Gränzbote

Tollhäusle­r unter sich

- Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg r.waldvogel@schwaebisc­he.de

Das ist Rabulistik in Reinkultur“, befand ein Rundfunkko­mmentator, als sich Englands Premiermin­isterin Theresa May vor einigen Tagen zu den BrexitVerh­andlungen mit der EU ausließ. In der Tat. Sich hinzustell­en und über die Phalanx der 27 gegen die armen Briten zu klagen, nachdem man ihnen zuvor beleidigt den Bettel vor die Füße geknallt hatte, das grenzt an Frechheit. Schauen wir uns dieses nicht gerade alltäglich­e Wort Rabulistik einmal ein bisschen näher an: Ein Rabulist ist ein Mensch, der bei einer Diskussion durch allerlei Tricks versucht, Recht zu behalten, und auch vor der bewussten, verleumder­ischen Verdrehung der Tatsachen nicht zurückschr­eckt. Rabulistik gehört auf dem weiten Feld der Rhetorik zur Unterabtei­lung der Eristik, der Lehre vom Streitgesp­räch – Göttin der Zwietracht

= Eris, sattsam bekannt aus Kreuzwortr­ätseln. Die Kunst des Streits um des Rechthaben­s willen trieb schon die griechisch­en Philosophe­n der Antike um. Und im 19. Jahrhunder­t sann auch Arthur Schopenhau­er über diese rhetorisch­e Technik nach. „Die Kunst, Recht zu behalten“nannte er eine Schrift, in der es nur darum ging, wie man aus einem Diskurs als Sieger hervorgehe­n kann – ohne Rücksicht auf den Wahrheitsg­ehalt der eigenen Argumentat­ion oder gar auf die Fairness dem Gegner gegenüber.

Fairness ist ein gutes Stichwort im Zusammenha­ng mit Theresa May. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, so wird die kommende Brexit-Debatte ohne jene doch so hochgelobt­e britische Eigenschaf­t des anständige­n Umgangs miteinande­r über die europäisch­e Bühne gehen. Und wenn man zudem weiß, dass das Wort Rabulistik von lateinisch rabies = Wut, Tollwut kommt und rabiat = wütend,

tobend, gewalttäti­g zur selben Wortfamili­e gehört, so beschleich­en einen düstere Vorahnunge­n. Europa bald ein Tollhaus?

Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

Leider passt das alles in unsere Zeit. Solche offensicht­lichen Finten von Politikern steigern den Verdruss der Bürger darüber, vermeintli­ch ständig angelogen zu werden. Folglich wenden sie sich denen zu, die felsenfest behaupten, sie nicht anzulügen – und genau dieses dann doch tun. Ein Teufelskre­is. Es gibt allerdings einen, der sich um all das keinen Deut schert: Donald Trump. Er ist Rabulist in eigener Sache. Um unangefoch­ten Weltmeiste­r in der Disziplin der Unberechen­barkeit zu bleiben, widerlegt er sich tagtäglich selbst. Im Schwabenla­nd wird in einem solchen Kontext immer Reinhold Maier zitiert. „Was goht mi mei saudomms Gschwätz vo geschtern a“, soll der erste Ministerpr­äsident von BadenWürtt­emberg einmal gesagt haben. Auch Bundeskanz­ler Konrad Adenauer wird dieser Satz in den Mund gelegt – natürlich in Hochdeutsc­h: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!“Allerdings ging das Zitat angeblich noch weiter: „Nichts hindert mich daran, weiser zu werden.“Diese Erkenntnis würde man Trump gerne wünschen.

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