Elektronische Patientenakte im Test
Land fördert Modellprojekt im Kreis Sigmaringen – Experten haben Bedenken
STUTTGART - Blutwerte, verschriebene Medikamente, Röntgenbilder: Im Landkreis Sigmaringen können Patienten und Ärzte an einem Modellprojekt teilnehmen, bei dem solche Gesundheitsdaten auf einem Konto im Internet gespeichert werden. Mit 150 000 Euro fördert BadenWürttembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) das Vorhaben bis 2019. Der Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink mahnt aber zur Vorsicht und moniert: „Wir wünschen uns schon, dass uns ein Ministerium bei einem so bedeutenden Projekt mit einbeziehen würde.“
Das Gesundheitsnetz Süd (GNS) mit Sitz in Ehingen organisiert das Projekt mit dem Titel „PatientDigital“. In der Genossenschaft haben sich rund 400 Ärzte aus Südwürttemberg und Südbaden zusammengeschlossen. „Wir haben uns gefragt: Wie erfahren Ärzte, Pflegedienste und Krankenhäuser untereinander, welche Medikamente ein Patient nimmt?“, erläutert GNS-Vorstand Wolfgang Bachmann. Viele Menschen nehmen mehr als zehn Medikamente ein. Oft fehlt der Überblick, vor allem im Notfall. Es gibt zwar Arztbriefe, in denen sich Mediziner untereinander informieren – doch nach einem Klinikaufenthalt kann es Wochen dauern, bis die Papiere beim Hausarzt eintreffen.
Dass es sinnvoll wäre, wenn Mediziner Zugriff auf Befunde ihrer Patienten hätten, weiß man ohnehin schon lange. Deshalb gibt es seit 2003 in Deutschland Bestrebungen, eine elektronische Patientenakte einzuführen. Doch es gibt Widerstände und schwierige Fragen. Nur zwei davon: Ärzte befürchten, die Hoheit über ihre Befunde zu verlieren, Patienten fürchten, ihre Daten könnten missbraucht werden. Mittlerweile steht ein Starttermin, 2018 und 2019 soll das Projekt in zwei Stufen starten. Allerdings fürchten Kenner des Gesundheitswesens, dass es auch diesmal klemmen wird.
Deshalb hat sich GNS nach anderen Lösungen umgeschaut. Dabei stießen die Ehinger auf Vitabook. Das Hamburger Unternehmen betreibt die gleichnamige InternetPlattform. Dort kann sich jeder ein Konto im Netz anlegen und die Gesundheitsdaten hinterlegen. Mehr als 148 000 Patenten in ganz Deutschland nutzen das Angebot. Ärzte, Apotheker und Pflegedienste können sich ebenfalls registrieren. Gibt ein Patient Befunde oder Medikationspläne frei, können Mediziner und andere diese einsehen. Der Nutzer kann einstellen, wem er welche Daten zu Verfügung stellt.
Wer seine Karte verliert, kann das Konto sperren. Die Daten seien so si- cher wie heute möglich, erläutert Schnabel. Die Internetseite sei nach den selben Kriterien zertifiziert wie Online-Banking-Seiten, die Daten würden Deutschland nicht verlassen. „Grundsätzlich sind Gesundheitsdaten das sensibelste, was es an persönlichen Informationen gibt“, sagt der oberste Datenschützer im Land, Stefan Brink. Deshalb wünsche er sich, bei Pilotprojekten dieser Größenordnung einbezogen zu werden – wie bei anderen ähnlichen Vorhaben etwa im Kinzigtal. Technisch und rechtlich seien schwierige Fragen zu berücksichtigen, um die Sicherheit der Daten zu gewährleisten. Dennoch sagt Brink: „Ich halte das für ein sehr wichtiges Projekt und bin mir sicher, das man gemeinsam datenschutzrechtlich gute Lösungen findet.“
GNS arbeitet für das Pilotprojekt mit Vitabook zusammen. Ab Juli können sich Ärzte, Kliniken, Pflegedienste und Patienten aus dem Kreis Sigmaringen im Umgang mit dem Portal schulen lassen. Wer sich an- meldet, zahlt nichts – normalerweise erhebt Vitabook Gebühren, von Patienten zum Beispiel 1,95 Euro im Monat. Diese Lizenzgebühren übernimmt Pilotprojekt GNS, genau wie die Schulungskosten. Die Hälfte des gesamten Budgets von 300 000 Euro zahlt das Landwirtschaftsministerium. „Ich hoffe, dass die Patientenkarte.Online Abläufe im Gesundheitswesen vereinfachen und beschleunigen wird“, erklärt Minister Peter Hauk (CDU).
Zeitersparnis für Ärzte
Mit Sigmaringen habe man bewusst einen Landkreis ausgewählt, in dem ein Ärztemangel droht. Die Idee: Ärzte können Zeit sparen, weil sie Informationen nicht mehr aufwendig herbeitelefonieren müssen, Patienten können sich über die Plattform mit dem Arzt austauschen und sparen sich unnötige Fahrten. Das sieht die Landesärztekammer kritischer: „Ein Online-Gesundheitskonto wird den Ärztemangel wohl leider nicht beheben helfen. Und es wird aus Patientensicht sehr kritisch zu hinterfragen sein, wer und zu welchem Zweck Zugriff auf die persönlichen Gesundheitsdaten erhält“, so deren Sprecher Oliver Erens.
Die oppositionelle FDP begrüßt das Projekt. Allerdings moniert der Gesundheitsexperte der Liberalen, Jochen Haußmann: „Wir erwarten, dass die Regierung ihre Fördermaßnahmen untereinander besser koordiniert.“Schließlich gebe es im Sozialministerium einen mit mehr als vier Millionen Euro gefüllten Fördertopf für digitale Gesundheitsprojekte. Offensichtlich, so der Vorwurf, mangele es an Absprache zwischen dem grün geführten Haus und dem CDU-Ressort.