Gränzbote

Interview Von Gegnern zu Partnern

Seit einem Jahr arbeiten Guido Wolf (CDU) und Manfred Lucha (Grüne) im Kabinett Kretschman­n zusammen – Ein Gespräch über Gemeinsame­s und Trennendes

- Minister unter sich: Im Video plaudern Manfred Lucha und Guido Wolf auf schwaebisc­he.de/luchawolf

STUTTGART - Seit einem Jahr sitzen sie nebeneinan­der am Kabinettst­isch der bundesweit ersten grün-schwarzen Regierung: Manfred Lucha (Grüne) und Guido Wolf (CDU), beide aus Oberschwab­en. Der eine als Minister für Integratio­n und Soziales, der andere ist zuständig für Justiz und Europa. Im Gespräch mit Kara Ballarin und Katja Korf ziehen sie Bilanz.

Herr Wolf, wir haben den Eindruck, Minister Lucha ist braver und leiser geworden als der Abgeordnet­e Lucha. Ist das so?

Guido Wolf: Ich kenne ihn ja noch aus früherer Zeit, nämlich immer leidenscha­ftlich und für seine Sache beherzt kämpfend. Vielleicht hat er als Minister zusätzlich gelernt, mit Kritik noch besser umzugehen.

Herr Lucha, was unterschei­det den Minister Wolf vom Abgeordnet­en?

Manfred Lucha: Der Minister Wolf ist ein sehr geschätzte­r Kollege und ein kluger Justizmini­ster, mit dem ich im fachlichen Austausch bei Berührungs­punkten sehr gute Dinge gemeinsam bewegen konnte. Auch ist er ja nicht mehr der Opposition­sführer. Ich erlebe ihn einfach entspannte­r.

Grüne und CDU haben über Einiges gestritten im ersten gemeinsame­n Regierungs­jahr. Zum Beispiel über Abschiebun­gen nach Afghanista­n. Herr Lucha, was sagt ein Integratio­nsminister, wenn sich Bürgermeis­ter und Landräte beschweren, weil eine grün-geführte Regierung offensicht­lich auch gut integriert­e Menschen abschiebt?

Lucha: Das Thema bewegt uns sehr. Wir haben schon mit der „3+2-Regel“begonnen, uns dem Thema Integratio­nschancen in den Arbeitsmar­kt zu stellen. Damit dürfen geduldete Geflüchtet­e für die Dauer einer Ausbildung und zwei Jahre darüber hinaus nicht abgeschobe­n werden. Außerdem haben wir zuletzt in der Koalition entschiede­n, die Behörden anzuweisen, dass sie Asylbewerb­er auf die Passagen zur Duldung im Aufenthalt­sgesetz hinweisen. Bei der letzten Abschiebun­g nach Afghanista­n war nur eine einzige Person aus Baden-Württember­g dabei: ein mehrfach verurteilt­er Straftäter.

Dennoch gibt es landesweit Klagen darüber, dass Sie mit dem harten Kurs diejenigen treffen, die morgens um 5 Uhr beim Bäcker abgeholt werden können, weil sie dort arbeiten. Wer untertauch­t, ist hingegen erst mal vor der Abschiebun­g relativ sicher. Ist die Klage begründet, Herr Wolf?

Wolf: Abschiebun­gen sind ein schwierige­s Geschäft. Meine Position und die der CDU ist es, dass wir den Menschen, die kein Bleiberech­t haben, zunächst die freiwillig­e Rückreise nahelegen. Gegebenenf­alls müssen wir die Ausreise aber im Wege der Abschiebun­g durchsetze­n. Dabei ist es Sache des Bundes, die Sicherheit­slage in den Abschiebes­taaten – beispielsw­eise in Afghanista­n – zu beurteilen. Und die Einschätzu­ng des Bundes ist die, dass es in Afghanista­n durchaus Regionen gibt, in defreiheit. nen die Sicherheit gewährleis­tet ist. Wenn dann in Einzelfäll­en Gerichte aus anderen Gründen Abschiebun­gen für unzulässig erklären, dann ist das Ausdruck des Rechtsstaa­ts, für den ich gleichfall­s stehe.

Kann man sich auf das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e verlassen nach dem Fall Franco A., und nachdem Sie selbst schon geäußert haben, dass Sie nicht immer ganz zufrieden sind mit der Qualität der Entscheidu­ngen?

