Die Zeichen stehen auf Streit
IG Metall kristisiert Aufweichung der 35-Stunden–Woche und prophezeit harte Tarifrunde
FRANKFURT - In der deutschen Schlüsselindustrie Metall und Elektro spitzt sich der Konflikt um die Arbeitszeit zu. Die IG Metall wirft den Arbeitgebern vor, die im Jahr 1995 umgesetzte 35-Stunden-Woche über die Jahre hinweg aufgeweicht zu haben. Real arbeite ein großer Teil der Belegschaft selbst in tarifgebundenen Unternehmen deutlich länger, kritisierte Gewerkschaftschef Jörg Hofmann am Dienstag und sagte: „Wir müssen das Mantra der Arbeitgeber – Vollzeit plus Überstunden plus Flexibilität plus Leistungsdruck – durchbrechen. Das sind keine Arbeitszeiten, die zum Leben passen.“Die 35-Stunden-Woche gilt nur in Westdeutschland. Im Osten sieht der Flächentarif weiterhin 38 Stunden Wochenarbeitszeit vor.
Die Gewerkschaft stützt sich auf eine eigene Beschäftigtenumfrage mit mehr als 680 000 freiwilligen Teilnehmern aus 7000 Betrieben, aus der sie weitere Teilergebnisse veröffentlichte. Rund 180 000 davon kamen aus Baden-Württemberg. Danach wünsche sich die große Mehrheit von 67,9 Prozent der Befragten eine 35-Stunden-Woche oder noch kürzere Arbeitszeiten. 82,3 Prozent würden gern die Arbeitszeit zeitweise verringern, etwa um Kinder zu erziehen, Angehörige zu pflegen oder sich beruflich weiterzubilden. Doch inzwischen arbeiteten viele Beschäftigte deutlich länger, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann, und das auch in Betrieben, in denen der Flächentarif gelte: „Die Möglichkeit, 40Stunden- und außertarifliche Verträge anzubieten, hat dazu geführt, dass heute schon über 30 Prozent der Beschäftigten in flächentarifgebundenen Betrieben der Metall- und Elektroindustrie keinen 35-Stunden-Vertrag mehr haben“, kritisierte er. Fast ein Viertel der Befragten aber arbeitet sogar 40 Stunden und mehr.
Sieben von zehn Befragten sind jedoch mit ihrer Arbeitszeit zufrieden, vor allem in Unternehmen, in denen Tarifverträge gelten. Die Beschäftigten plädieren außerdem für Arbeitszeiten, die zu ihrem Leben passten, sagte Hofmann: „Sie sind mit ihrer Arbeitszeit wesentlich zufriedener, wenn ihre tatsächliche Arbeitszeit in etwa ihrer Wunscharbeitszeit entspricht, wenn ihre Ar- beitszeit planbar ist, wenn sie eine Zeit lang auch mal kürzer arbeiten können und wenn sie ohne Probleme auch mal später kommen oder früher gehen können.“Sei das nicht mög- lich, seien Beschäftigte häufig unzufrieden mit ihrer Arbeitszeit, ebenso, wenn sie zu oft am Wochenende arbeiten müssen oder wenn die Leistungsanforderungen sie unter Zeit- druck setzten. Der IG-Metall-Chef forderte eine Arbeitszeitpolitik, die auf selbstbestimmte Arbeitszeiten und eine Umverteilung des Arbeitszeitvolumens entlang des Lebensverlaufs setze. Deshalb wolle die IG Metall eine Arbeitszeitpolitik durchsetzen, die die Arbeit in der Industrie zukunftsfähig und attraktiv mache, auch für Frauen.
Das Thema Arbeitszeit will die Gewerkschaft zum Gegenstand der nächsten Tarifverhandlungen machen. Erste Verhandlungen dazu sollen im Dezember beginnen, Ende Juni will die IG Metall auf einem Kongress in Mannheim konkretere Forderungen erarbeiten.
Die Arbeitgeber jedoch wollen, so ihr Verband Gesamtmetall, Arbeitszeitregelungen nur, wenn sie kostenneutral und flexibel ausgestaltet seien: „Systematische, flächendeckende und unkompensierte Arbeitszeitverkürzungen passen absolut und definitiv nicht in die Zeit“, hieß es. Abwanderungen wegen Fachkräftemangel wären die Folge.