Der letzte der Titanen
Zum Tod von Joachim Kaiser
MÜNCHEN - Es gab eine Zeit, da konnten Texte bestimmter Leute über Künstlerkarrieren entscheiden. Sogenannte Kritikerpäpste gaben den Ton an. Joachim Kaiser war so einer. Mit ihm ist nun einer der letzten dieser Titanen der Kritik von uns gegangen.
Joachim Kaisers Leben und Wirken ist untrennbar mit der (west)deutschen Kulturgeschichte verbunden. 1928 im ostpreußischen Milken geboren, erregte der gerade 22-jährige Doktorand mit einem brillanten Aufsatz über Adorno soviel Aufmerksamkeit, dass er sofort zum Mitarbeiter der „Frankfurter Hefte“avancierte und ihn Hans-Werner Richter zu den Treffen der Gruppe 47 einlud. Das sind Karrieren! 1959 kam der mit einer Schwäbin verheiratete Kaiser zur „Süddeutschen Zeitung“, wurde Feuilletonchef und schrieb über alle und alles, was sich in jenen aufregenden Zeiten in der Literatur, auf den Theater- und Opernbühnen tat. Seine Leidenschaft für die Kunst, ließ ihn gewiss manchmal übers Ziel hinausschießen. Und wenn er sich über die „ach so schrecklich bekannten Impromptus“mokierte, dann mag das manchem als intellektueller Hochmut aufgestoßen sein. Doch auch wer sich über seine Texte aufregte, musste zugestehen, dass Kaiser seine Urteile über die Interpretation einer Beethoven-Sonate oder einer Wagner-Oper sehr wohl und sehr gut begründen konnte. An der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Stuttgart gab er sein stupendes Wissen an eine nachwachsende Generation weiter.
Dabei war Kaiser, der oft im Ferienhaus der Familie in Langenargen Entspannung suchte, kein verbiesterter Doktrinär. Stupendes Wissen gepaart mit Esprit machte seine Vorträge selbst zu kleinen Theatervorstellungen. Dies konnte man auch oft in unserer Region erleben. Inge Aicher-Scholl engagierte ihn schon früh für ihre Vorträge an der Ulmer Volkshochschule.
Joachim Kaiser war seit Langem krank. Am Donnerstagnachmittag ist er gestorben. Er wurde 88 Jahre alt.