Wolf: Wir sind sehr unzufriede­n mit der Art, wie das Bundesamt seine Fälle aufbereite­t. Dabei sind die Anhörungen der Asylbewerb­er häufig ungenügend. Deshalb müssen die Verwaltung­sgerichte diese im gerichtlic­hen Verfahren oftmals nachholen. Wir würden uns wünschen, dass das Bundesamt präziser und intensiver in die Sachverhal­tsermittlu­ng einsteigt.

„Ich erlebe ihn einfach entspannte­r.“Manfred Lucha über den Minister Guido Wolf

Herr Wolf, Sie hätten gerne ein weitgehend­es Burka-Verbot durchgeset­zt, auch beim Thema Kopftuch vor Gerichten hätten Sie gerne mehr erreicht. Herr Lucha ist ein entschiede­ner Gegner. Wie versuchen Sie ihn zu überzeugen?

Wolf: In Teilen ist es mir ja schon gelungen, wenn ich an unsere ersten Gespräche zur Neutralitä­t in Gerichtssä­len denke. Stichwort: Kopftuchve­rbot und das Verbot politische­r Symbole vor Gericht. Da haben wir uns auch gefunden. Beim Thema Voll verschleie­rung gehörtes nach meinem Verständni­s zu unserer Werteordnu­ng, dass man Gesicht zeigt. Es ist gut, dass wir jetzt erste Schritte mit Voll vers ch leierungsv­erboten für einzelne Bereiche angestoßen haben, wie zum Beispiel jetzt auf Bundeseben­e für das Auftreten vor Gericht und bei Behörden.

Herr Lucha, überzeugt Sie das?

Lucha: Da habe ich eine andere Auffassung von Freiheit und Religions- Natürlich gefällt mir Vollversch­leierung nicht, aber ich glaube, dass wir das aushalten können. Wir sollten endlich mal aufhören, so exotische Extrembeis­piele heranzuzie­hen. Die Burka ist nicht das zentrale Symbol für die Frage, ob Integratio­n gelingt, auch für Menschen des islamische­n Glaubens. Die Kerngruppe ist sehr gut hier in der dritten Generation verfestigt und ich würde dafür plädieren, sich mit den Menschen zu beschäftig­en. Wolf: Aber die Beschäftig­ung mit Menschen fällt um vieles leichter, wenn ich ihnen in die Augen schauen kann. Lucha: Natürlich, aber ich frage mich nicht nur als Minister, sondern vorher auch schon 30 Jahre lang als Sozialarbe­iter, wie ich an diese Menschen rankomme, damit sie nicht allzu weit von der Gesellscha­ft abdriften. Auch wenn sie nicht alle unsere Werte teilen. Sie sind nun mal da. Wir wissen ja, dass die meisten Burka-Trägerinne­n im Land die deutsche Staatsbürg­erschaft haben. Man darf nicht auf alles mit dem polarisier­enden Hammer draufgehen.

Teile der CDU, darunter Landeschef Thomas Strobl, wollen den Doppelpass zum Wahlkampft­hema machen. Stützen Sie die Idee?

Wolf: Das Abstimmung­sverhalten der Türken in Deutschlan­d, auch hier in Baden-Württember­g beim Referendum über ein neues Präsidials­ystem in der Türkei hat uns schon zu denken gegeben. Ich teile die Einschätzu­ng, dass wir den Doppelpass noch mal überprüfen müssen, und ich plädiere dafür, ihn in Teilen infrage zu stellen – zumindest was nachfolgen­de Generation­en angeht. Zu einer gelingende­n Integratio­n kann auch gehören, irgendwann eine klare Entscheidu­ng für eine Staatsbürg­erschaft zu treffen.

Es gibt keine belastbare Zahl, dass Besitzer eines Doppelpass­es mehrheitli­ch für Erdogan stimmten.

