Musik als Muttersprache
Soundgarden-Sänger Chris Cornell verstirbt mit 52 Jahren
RAVENSBURG - Die Musik hat Chris Cornell, 1964 geboren als Christopher John Boyle im Grunge-Labor Seattle, so häufig gerettet. Menschen machten dem jungen Chris Angst, die Musik war eine Möglichkeit, diese Furcht zu überwinden. Als Depressionen den Jugendlichen in seinem Zimmer für fast ein Jahr lang einsperrten, waren Schlagzeug und Gitarre seine Stimmungsaufheller. Und die Musik war es auch, die ihn zwar erst in ein toxisches Umfeld voller Drogensüchtiger, später als Erwachsenen aber dazu brachte, seine Drogenund Alkoholsucht zu überwinden und sich wieder auf die Kreativität zu konzentrieren.
Dieses Mal vermochte auch diese jedoch nichts auszurichten. Cornell, der als Songwriter, Sänger und Gitarrist der Band Soundgarden den Grunge mitformte, starb am 17. Mai im Alter von 52 Jahren. Die Ursache ist bislang unbekannt, Behörden gingen am Donnerstag von einem Suizid aus. Am Mittwoch hatten Soundgarden in Detroit noch ein Konzert gegeben.
Wie Cornell zur Musik kam, klingt fast wie aus einem Märchen. Im Alter von neun Jahren fand er in einem verlassenen Haus eine Sammlung Beatles-Platten. Zwei Jahre lang hörte er diese exzessiv, bis er jede Note verinnerlicht hatte. Das tat er in einem äußerst musikalischem Hause. Früh spielte er Klavier, zwei seiner fünf Geschwister waren Teil einer Band. Nachdem Cornell progressive Rockgruppen wie Yes, Rush und Punkbands wie die Sex Pistols und Ramones für sich entdeckt hatte, gründete er Soundgarden. Mit Alben wie „Ultramega OK“und „Badmotorfinger“stach er ab 1984 Genrekollegen wie Nirvana musikalisch aus. Ähnlich roh waren Soundgarden zwar, aber auch vielschichtiger. „Superunknown“markierte 1994 den kommerziellen Höhepunkt. Die Single „Black Hole Sun“läuft in Rock-Diskos bis heute. Überhaupt hat sich Cornell mit seinem Stimmumfang von vier Oktaven in den Rockkanon eingefräst.
Vielleicht liegt es in der Sozialisation mit Klavier, Punk- und Progrock, dessen Hörer damals eigentlich verfeindete Lager waren, dass Cornell sich zeitlebens auch in anderen Gattungen ausprobierte. 1992 schrieb er den Soundtrack für die Komödie „Singles“, 2006 für den James-BondFilm „Casino Royale“(was einem musikalischen Ritterschlag gleicht). Er war Songwriter für Künstler wie Alice Cooper und veröffentlichte Solo-Alben. Das von Disco geküsste „Scream“, geschrieben mit dem Hip Hop-Produzenten Timbaland, wurde von Kritikern wie Fans verrissen.
Dabei hatte Cornell in der Musik schon so Vieles gesagt. Er hatte einfach nur nach einer neuen Sprache gesucht. In der Musik, die ihn so häufig gerettet hatte. Bis jetzt.