch das Nachtatverhalten spricht gegen den 58-Jährigen aus Kasachstan. Mehrmals habe er bedauert, dass der 38-jährige nicht gestorben sei.
Der Strafrahmen für Totschlag wurde zweifach verringert. Für den versuchten Totschlag verhängte die Kammer eine Einzelstrafe von drei Jahren und neun Monaten, für die gefährliche Körperverletzung bei dem zweiten Mann ein Jahr. Dies wurde auf vier Jahre zusammengefasst. Der Staatsanwalt hatte auf fünf Jahre und sieben Monate plädiert, der Verteidiger wollte einen Freispruch. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.