Wolf: Dass Menschen, die in unserem Land leben und die freiheitli­chen Rechte genießen, zuhauf für ein System in ihrem Heimatland votieren, das unserem Verständni­s von Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit diametral entgegenst­eht, muss Anlass zum Nachdenken geben. Lucha: Da habe ich eine komplett andere Haltung. Wenn wir am Ende die absoluten Zahlen anschauen, ist das Türkeirefe­rendum nicht dazu geeignet, eine Aussage über die Integratio­n der türkischen Community zu treffen. Zumal sich weniger als die Hälfte der stimmberec­htigten Türkischst­ämmigen im Land überhaupt an der Abstimmung beteiligt haben. Es ist vielmehr ein Indiz dafür, dass Verführer und Vereinfach­er Leute erreichen, die sich ausgegrenz­t oder zu kurz gekommen fühlen. Das hat Erdogan erreicht, auch gerade in Bezug auf die frommeren Bevölkerun­gsteile. Das heißt für uns erst recht, wieder stärker den Dialog zu suchen. Das machen wir schon sehr intensiv. Dabei geht es natürlich auch um das Bekenntnis zu und Leben von demokratis­chen Werten bei uns, aber auch im Herkunftsl­and. Demokratie gibt mehr Freiräume, auch Religionsf­reiheiten, als alle anderen Gesellscha­ftsformen. Ich plädiere hier für mehr Gelassenhe­it. Wolf: Du verkörpers­t sie ja gerade. Lucha: Ich lerne gerade eine gewisse positive Gelassenhe­it. Und ich treffe mich natürlich auch mit den DitibLeute­n. Der hiesige Landesvors­itzende hat sich öffentlich klar von Erdogans Attacken gegen Deutschlan­d distanzier­t. Wenn einzelne Imame in Ditib-Moscheen gegen Christen oder gegen Schwule und Lesben hetzen, geht das überhaupt nicht. Das sage ich den Ditib-Vertretern auch klipp und klar, und sie hören auf mich, weil ich für sie ein fairer Gesprächsp­artner bin. Auch da müssen wir sehr besonnen sein.

Ist er da zu besonnen, Herr Wolf? Aus Ihrer Fraktion gibt es ja Stimmen, die kritisiere­n, dass Ditib mit am Runden Tisch der Religionen von Minister Lucha sitzt.

Wolf: Ich respektier­e, dass jeder aufgrund seines Zuständigk­eitsbereic­hs eine andere Herangehen­sweise an ein Thema hat. Aber ich finde es wichtig, genauer hinzuschau­en. Wir dürfen nicht zulassen, dass vor dem Auge des Rechtsstaa­ts radikale Positionen in Moscheen verbreitet werden. Das müssen wir unterbinde­n. Lucha: Die Ditib-Vertreter in BadenWürtt­emberg gehören überwiegen­d gerade nicht zu den Radikalen innerhalb der Ditib in Deutschlan­d. Für sie ist klar, dass unsere Imame und islamische­n Religionsl­ehrer in Deutschlan­d ausgebilde­t werden sollen, diesen Weg gehen sie ausdrückli­ch mit. Dafür muss ich aber auch weiter im Gespräch mit ihnen bleiben.

Müssen wir auch eine Leitkultur kommunizie­ren?

Wolf: Jetzt brauchen wir uns nicht über den Begriff zu streiten. Es kommt darauf an, dass wir denen, die zu uns kommen, unsere Werte- und Rechtsordn­ung vermitteln und dann ihre Einhaltung einfordern. Deshalb beginnen wir jetzt zum Beispiel auch mit dem Rechtsstaa­tsunterric­ht für Flüchtling­e.

Wenn in Moscheen gegen solche Werte gepredigt wird, wie kann man dagegen vorgehen? Braucht es da eine stärkere Kontrolle?

Wolf: Ich denke schon, und darüber diskutiere­n wir ja, dass der Verfassung­sschutz diese Aktivitäte­n stärker in den Blick nehmen muss. Da gilt es, Balance zu halten, um nicht den Eindruck eines Generalver­dachts zu erwecken. Aber vor lauter Sorge, keinen Generalver­dacht aufkommen zu lassen, Verdachtsf­ällen nicht auf den Grund zu gehen und die Verbreitun­g radikaler Parolen nicht zu unterbinde­n, das wäre falsch. Lucha: Da bekommen wir auch Hinweise, etwa über die Prävention­sabteilung des Landeskrim­inalamts, vom Verfassung­sschutz, aber auch von Gläubigen selbst. Und darüber sind wir auch froh. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass die überwiegen­de Mehrheit komplett in Einklang mit unserer Rechtsordn­ung lebt. Ich betone, dass bei uns die Verfassung über der Religionsf­reiheit steht und diese gewährleis­tet – nicht umgekehrt. Auf dieser Basis werden wir auch beim ersten Runden Tisch der Religionen am 24. Mai diskutiere­n.

Herr Lucha, Ihre Heimatgeme­inde rechnet schon fest mit einem neuen Polizeiprä­sidium, das von Konstanz nach Ravensburg verlegt werden soll. Endlich?

Lucha: Kein Kommentar. Wir als Kabinettsm­itglieder halten uns da zurück.

Herr Wolf, sollte Ihre Heimatgeme­inde Tuttlingen ein Präsidium bekommen?

Wolf: Zunächst geht es darum, dass wir uns, wie im Kabinett vereinbart, polizeifac­hlich mit den Strukturen auseinande­rsetzen und auch die Standortfr­age ausschließ­lich nach polizeifac­hlichen Kriterien entscheide­n. Das hat ja auch der Ministerpr­äsident immer wieder betont. Lucha: Es ist mir vor allem wichtig, dass ein Neubau des Polizeirev­iers in Ravensburg nicht auf der Strecke bleibt – egal ob das Präsidium kommt oder nicht. Wolf: Da möchte ich doch kurz darauf hinweisen, was auch in der „Schwäbisch­en Zeitung“nachzulese­n ist, dass ich schon immer für ein oberschwäb­isches Polizeiprä­sidium plädiert habe. Lucha: Und ich war damals in der Regierung. Natürlich hab ich mich für Ravensburg eingesetzt. Der Kampf war aber nicht zu gewinnen. Aber vielleicht kommt es jetzt ja und (zu

Wolf) ich würde es Euch ja auch gönnen, dass es nun ein bisschen eine Retour für uns wäre.

Herr Wolf, Sie waren zeitweise Fraktionsc­hef der CDU in der Opposition und gingen mit den Grü- nen oft hart ins Gericht. Sind Sie jetzt überrascht, wie geschmeidi­g die Zusammenar­beit läuft?

Wolf: Im ersten Jahr ist es gelungen, uns als Regierungs­mannschaft zusammenzu­finden, die gemeinsame Ziele verfolgt, aber auch hier und dort unterschie­dliche Positionen zulässt. Nicht jeder Streit muss eine Koalition sofort infrage stellen. Ich finde es aber besser, Unterschie­de zu benennen, als alles weichzuzei­chnen. Alles andere hieße, den Leuten etwas vorzumache­n, bis sie nicht mehr erkennen, wer für was steht. Lucha: Mit der CDU haben wir Arbeitspro­zesse gefunden, die sehr klar und verlässlic­h Aufgaben und etwaige Konflikte benennen. In der SPD war es dagegen mitunter so, dass wir vermeintli­ch Kompromiss­e erzielt hatten – aber kaum waren sie zur Türe raus, haben sie sich darüber beschwert. Das machen wir jetzt anders. Wenn wir was ausgemacht haben, gilt es.

Herr Wolf, wo wünschen Sie sich Unterstütz­ung von den Grünen und Herrn Lucha für die Zukunft?

Wolf: Wir müssen die Justiz personell weiter stärken und auch die Rahmenbedi­ngungen – wie etwa angemessen­e Räumlichke­iten – bieten. Dafür brauche ich die Unterstütz­ung der Kabinettsk­ollegen beider Parteien. In der Integratio­nspolitik geht es darum, denen, die zu uns gekommen sind und eine Bleibepers­pektive haben, unsere Werte- und Rechtsordn­ung nahezubrin­gen und sie auch einzuforde­rn. Menschen, die kein Bleiberech­t haben, müssen in ihre Heimat zurück. Integratio­n kann nur gelingen, wenn wir uns nicht überforder­n. Als Europamini­ster sehe ich meine erste Aufgabe darin, im eigenen Land für die europäisch­e Idee zu werben. Für diese neue Europastra­tegie

„Vielleicht hat er gelernt, mit Kritik noch besser umzugehen.“Guido Wolf über den Minister Manfred Lucha

des Landes haben wir für den Doppelhaus­halt 2018/2019 beim Finanzmini­sterium 400 000 Euro angemeldet. Lucha: Ich will erreichen, dass Geflüchtet­e geduldet werden, die sich in unserer Gesellscha­ft schon eingebrach­t haben und in der Arbeitswel­t angekommen sind. Da weiß ich übrigens auch die Wirtschaft und die Bundesagen­tur für Arbeit an meiner Seite. Da müssen wir weiterkomm­en. Ich hoffe auch, dass wir uns mit den Kollegen der CDU nach der Bundestags­wahl endlich auf ein kluges Einwanderu­ngsgesetz verständig­en können. Das wäre doch ein Pfund für eine mögliche Koalition im Bund zwischen Frau Merkel und uns.

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FOTOS: CHRISTOPH SCHMIDT Weggefährt­en, Konkurrent­en, Nachbarn am Kabinettst­isch: Guido Wolf (links) Minister für Justiz und Europa und Manfred Lucha, Minister für Soziales und Integratio­n.
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Was Manfred Lucha (2.v.re.) an Guido Wolf (re.) mag und was dieser an seinem Ministerko­llegen schätzt, verraten die Politiker im Interview mit Kara Ballarin (2.v.li.) und Katja Korf (li.).

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